von Olaf Stieglitz

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1. Mai 2007

Flags of Our Fathers. Dreamworks Pictures and Warner Bros. Pictures 2006, Drehbuch: William Broyles, Jr., u. Paul Haggis, nach dem Buch von James Bradley (mit Ron Powers), produziert von Clint Eastwood, Steven Spielberg u. Robert Lorenz, Regie: Clint Eastwood. Cast: Ryan Phillippe, Jesse Bradford, Adam Beach

 

„Saving the Good War“ – so überschrieben Trevor McCrisken und Andrew Pepper ein Kapitel ihres Buchs American History and Contemporary Hollywood Film (Rutgers University Press 2005, S. 89130). Darin untersuchen sie jüngere US-Kriegsfilme über den Zweiten Weltkrieg, etwa Saving Private Ryan (1998) oder Pearl Harbor (2001). Produziert nach dem Ende des Kalten Kriegs und vor dem Hintergrund erneut anwachsender Zweifel an den Motiven und Zielen amerikanischer Außenpolitik, griffen diese Filme nach Ansicht der beiden Autoren auf das stabile und populäre Narrativ vom „guten“ Zweiten Weltkrieg zurück, in dem die Vereinigten Staaten einen nicht gewollten, gerechten, uneigennützigen und nicht zuletzt erfolgreichen Krieg gegen Nazideutschland und das expansionistische Japan führten. Sie stünden dabei in einer langen Tradition von Filmen, in denen der Zweite Weltkrieg zur propagandistischen Herstellung und Stabilisierung von Heldentum und Patriotismus diente und Bilder von grausamen, verschlagenen und prinzipienlosen Feinden kreiert worden seien. Die Geschichte des US-amerikanischen Kriegsengagements zwischen Dezember 1941 und August 1945 gibt auch vielfach Anlass, dieses Narrativ als Mythos zu entlarven, aber im Vergleich etwa zu den Kriegen in Vietnam oder am persischen Golf bot die Repräsentation dieses besonderen militärischen Konflikts die Chance, Ambivalenzen unkompliziert im kulturell Vergessenen zu belassen.

Es ist Clint Eastwoods Anliegen, in seinen beiden Filmen über die Schlacht um die japanische Insel Iwo Jima eine komplexe, mehrdimensionale Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen, die sich gerade gegen die um dieses Ereignis konstruierten Mythen und Bilder (im wahrsten Sinne des Wortes) wendet. Davon zeugt allein schon die doppelte Perspektive des Gesamtprojekts, das sich eben durch zwei Filme mit entgegen gesetzten Blickwinkeln auszeichnet. Ist es daher womöglich unfair, Flags of Our Fathers, Eastwoods Darstellung der Dinge aus der Sicht der USA, für sich allein einer kritischen Würdigung zu unterziehen? Nein, denn Flags ist alles in allem ein gut gelungener und sehenswerter Film, der auch für sich allein gewichtige und nötige Argumente zu gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Debatten beisteuert.

Die Schlacht um Iwo Jima im Frühjahr 1945 hält einen beinahe unverrückbaren Platz im kulturellen Gedächtnis der Vereinigten Staaten über den Zweiten Weltkrieg inne; diese erste Eroberung japanischen Territoriums steht für den Anfang vom Ende des Kriegs im Pazifik wie die die Landung in der Normandie den Beginn der Befreiung Europas indiziert. Und von Iwo Jima stammt das – zumindest aus US-Perspektive vielleicht berühmteste Foto des Kriegs, aufgenommen vom Kriegsfotografen Joe Rosenthal, auf dem eine Gruppe Marineinfanteristen das Sternenbanner auf dem Berg Suribachi hisst. Jost Dülffer hat kürzlich in einem sehr lesenswerten Beitrag die Enstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser Ikone nachgezeichnet.[1] Dabei sind mehrere Aspekte bedeutsam, die auch für Eastwoods Film zentral sind: Erstens der Umstand, dass der auf diesem Bild zu sehende Akt gestellt war und dieser Szene eine erste Flaggenhissung durch zum Teil unterschiedliche Personen voranging; zweitens dass dieser Moment keinesfalls den Sieg der USTruppen und die Einnahme der Insel markierte, sondern eine geplante PR-Aktion am vierten Kampftag einer insgesamt 36 Tage andauernden Invasion war; und schließlich dass besagtes Foto und die darauf gezeigten Marines unmittelbar nach den Ereignissen und in großem Stil zu propagandistischen Zwecken eingespannt wurden. Schon kurze Zeit nach der Aufnahme war Rosenthals Foto in den USA beinahe omnipräsent; es wurde hunderte Male in der Presse abgedruckt, war auf Briefmarken und Plakaten zu sehen, die Darstellung wurde überlebensgroß als Plastik nachgebildet. Die Flaggenhissung auf Iwo Jima war das zentrale Bildmotiv für die siebte und letzte Kampagne zum Verkauf von Kriegsanleihen.

