von Florian Peters

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1. Mai 2016

Nachdem die nationalkonservative polnische Regierung in den ersten Monaten ihrer Amtszeit bereits das Verfassungsgericht lahmgelegt und den öffentlichen Rundfunk nach parteipolitischen Kriterien gesäubert hat, nimmt sie nun die Geschichtspolitik ins Visier: Ende April verabschiedete der Sejm mit den Stimmen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der rechtspopulistischen Kukiz-Bewegung eine Gesetzesnovelle zum „Institut des Nationalen Gedächtnisses“ (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), mit der das polnische Äquivalent zur ostdeutschen Gauck-Behörde zum zentralen Instrument einer „patriotischen“ Geschichtspolitik umgebaut werden soll. Das kurz vor der Eröffnung stehende, multiperspektivisch angelegte Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig würde der Kulturminister hingegen am liebsten zu einem regionalgeschichtlichen Zentrum für Militaria-Enthusiasten degradieren. Während die regierungsnahen Medien neu aufgetauchte Stasi-Unterlagen zur öffentlichen Demontage des Solidarność-Führers und Freiheitssymbols Lech Wałęsa nutzen, fördert die PiS-Regierung den Kult der antikommunistischen Widerstandskämpfer der späten 1940er Jahre nach Kräften. Anstelle der kompromissbereiten Solidarität der friedlichen Revolutionäre von 1989 soll offenbar der rücksichtslose „Patriotismus“ dieser sogenannten „verfemten Soldaten“ (żołnierze wyklęci) zur neuen Leitlinie staatlicher Geschichtspolitik in Polen werden. Damit stellt die Partei Jarosław Kaczyńskis die historische Legitimation des demokratischen Neuanfangs seit 1989 grundsätzlich infrage.
 

Auf dem Weg zum „Erinnerungs-Ministerium“?

Während die jüngst veröffentlichte Empfehlung der Expertenkommission des Deutschen Bundestags, die Stasiunterlagenbehörde (BStU) sukzessive in das reguläre Wissenschafts- und Archivsystem zu integrieren, den weitreichenden geschichtspolitischen Konsens dokumentiert, der in Deutschland über das symbolische Vermächtnis der Friedlichen Revolution in der DDR erreicht ist, schlägt Polen den genau entgegengesetzten Weg ein: Mit der vom Sejm beschlossenen Novellierung des IPN-Gesetzes werden die ohnehin schon weit gefassten Kompetenzen des im Jahr 2000 nach dem Vorbild der Stasiunterlagenbehörde gegründeten Instituts nochmals deutlich erweitert. Das IPN wird damit zu einer von der Geschichtswissenschaft an den polnischen Universitäten und Akademieinstituten weitgehend separierten Zentrale für staatliche Geschichtspolitik umgebaut, deren Führungsspitze unmittelbar dem politischen Willen der Parlamentsmehrheit unterworfen ist.

Das polnische Institut des Nationalen Gedächtnisses, mit einem Jahresetat von derzeit 269 Mio. Złoty (ca. 63 Mio. Euro) das mit Abstand ressourcenstärkste historische Forschungsinstitut Ostmitteleuropas, hat bereits eine bewegte Geschichte hinter sich: War es ursprünglich in erster Linie zur Erschließung der papierenen Hinterlassenschaften der kommunistischen Staatssicherheit eingerichtet worden, sah es sich gleich nach seiner Gründung mit der hitzigen Debatte um die polnische Beteiligung an der Ermordung der Juden von Jedwabne 1941 konfrontiert. Indem die mehrheitlich jungen Historiker des IPN mit verdienstvollen Forschungen zur Versachlichung dieser Debatte beitrugen, etablierten sie das Institut als ernstzunehmenden geschichtswissenschaftlichen Akteur. Darauf folgte jedoch eine Phase der Politisierung des Instituts unter dem 2005 gewählten Direktor Janusz Kurtyka, der ein stramm antikommunistisches Geschichtsbild vertrat und die Geheimdienstakten vor allem als Reservoir für die Kompromittierung von politischen Gegnern betrachtete. In seiner Amtszeit machte das IPN vor allem mit der Enttarnung tatsächlicher und vermeintlicher ehemaliger Stasi-Zuträger von sich reden. Erst nach Kurtykas Tod bei dem tragischen Absturz der polnischen Präsidentenmaschine in Smolensk 2010 kam das Institut wieder in ruhigeres Fahrwasser. Unter der Leitung des moderaten Konservativen Łukasz Kamiński konnte es durch die Pluralisierung und Öffnung seiner Forschung, etwa für gesellschafts- und geschlechtergeschichtliche Zugänge, auch im akademischen Feld verlorengegangene Reputation zurückgewinnen.

