von Thomas Jung

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1. März 2006

Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler, Deutschland 2006, Regie: Dani Levy, Darsteller: Helge Schneider (Adolf Hitler), Ulrich Mühe (Prof. Adolf Grünbaum), Sylvester Groth (Dr. Joseph Goebbels), Adriana Altaras (Elsa Grünbaum), Ulrich Noethen (Heinrich Himmler), Stefan Kurt (Albert Speer), Lambert Hamel (Obergruppenführer Rattenhuber), Ilja Richter, Lars Rudolph, Katja Riemann, Meret Becker, Marion Kracht u.a.; Drehbuch: Dani Levy; Produktion: Stefan Arndt, Y Filme Directors Pool, X Filme Creative Pool; Kamera: Carsten Thiele, Carl-F. Koschnick; Musik: Niki Reiser; Länge: 95 Minuten

 

Hitler im 21. Jahrhundert

Der Name Adolf Hitler dient gemeinhin der Abschreckung, er ist die Personifizierung des Bösen schlechthin. Da wundert es nicht, dass auch die Künste sich gelegentlich seiner annehmen und den zum Mythos gewordenen Diktator in mimetischer, quasi authentischer Nachbildung oder in der nur ikonographischen Darstellung seiner Physiognomie und seines Habitus vom Sockel stoßen wollen. Und das geschah – erinnert man sich an Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch oder John Heartfield – bereits zu Lebzeiten. Doch mit dem Wissen um den Zivilisationsbruch Auschwitz kam eine gänzlich neue Dimension hinzu, die das Grauen und das Gedenken an die Opfer in den Vordergrund stellten. Ein komischer Umgang mit dem Dämon Hitler wurde somit auf lange Zeit zum selbstverständlichen Tabu. In diesem Wissen hätte Chaplin, wie er später einräumte, seinen großartigen Film nicht gemacht. Seit nicht allzu langer Zeit aber begegnet man dem “Führer” immer häufiger in weniger bedrohlicher Attitüde: als Küchenjunge abgestellt zum Tellerwaschen, als Hausmeister beim Schneeschieben, als Schlappschwanz über seiner Eva oder im heimischem Bett beim Masturbieren, Haare raufend über einem vierteiligen Puzzle mit dem Titel “Endlösung“, Topflappen häkelnd für den Nicaragua-Basar der NSDAP oder mit Quietsche-Entchen oder Plastik-Spielzeugkampfschiffen in der Badewanne. Ein bisschen Judenhass hier, ein bisschen sexuelle Perversion dort. Und auch ein wenig Welteroberungsphantasie. Das ist aber eigentlich gar nicht so schlimm, sondern einfach nur zum Lachen. Georg Seeßlen stellte vor gut zehn Jahren fest, dass wir nach dem schrittweisen Verlöschen des Bilderverbots heute in einer Gesellschaft leben, in der, so oder so, mehr faschistische Bilder im Umlauf sind als in der faschistischen Gesellschaft selber.[1] Eine provozierende These zumindest. Derart widersprüchliche Bilder von Hitler aber, die heute in den populären Medien kursieren, stellen nur die Kehrseite ein und derselben Medaille dar – sie sind letztlich Spiegelbild der gegenwärtigen Kulturindustrie. Es waren die neunziger Jahre des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die den öffentlichen Raum für neue Formen des Erinnerns geöffnet haben. Die Implosion der großen Ideologien nach dem Ende des Kalten Krieges war auch für die Künstler eine Befreiung aus den Zwängen, sich in Acht zu nehmen vor den Gefahren eventueller Instrumentalisierung. Nun galt es, mit unbefangenem Blick ein weiteres Mal auf die NS-Vergangenheit zurückzublicken. Auf offizieller Ebene hatte man nach der Debatte um die Wiedergutmachung gegenüber den “Zwangsarbeitern”, nach der Neu-Konzeptionierung der Gedenkstätten in den ehemaligen Konzentrationslagern, nach den aufklärerisch bemühten Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und schließlich durch den Bau des Berliner Holocaust-Mahnmals bewiesen, dass Deutschland seine “Lehren aus der Vergangenheit” gezogen habe. Auf der eher populären Ebene, die von Film, Literatur, Theater und Comic bedient werden, war etwas Anderes geschehen: Hier war es plötzlich möglich, angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit auch (wieder) zu lachen. Das markiert auch in dieser Öffentlichkeit ein Umdenken. Nach Jahrzehnten eines ernsten, gemahnenden und letztlich moralisch-pädagogischen Diskurses in Sachen Vergangenheitsbewältigung, die mit wenigen Ausnahmen (George Tabori, Edgar Hilsenrath, Günter Grass) eben auch durch Literatur und Film fortgeschrieben wurde, war seit den neunziger Jahren ein entspannter Umgang mit der NS-Vergangenheit salonfähig geworden. Und das mag auch gut so sein, wenn man nachgeborene Generationen mit Ereignissen aus einer Geschichte konfrontieren will, zu der kaum mehr familiäre Tradierungen möglich sind. Denn sowohl die Opfer wie auch die Täter verstummen und nehmen ihr Wissen, ihre Traumata und ihre Schuld mit ins Grab. Es ist dies eine nachwachsende Generation zudem, die viel stärker mit medialen Bildern als mit moralisch argumentierenden Erzählungen aufwächst, als dies in der so genannten, mit dem Jahr 1990 endgültig zu Ende gehenden Nachkriegszeit der Fall war.