Der Film erzählt die Geschichte derjenigen drei auf dem Bild sichtbaren Soldaten, welche die nachfolgenden Kampftage überlebten und schließlich zu einer ausgedehnten Werbetournee durch die Vereinigten Staaten abkommandiert wurden, um die kriegsmüde amerikanische Bevölkerung durch ihr „heroisches Beispiel“ noch einmal für Anstrengungen und Entbehrungen zu begeistern. Die drei – historischen – Personen könnten unterschiedlicher kaum sein. Rene Gagnon (gespielt von Jesse Bradford) wird als eher unbeliebter Opportunist dargestellt, der aus seinem Ruhm auch materiell Vorteile ziehen möchte; Ira Hayes (Adam Beach), ein Native American, den schon Bob Dylan in einer Ballade würdigte, zerbricht rasch an seiner Rolle als Nationalheld; und John „Doc“ Bradley (Ryan Phillippe), der Erzähler im Film, dessen Sohn die Vorlage für den Film verfasste, ist ein „All-American-Boy“, der Zeit seines Lebens ein Trauma mit sich trug, als Sanitäter versagt zu haben. Flags webt drei Zeitebenen ineinander: Ein erster Handlungsstrang thematisiert die Recherchen James Bradleys, dessen Vater ihm nie etwas über sein angebliches Heldentum im „Good War“ erzählt hatte. Ebene zwei schildert die Ereignisse vor und während der eigentlichen Schlacht. Dabei tritt Eastwood bei aller Vorsicht doch immer wieder in die Fallen des Kriegsfilm-Genres. Gewalt bleibt in ihrer Repräsentation problematisch weil stets auch voyeuristisch und Bilder soldatischer Kameradschaft sind selten ohne Verklärung zu haben. Auf einer dritten Ebene schließlich will der Film die Skrupellosigkeit und Verlogenheit des US-Propaganda Apparats veranschaulichen, der Menschen gegen ihren ausdrücklichen Wunsch und durch gezielte Halbwahrheiten zu „Helden“ machte. Während dieser Szenen, bei der „Erstürmung“ eines Pappmaché-Suribachi in einem Baseball Stadion oder beim Gala Dinner mit Senatoren, auf dem die Flaggenhissung als Süßspeise zum Dessert gereicht wird, entfaltet der Film seine nachhaltigsten Eindrücke.

Der Kampf um die kleine Vulkaninsel mitten im Pazifik ist schon einmal verfilmt worden, 1949 unter der Regie von Allan Dwan. Sands of Iwo Jima wird heute vor allem deswegen erinnert, weil er den endgültigen Aufstieg John Waynes zum Superstar bedeutete und er in gewisser Weise am Anfang jener Tradition von Zweiter-Weltkriegs-Filmen steht, die McCrisken und Pepper kritisieren. Doch Sands war weit mehr als ein Propagandafilm, er enthielt eine Vielzahl von Aussagen, die ihn in die Diskurse der ausgehenden 1940er Jahre verorteten. Die bislang noch unveröffentlichte Kölner Dissertation von Uta Fenske etwa analysiert Sands überzeugend vor dem Hintergrund changierender Geschlechterentwürfe. In ganz ähnlicher Weise ist eben auch Flags of Our Fathers mehr als ein Historienfilm im Genre der „Combat Movies“. Vor zwei oder gar drei Jahren wäre Clint Eastwood für seine Kritik an Politik und Medien, an der Fabrikation „falscher Helden“ und an der inhumanen Verwertungslogik von Bürokraten in den USA gesteinigt worden. Der Krieg gegen den Terror hatte damals weite Teile einer kritischen Öffentlichkeit entweder für sich eingenommen oder verstummen lassen. Noch heute werfen ihm einige Kritiker Verrat vor, doch die Stimmung hat sich inzwischen gewandelt. Flags of Our Fathers zeigt, dass auch der auf den ersten Blick „gute Krieg“ seine Schattenseiten hatte, und die erneut kriegsmüde amerikanische Bevölkerung kann diese Botschaft leicht mit eigenen Eindrücken abgleichen. In diesem Sinne ist der Film ein Dokument seiner Zeit. Seine Einbettung in ein doppeltperspektivisches Gesamtprojekt wird dafür sorgen, dass er zu einer bedeutenden Referenz in film- und kulturhistorischen Arbeiten zum Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg werden wird.

 

Zitierempfehlung: Olaf Stieglitz, Flags of Our Fathers. Eine Filmbesprechung, in: Zeitgeschichte-online. Zeitgeschichte im Film, Mai 2007, URL: <http://www.zeitgeschichteonline. de/portals/_rainbow/documents/pdf/stieglitz_flags.pdf>.

 

[1] Jost Dülffer, Über­Helden ­ Das Bild von Iwo Jima in der Repräsentation des Sieges. Eine Studie zur US­  amerikanischen Erinnerungskultur seit 1945, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online­Ausgabe, 3 (2006) H. 2, S. 247­272.