Diese Entwicklung soll nun umgekehrt werden: Mit der beschlossenen Gesetzesänderung wird die erneute Politisierung des IPN massiv vorangetrieben. Wurde der Präsident des Instituts bisher auf Vorschlag des IPN-Rates gewählt, in den die wichtigsten akademischen Selbstverwaltungsorgane der polnischen Geschichtswissenschaft renommierte Fachvertreter entsandten, entscheidet künftig allein das Parlament. Der wissenschaftliche Beirat wird durch ein IPN-Kollegium mit ausschließlich beratender Funktion ersetzt, dessen Mitglieder von den beiden Kammern des Parlaments sowie vom Präsidenten bestimmt werden, bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen also von der Regierungspartei nach Gutdünken ausgewählt werden können. Der Einfluss der Geschichtswissenschaft auf die Leitung des Instituts, der in den letzten Jahren dessen Unabhängigkeit von der Politik garantierte, wird vollständig eliminiert. Zugleich dürfte der geplante tiefgreifende organisatorische Umbau auch auf unteren Hierarchieebenen vielfach Gelegenheit zu personellen Veränderungen bieten.

Das geschichtswissenschaftliche Profil des IPN wird mit der Reform marginalisiert: Hauptaufgabe des Instituts soll künftig nicht mehr Wissenschaft, sondern Geschichtspolitik sein. Der PiS-Abgeordnete und Initiator der Gesetzesänderung Arkadiusz Mularczyk bekräftigte am 29. April im Sejm unmissverständlich, das Institut des Nationalen Gedächtnisses solle zu einer „effektiven Einheit zur Schaffung polnischer Identität, zum Aufbau von Stolz auf die polnische Geschichte“ umgestaltet werden.[1] Zu diesem Zweck wird unter anderem der bisher unabhängig agierende „Rat zum Schutz der Denkmäler von Kampf und Martyrium“ in das IPN integriert, sodass dieses fortan auch für den Unterhalt von Gedenkstätten und Kriegsgräberstätten zuständig ist. Besondere Bedeutung soll zudem der Exhumierung polnischer Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zukommen – die Zeitgeschichte soll also stärker als zuvor mit archäologischen und forensischen Methoden erforscht werden. Damit dürfte sich die Verlagerung des Tätigkeitsschwerpunkts des reformierten Instituts auf militärische Helden und Opfer zusätzlich verfestigen. Zu den neuen Aufgaben des IPN gehört schließlich, der Verbreitung „unwahrer, die Republik Polen oder die polnische Nation diffamierender historischer Inhalte“ im In- und Ausland entgegenzuwirken. Kritische Wissenschaftler wie der polnisch-amerikanische Soziologe Jan Tomasz Gross, der mit seinen Büchern zum polnisch-jüdischen Verhältnis im Kontext des Holocaust wiederholt zur Zielscheibe der polnischen Rechten wurde, dürften es also in Zukunft mit dem IPN zu tun bekommen. Nicht zu Unrecht sieht der Historiker und Publizist Adam Leszczyński das Institut auf dem Weg zu einem „Erinnerungs-Ministerium“.[2]

Reenactments auf der Westerplatte statt seriöser Musealisierung?

