von Jan C. Behrends

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9. April 2018

Nach langem Warten startete in der Woche vor Ostern auch in Deutschland Armando Iannuccis Komödie über den Tod Stalins im Jahr 1953 und den anschließenden Machtkampf seiner Satrapen. Dabei verdichten die Drehbuchautoren (Iannucci, Martin, Schneider) den Kampf innerhalb des Führungszirkels, der ein ganzes Jahr über anhielt, auf wenige Tage zwischen dem Tod des Diktators und seiner Beerdigung. Auch darüber hinaus nimmt sich der Film zahlreiche Freiheiten. Er ist nicht nur Komödie, sondern zugleich ein Spiel mit dem historischen Stoff. Der Regisseur erhebt dabei allerdings keine dokumentarischen Ansprüche. Er zeigt vielmehr, dass es gerade jenseits des Historienfilms, der häufig ohnehin nur Mythen kreiert oder nacherzählt, im Modus des Slapsticks und mit dunklem, teilweise durchaus grenzwertigem britischem Humor gelingen kann, sich dem Kern einer politischen Ordnung zu nähern. Damit steht der Film in der Tradition Charlie Chaplins Großem Diktator

Die Erzählung folgt durchaus einer klassischen Dramaturgie; es genügen wenige Charaktere und Schauplätze, um die Geschichte zu erzählen. Jenseits der Situationskomik und den (zumindest in der englischen Originalfassung) schmissigen Dialogen erlaubt der Film einige Einblicke in den Maschinenraum der Diktatur und die Natur des Machtkampfes: So werden die dramatis personae genutzt, um zu zeigen, dass es unter Stalin keinerlei Vertrauen geben konnte – weder auf horizontaler noch auf vertikaler Ebene, weder zwischen der Bevölkerung noch unter den höchsten Funktionären. Der allgegenwärtige Terror, der durch die Person des NKVD-Chefs Lavrentij Berias repräsentiert wird, strukturiert auch im Politbüro die sozialen Beziehungen. Angst und Misstrauen diktieren das Verhalten der Akteure. Loyalität konnte es nur gegenüber Stalin geben, der zugleich Herr über Leben und Tod der Anderen war.
Als Stalin am 5. März 1953 unvermittelt stirbt und eingenässt auf dem Boden seines Arbeitszimmers vorgefunden wird, herrscht allseits Verunsicherung. Der Massenterror endet zwar mit dem Tod des Tyrannen: Doch Politik ist weiterhin nur im Modus der Intrige denkbar, und der Verlierer im Kampf um die Macht muss seine Niederlage mit dem Leben bezahlen. Diese Wahrheiten über den Stalinismus werden dem Zuschauer spielerisch, aber dennoch eindringlich vorgeführt.

In Russland wurde The Death of Stalin  bereits im Januar dieses Jahres aus dem Verkehr gezogen. Über die Gründe des Verbots kann man nur spekulieren. Die stets gespannte Beziehung zwischen Humor und Autokratie dürfte sicherlich eine Rolle spielen. Über eine schwach legitimierte Staatsmacht soll nicht gespottet werden. Auch vom Stalin-Kult und der Überhöhung der sowjetischen Vergangenheit, die in der russischen Gegenwart zur Legitimation des Regimes eine wichtige Rolle spielen, lässt der Film in seiner Schonungs- und Respektlosigkeit wenig übrig.
Das schien bereits zu genügen, um ihn aus den Kinos zu verbannen. Vielleicht kommt hinzu, dass auch heute die Frage der Nachfolge zu den großen Tabus des politischen Lebens gehört und die Diskussion über ein Russland nach Putin nicht erwünscht ist. Doch aus sowjetischer Zeit wissen wir nichts ist für die Bürger einer Diktatur interessanter als kulturelle Kontrabande. So ist The Death of Stalin in Europa Erfolg zu wünschen, in Russland dürfte die staatliche Reaktion ihm bereits jetzt einen Status als Klassiker gesichert haben.

The Death of Stalin die Komödie von Armando Iannucci läuft seit dem 29. März 2018 in den deutschen Kinos.
 

Mehr zum Thema:

Claudia Weber, „Auf Augenhöhe“ – Putin, Stalin und die russische Außenpolitik, in: Zeitgeschichte-online, März 2018.

Felix Ackermann, Im Labyrinth der russischen Geschichte. Ein Petersburger Museum erklärt den Kontext der Revolution von 1917 und zeigt deren Folgen, in: Zeitgeschichte-online, Oktober 2017.

Jörg Baberowski, Gesichter eines Despoten. Stalin in unveröffentlichten Fotografien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 12 (2015), H. 2, Druckausgabe: S. 344-355.

Jan C. Behrends, Lenins Staat, der Wille zur Macht und die Genese totaler Herrschaft aus dem Geist des Bürgerkriegs, in: Zeitgeschichte-online, April 2017.

Dmitri Stratievski, Die Vielfalt des Erinnerns. Warum wir die russische Erinnerung an den Krieg brauchen, in: Zeitgeschichte-online, Mai 2015.

Andreas Oberender, Der Gewaltmensch Stalin im Spiegel von Dimitrovs Tagebuch, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 5 (2008), H. 1, Druckausgabe: S. 142-150.

Gulnora Usmanova, „Hotel Lux“, in: Zeitgeschichte-online, November 2011.

Gerd Koenen, Vom Kommunismus zum Postkommunismus. Videomitschnitt des Vortrags gehalten am 25.11.2010 in Potsdam auf Einladung des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2010.

Jürgen Danyel und Lars Karl und Jan-Holger Kirsch (Hg.), Online-Ressourcen zum Thema „Der große Vaterländische Krieg“ - russische Erinnerungen, in: Zeitgeschichte-online, Mai 2006.