 

Erinnerungskultur und visuelles Gedächtnis

Beim Blick auf die NS-Vergangenheit tut sich nach wie vor das Problem der kollektiven Erinnerung auf: Was soll erinnert werden? Vielmehr: Über welche Erinnerungsinhalte könnte ein positives Nationalgefühl gestiftet werden. Der Verweis auf eigenes Opfer- oder Heldentum ist allerdings grundsätzlich problematisch. Held war man nicht, da die Deutschen weder in Stalingrad siegreich waren noch ausreichend Widerstand gegen das System geleistet hatten. Und Opfer dürfen sie auch nicht sein, da andere Nationen und Ethnien um des eigenen Vorteils wegen beinahe ausgelöscht worden wären. Da bietet es sich an, dass sich das deutsche Volk als Opfer seines eigenen Führers geriert, der es in den Krieg getrieben hat. Genau das ist ein sich seit Kriegsende durchziehender Faden der Selbstentschuldung. Und so fügt es sich ins große Bild, wenn das deutsche Erinnerungskollektiv in Filmen wie Der Untergang zum Opfer eines großen tragischen Helden (gegeben von Bruno Ganz) wird.[2] Oder wie jetzt in Mein Führer zum Opfer eines kleinen Wahnsinnigen (gegeben von Helge Schneider). In beiden Fällen ist das Volk außen vor. Im einen Fall vor der Bunkertür im Bombenhagel der anrückenden russischen Artillerie dahinsiechend. Im anderen Fall zum Aufmarsch vor Kanzlei und Trümmerkulisse verdonnert. Das ist die bequeme Position, auf die man sich zurückziehen kann. Einmal mehr entschuldet, war man eben nur unwissende Marionette. Wichtige Ansätze der Geschichtsforschung der letzten Jahrzehnte sind ausgeblendet. Statt sich mit dem Hitler ins uns (1946), der Unfähigkeit zu trauern (1967), Hitlers willigen Vollstreckern (1996) oder dem Volksstaat (2005) auseinanderzusetzen, gesellschaftlichen Strukturen und kollektiven Konditionierungen nachzugehen, die Auschwitz ermöglicht haben, scheint es heute populärer, sich mit psychoanalytischen Deutungen der Persönlichkeitsstruktur eines verletzten „Klein-Adolf“ zu beschäftigen, der am Ende bei einer jüdischen Mamme unter die Bettdecke kriecht. Sieht man Hitler dann als ganz privaten Menschen, der sich über alles und alle erhebt, ist seine Gevolkschaft aus der Verantwortung entlassen. Die vermeintliche Entdämonisierung führt aber nurmehr zu einer neuerlichen Ikonisierung, nun mit populistischem Anstrich. Und die Banalisierung kann (wenn auch hoffentlich unbeabsichtigt) zu einer Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit führen. Wir haben heute den historischen Abstand und die demokratische (Selbstheilungs)Kraft gewonnen, über die nationalsozialistische Vergangenheit zu lachen. Noch einmal: Das ist gut so. Aber zuweilen verkommt der dämonische Mythos Adolf Hitler zum bedeutungsleeren Zeichen eines kommerziellen Medienbetriebs. Zwei Comics haben dies vor einigen Jahren vorgeführt: Walter Moers mit seiner „kleinen Nazisau“ (1998) und Achim Greser mit dem ganz „privaten“ Hitler (2000). Nun holt der Film diese Position nach. Im Ausland gibt es eine längere Traditionslinie für solcherart Sichtweise; man denke nur an die Erfolge von Das Leben ist schön von Roberto Benigni (1998) oder Der Zug des Lebens von Radu Mihaileanu (1999). Vergessen wird in den derzeitigen Debatten aber, dass mit der an Chaplins Grundidee angelehnten Verwechslungskomödie Goebbels und Geduldig (2001) schon einmal ein deutscher Film komödiantisch mit dem Thema umging (hier übrigens bereits mit Ulrich Mühe in brillanter Doppelrolle), der allerdings nur im Fernsehen lief und nicht in die Kinos kam.