Dass die geschichtspolitische Offensive der neuen polnischen Regierung mit wissenschaftlich fundierter, selbstreflexiver Aufklärung über die Vergangenheit nicht viel gemein hat, lässt sich auch an einem anderen kürzlich aufgeflammten Konflikt ablesen: Mitte April kündigte Kulturminister Piotr Gliński völlig unvermittelt an, das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig in dem neugegründeten „Museum der Westerplatte und des deutsch-polnischen Krieges von 1939“ aufgehen zu lassen. Dieser Plan hat jedoch einen Schönheitsfehler: Das Museum des Zweiten Weltkriegs, das in einem ambitionierten Neubau am Rande der Danziger Altstadt angesiedelt ist und die polnischen Erfahrungen während des Krieges im globalen Kontext präsentieren soll, steht nach mehrjähriger Konzeptionierungs- und Bauphase kurz vor der Eröffnung – das „Museum der Westerplatte“ existiert dagegen bislang nur auf dem Papier. Den Ankündigungen des Kulturministeriums zufolge soll das erst im Dezember 2015 gegründete Museum den historischen Ort der deutsch-polnischen Gefechte auf der Westerplatte bei Danzig museal in Szene setzen und unter anderem auf die Expertise des lokalen Reenactment-Vereins zurückgreifen, der die Kämpfe im September 1939 mit authentischen Waffen nachstellt.[3]

Offenbar handelt es sich bei der geplanten Fusion dieser denkbar ungleichen Institutionen um ein Manöver mit dem durchsichtigen Ziel, den bisherigen Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs Paweł Machcewicz abzusetzen und damit inhaltlichen Einfluss auf die bereits in der Produktion befindliche Dauerausstellung zu gewinnen. Das insgesamt 450 Mio. Złoty (über 100 Mio. Euro) teure Museum des Zweiten Weltkriegs gilt als Prestigeprojekt der Vorgängerregierungen. PiS-Politiker halten den Museumsmachern seit Langem vor, sie würden den „polnischen Standpunkt“ nicht nachdrücklich genug vertreten. Allerdings scheinen sie sich ihrer Argumente nicht besonders sicher zu sein: Vier anonyme Gutachten, die diese Vorwürfe angeblich untermauern sollen, hält das Kulturministerium jedenfalls unter Verschluss.

Vergleicht man jedoch die Konzeption der beinahe fertiggestellten Danziger Ausstellung mit den vagen Ideen für das Westerplatte-Museum, zeigt sich nur zu deutlich, welche Art von Geschichtsvermittlung man sich im PiS-geführten Kulturministerium wünscht: Anstatt die polnischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs in ihren europäischen und globalen Kontext einzubetten und damit die zweifellos bemerkenswerten Errungenschaften etwa der polnischen Widerstandsbewegung erst richtig würdigen zu können, soll die Geschichte des Krieges auf die wenige Tage andauernde Abwehrschlacht auf der Danzig vorgelagerten Halbinsel Westerplatte reduziert werden. Die multiperspektivische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in der auch der leidvolle Kriegsalltag der Zivilbevölkerung, der schmale Grat zwischen Überlebenskampf und Kollaboration oder die ambivalente Rolle der Sowjetunion als Aggressor und späterer Befreier und Hegemon zur Sprache kommen, soll militaristischem Heldenkult und nationaler Selbstbespiegelung weichen.[4]

Der Versuch der PiS-Regierung, das ambitionierte, auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Debatten basierende Museumsprojekt mit administrativen Winkelzügen zu demontieren und einer allenfalls lokal relevanten Reenactment-Initiative unterzuordnen, löste heftige öffentliche Proteste im In- und Ausland aus.[5] Nicht zuletzt stellte sich der Danziger Stadtpräsident Paweł Adamowicz entschieden vor das Weltkriegsmuseum, indem er daran erinnerte, dass dessen Neubau auf städtischem Grund und Boden errichtet wird. Daraufhin lenkte das Kulturministerium scheinbar ein und versicherte Anfang Mai, auch das fusionierte Museum werde den Namen „Museum des Zweiten Weltkriegs“ tragen. Es steht freilich zu befürchten, dass es sich dabei um ein rein kosmetisches Zugeständnis handeln könnte. Ein eventueller Austausch der Museumsleitung und anschließende Korrekturen des Ausstellungskonzepts stehen weiterhin im Raum.
 

Die Demontage eines Freiheitssymbols

Das Gesetz zur Politisierung des Instituts des Nationalen Gedächtnisses und die Attacke auf das Museum des Zweiten Weltkriegs sind nur die greifbarsten Elemente der von der polnischen Rechtsregierung eingeleiteten geschichtspolitischen Wende. Letzten Endes zielt diese darauf ab, das von der friedlichen Überwindung des Kommunismus durch eine plurale Oppositionsbewegung geprägte polnische Geschichtsbild in Frage zu stellen. Der seit 1989 vorherrschenden zivilen, auf Anerkennung von Unterschieden und wechselseitige Aushandlungsprozesse orientierten Deutung der polnischen Zeitgeschichte will die PiS-Regierung einen militarisierten, auf nationale Interessen und den heroischen Kampf um deren Durchsetzung konzentrierten antikommunistischen Mythos entgegensetzen. Dafür braucht es nicht kritische Reflexion, sondern makellose Helden. Eine historisch nuancierte Erforschung der vielfältigen Verwicklungen der polnischen Gesellschaft in das kommunistische Projekt (oder auch nur in die Handlungszwänge der staatsbürokratischen Volksrepublik), wie sie sich das IPN gerade erst zaghaft zur Aufgabe gemacht hatte, ist der PiS deshalb ebenso ein Dorn im Auge wie die vom Museum des Zweiten Weltkriegs angestrebte transnationale Kontextualisierung der polnischen Helden- und Opfergeschichte.

Die Partei Jarosław Kaczyńskis stellt sich damit in die Reihe derjenigen, die den am Runden Tisch ausgehandelten Übergang vom Staatssozialismus zu Demokratie und Marktwirtschaft als Verrat liberaler Intellektueller betrachten und die damals vermeintlich unvollendet gebliebene antikommunistische Revolution nun zumindest symbolisch zu Ende führen möchten.[6] Deshalb beeilte sich die neue Parlamentsmehrheit, ein Vierteljahrhundert nach dem Niedergang des Staatssozialismus ein „Entkommunisierungs“-Gesetz zu verabschieden, mit dem Städte und Gemeinden verpflichtet werden, im Eiltempo die letzten verbliebenen Straßennamen aus staatssozialistischer Zeit umzubenennen. Was in der benachbarten Ukraine, in der nach dem Erfolg des Euromajdan allenthalben Lenin-Statuen vom Sockel gestürzt wurden, sinnvoll erscheinen mag, zeugt in Polen, wo schon lange kaum noch eine Gemeinde ohne Piłsudski- und Johannes-Paul-II.-Straße auskommt, eher von antikommunistischem Furor als von berechtigter Sorge um die Präsenz des staatsbürgerlichen Symbolhaushalts im öffentlichen Raum. Auch die letzten Denkmäler für die Soldaten der Roten Armee stehen nun zur Disposition. Dass die Rotarmisten das Land einerseits von der deutschen Besatzung befreiten, andererseits aber neue Unfreiheit brachten, lässt sich mit einem schwarz-weißen Geschichtsbild, das allein auf nationale Helden und Märtyrer fokussiert ist, offenbar schwer in Einklang bringen.