 

Medienzirkus oder ehrenwerte „Vergangenheitsbewältigung“?

Warum also die Aufregung um Levys Film? Seit Anfang Januar dieses Jahres überschlägt sich das Feuilleton mit Kommentaren und Kritiken, Interviews und Stellungnahmen des Regisseurs und des Hauptdarstellers Helge Schneider zum aktuellen Führer-Film. Nur selten ist wahrgenommen worden, dass der eigentliche Protagonist des Filmes aber nicht der „Führer“ ist, obgleich die Faszination des Bösen, das hier verlacht werden soll, offenbar bis heute weiter wirkt und Katalysator einer Medienkampagne ist: Dürfen wir über Hitler lachen – so raunt es im deutschen Blätterwald. Dabei ist doch aber der jüdische Schauspieler Adolf Grünbaum die wichtigste Figur des Filmes. Er ist ebenso Hoffnungsträger für einen Widerstand, den die Deutschen in der NS-Zeit nicht oder nur ungenügend geleistet haben, wie er auch Opfer ist, sowohl in der konkreten Plotstruktur des Films wie in der historischen Konsequenz der antijüdischen Vernichtungspolitik. An ihm entzündet sich Empathie und Mitleid. Und nicht zuletzt ist Grünbaum die Rolle des Rahmenerzählers im Film zugewiesen worden (wenn auch erst nach nachträglichem Umschneiden des Films). Er kommentiert die Handlung, und verfügt dabei über das historische Wissen der Nachgeborenen. Doch hier spiegelt sich das Problem des Films. Es ist eben jener Ansatz der Filmemacher, den Blick mit der Kinderpsychologin Alice Miller[3] ausschließlich auf das tiefenpsychologische Verständnis einer – am Ende auch Mitleid evozierenden – frühkindlichen Prägung eines erbärmlichen „Führers“ zu richten, die selbigen ebenso wie in der Hirschbiegel-Eichinger-Bebilderung[4] zum Menschen werden lässt. Auch wenn es in dem einen Fall der im Selbstmord endende „Übermensch“ ist und bei Levy der tragikomische Versager – so handelt es sich doch in beiden Fällen um die Fortschreibung der altbekannten Entschuldung der Schuldigen und Mitschuldigen, die diesen Führer gewählt und über Jahre hinweg geliebt haben. In Levys aktuellem Film haben wir nun einmal mehr den Führer im Blick, nehmen ihn als armes Menschlein wahr, sehen die Apparatschiks in seinem Umfeld intrigieren. Und wir sehen den armen, wiewohl witzig-schlitzohrigen, aber am Ende zum Diktatormord viel zu schwachen Juden leiden, ja ihn zum Märtyrer werden – doch erst nachdem er seine Stimme dem Führer geliehen und ihn mit dem Nebel kollektiver Empathie umgeben hat. Ist das nicht auch eine Fortschreibung gängiger Klischees? Die Komik des Films erwächst aus der Diskrepanz zwischen unseren Vorstellungen von einem „größenwahnsinnigen Arier“, der vom „machtlosen Juden“ buchstäblich k.o. geschlagen wird, und dem Wissen um den Verlauf der Real-Historie. Doch dies ist, mit Verlaub gesagt, längst überholt. Denn wenigstens seit Ernst Lubitschs Film Sein oder Nichtsein (1942), Bertolt Brechts Drama Arturo Ui (1941), George Taboris Drama Mein Führer (1987) und Kinofilm Mutters Courage (1995) und so manch anderem Film wissen wir, dass das Spiel mit der Macht – in der Fiktion – immer auch von den kleinen, vermeintlich machtlosen Leuten gewonnen werden kann. Erst im Rückblick auf die Filme der jüngeren Vergangenheit, vielmehr im Wissen um die historiographischen und medialen Diskurse der letzten Jahrzehnte, beginnt man zu begreifen, dass es hier womöglich gar nicht um den Tabubruch im Sinne des Verlachens eines im Grunde