Die Radikalität der von der PiS forcierten Geschichtsrevision macht sich jedoch nicht daran fest, dass sie die letzten Kommunisten und Sowjetsoldaten von Polens Straßen und Plätzen fegen will – darüber herrscht unter den im polnischen Parlament vertretenen Parteien ohnehin weitgehend Einigkeit. Vielmehr nutzen die polnischen Nationalkonservativen die Gelegenheit, auch all jene einstigen Gegner des Kommunismus, die sie nicht für hinreichend ideologisch gefestigt halten, zu diffamieren und der Kollaboration zu bezichtigen, etwa linkssozialistische und liberale Exponenten der Oppositionsbewegung der 1980er Jahre.

In dieser Situation kam es gerade recht, dass im Februar bei einer Hausdurchsuchung in der Privatwohnung der Witwe des letzten kommunistischen Innenministers Czesław Kiszczak Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes entdeckt wurden, die offenbar frühe Kontakte des späteren Solidarność-Vorsitzenden Lech Wałęsa zur kommunistischen Geheimpolizei belegen. Zwar ist seit Jahren bekannt, dass die Staatssicherheit versuchte, den damals 27-jährigen Elektriker nach der blutigen Niederschlagung der Danziger Dezember-Unruhen von 1970 als Informanten zu gewinnen. Die neuen Unterlagen scheinen aber zu belegen, dass dieser tatsächlich eine Verpflichtungserklärung unterschrieb und sich länger als bekannt mit seinen Führungsoffizieren traf. Wałęsa selbst leugnet dies vehement; doch auch politischer Parteinahme unverdächtige Zeithistoriker wie Andrzej Friszke halten das Material für glaubwürdig.[7] Offenbar hatte der politisch noch unerfahrene Wałęsa in den Jahren 1970 bis 1973 mehr oder weniger geschickt versucht, der Staatssicherheit ein Schnippchen zu schlagen und sich damit zumindest zeitweise in deren Netzen verheddert. Ab 1973 lieferte IM „Bolek“ aber zusehends lakonischere Informationen, bevor die Geheimpolizei die Zusammenarbeit 1976 wegen wiederholter kritischer Auftritte Wałęsas endgültig beendete.

Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass diese Enthüllungen von den auf Parteilinie gebrachten staatlichen Medien zu einer ausgewachsenen Diffamierungskampagne gegen den Gewerkschaftsführer und Friedensnobelpreisträger genutzt werden. Obwohl die aufgetauchten Akten keinerlei Hinweise darauf liefern, dass Wałęsa nach 1976 erneut mit der Staatssicherheit kooperierte, wird insinuiert, Wałęsa sei auch als Solidarność-Führer Agent der kommunistischen Geheimpolizei gewesen. Damit betreiben PiS-nahe Medien und Historiker ironischerweise das Geschäft der einstigen Stasi-Offiziere, die bereits in den 1980er Jahren vergeblich versucht hatten, Wałęsa mit der Fälschung von belastenden Dokumenten eine Spitzeltätigkeit anzuhängen und damit die Verleihung des Nobelpreises an ihn zu verhindern. Heute dient die Demontage des Freiheitssymbols Wałęsa anderen Zwecken: Mit der Beschädigung der persönlichen Integrität des Solidarność-Führers soll die Glaubwürdigkeit der demokratischen Oppositionsbewegung unterminiert und die Genese des postsozialistischen Polen am Runden Tisch als vom Geheimdienst gesteuerte Elitenverschwörung präsentiert werden. Nicht die Institutionen der auf diese Weise kompromittierten „Dritten Republik“ sollen demnach als Hüter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erscheinen, sondern allein die im Namen der Nation auftretende PiS-Regierung, die mit dem als Hort von Transformationsgewinnlern denunzierten Verfassungsgericht ebenso rücksichtslos abrechnet wie mit den Kommunisten.
 