lächerlichen Diktators geht. Nein, Levy offeriert uns hier keine Parodie auf Größenwahn und Vernichtungspolitik, er persifliert die mediale Verkürzung eben dieser Bebilderung des historischen Phänomens Faschismus. Die Angriffsfläche dieser Satire ist dabei zuallererst die Stilisierung des deutschen Untergangs durch Hirschbiegel und Eichinger. Levy attackiert die mittlerweile ritualisierte Rhetorik, mit der sich manche Massenmedien anmaßen, das NS-Regime lebendig werden zu lassen. Und Helge Schneiders allererste Intention war es denn auch, sich selbst, den Führer und nicht zuletzt den „Bunker-Bruno“ zu parodieren. Dani Levy hat mehrfach behauptet, es sei ihm darum gegangen, das Dämonische an Hitler und dessen System vermittels des Lachens ad absurdum zu führen. Doch frage ich, ob der Verweis auf die augenscheinliche Absurdität von historischen Episoden dazu geeignet ist, durchaus konkrete gesellschaftliche Vorgänge ins Unerklärliche abzuschieben oder allein aus individualpsychologischer Introspektion heraus erklären zu wollen. Denn am Ende steht in einem solchen Fall die Verharmlosung, die Indifferenz oder im schlimmsten Fall das Bedürfnis, den armen Kerl in den Arm zu nehmen und ihn zu trösten. Man kann Levy vorwerfen, dass der Spagat, den er hier zwischen den Genres Burleske, Satire und Slapstick auf der einen Seite sowie punktuell inszeniertem, zum Teil dokumentarischem Realismus auf der anderen Seite unternimmt, selbst zu einer Grätsche gerät, die grotesk wirkt. Man kann ihm nicht vorwerfen, eine Komödie über Hitler gedreht zu haben. Aber – er hat es halbherzig getan. Eigentlich hätte das Resultat viel böser, abgründiger, schamloser ausfallen müssen. Eine Farce, wie einst bei der Inszenierung von Taboris Mein Führer am Maxim-Gorki-Theater. Ein Spektakel wie in der BE-Inszenierung des Arturo Ui mit Martin Wuttke. Aber da stehen sich Levy als Aufklärer und Schneider als doch nur egozentrischer Entertainer selbst im Wege. Und so lässt der Aufklärer im Abspann dieser allzu harmlosen, nein, verharmlosenden Komödie authentische Stimmen auf der Straße einfangen, die freimütig von ihrem historischen Nichtwissen berichten: „Wieso, Hitler, wer is’n das?“ Es ist offenkundig – mit diesem Nachsatz will Levy gegen das Schwinden von Geschichte ankämpfen. Aber im gleichen Atemzug zementiert er damit Hitler einmal mehr im Mittelpunkt jedweder historischen Betrachtung.

 

Zitierempfehlung: Thomas Jung, Die Unfähigkeit zu lachen. Die permanente Wiedergeburt des Führers aus dem Geist der Unterhaltung, in: Zeitgeschichte-online. Zeitgeschichte im Film, März 2006, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/film/die-unfaehigkeit-zu-lachen

 

[1] Georg Seeßlen, Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kunst, Berlin 1994, S. 30.

[3] Der Regisseur Dani Levy nimmt ausdrücklich Bezug auf die Studie der Kinderpsychologin Alice Miller, die in ihrem Buch Am Anfang war Erziehung (1980) aus dem Theorem der „schwarzen Pädagogik“ die Gefahren potentieller späterer Verbrechen hergeleitet und dies u.a. für den „Fall“ Adolf Hitler beschrieben hat.

[4] Der auf dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest basierende Film Der Untergang vom Produzenten Bernd Eichinger und in der Regie von Oliver Hirschbiegel lief 2004/05 in den deutschen Kinos und hat einige Aufmerksamkeit – und Kritik – auf sich gelenkt.