Verfemte Kämpfer statt friedlicher Revolutionäre

Da die tatsächlichen Bezwinger des kommunistischen Regimes somit als positive Bezugspunkte ausfallen, greift die PiS-Regierung in ihrer historischen Symbolpolitik in zuvor ungekanntem Maße auf die sogenannten „verfemten Soldaten“ (żołnierze wyklęci) zurück und adelt sie zu paradigmatischen Helden der polnischen Zeitgeschichte. Diese aus dem bewaffneten Untergrund der Kriegsjahre entstandenen Gruppen nationalistischer Partisanen, die den kommunistischen Staat bis in die frühen 1950er Jahre hinein bekämpften, zeichneten sich zwar nicht durch reale Erfolge aus, dafür aber durch besondere ideologische Verbissenheit und die strategische Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Eben dieser rücksichtslose Fanatismus ist es, der die radikalen Antikommunisten der Nachkriegszeit den Worten des Staatspräsidenten Andrzej Duda zufolge zu Vorbildern für die heutige polnische Jugend qualifiziert. Auf einem feierlichen Staatsbegräbnis für den in Nordostpolen aktiven Partisanenführer Zygmunt Szendzielarz „Łupaszka“, der 1950 in einem stalinistischen Schauprozess zum Tode verurteilt und 2013 vom IPN exhumiert wurde, bekräftigte Duda: „Heute erziehen wir die neuen Generationen nach ihrem Beispiel, nach ihrem Heldentum, damit sie so werden wie jene – ihrem Vaterland treu bis zum Ende“.[8]

Dass „Łupaszka“, ebenso wie viele andere „verfemte Soldaten“, aus heutiger Sicht alles andere als ein Held ohne Fehl und Tadel ist, erwähnte Duda nicht: Die irregulär agierenden nationalistischen Partisanen verübten regelmäßig blutige Attentate auf tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer der neuen Ordnung, begingen Raubüberfälle auf politisch Unbeteiligte und waren vereinzelt an Massakern an der nichtpolnischen Zivilbevölkerung beteiligt. Im Falle des nun mit höchsten staatlichen Ehren umgebetteten „Łupaszka“ weist eine jüngst vom IPN publizierte Studie minutiös nach, dass dieser für die Ermordung von mindestens 67 unschuldigen Zivilisten, mehrheitlich Frauen und Kindern, in dem litauischen Dorf Dubinki und Nachbardörfern im Juni 1944 verantwortlich war und sich dabei auch über ausdrückliche Befehle seiner Vorgesetzten aus der Armia Krajowa hinwegsetzte, die Racheakte an der Zivilbevölkerung kategorisch untersagten.[9] Tausende Menschen, die am 24. April an der Trauerfeier für „Łupaszka“ auf dem Warschauer Friedhof Powązki teilnahmen, störte dies offenbar nicht. Im Gegenteil: Einige der Anwesenden nahmen sich den Aufruf des Präsidenten, in die Fußstapfen der „verfemten Soldaten“ zu treten, schon während der Trauerfeier so sehr zu Herzen, dass sie die Mitarbeiter des regierungskritischen Privatsenders TVN tätlich angriffen und schließlich die Kabel des Ü-Wagens durchschnitten, um eine Übertragung der Feierlichkeit zu verhindern.[10]

Zwar förderten bereits die liberalkonservativen Vorgängerregierungen das Gedenken an die antikommunistischen Kämpfer der Nachkriegszeit. Der Nationale Gedenktag für die żołnierze wyklęci, der in Polen am 1. März begangen wird, wurde noch auf Initiative des verstorbenen Präsidenten Lech Kaczyński eingeführt, von dessen Nachfolger Bronisław Komorowski aber ebenfalls unterstützt. Auch die Umwandlung der Warschauer Untersuchungshaftanstalt an der Rakowiecka-Straße in ein zentrales Museum für die „verfemten Soldaten“, die nun von der PiS-Regierung vorangetrieben wird, war schon von Komorowski angeregt worden. War die staatliche polnische Geschichtspolitik bisher aber stets zivil akzentuiert und reflexiv eingebettet, verschiebt sich der Schwerpunkt nun immer mehr auf militärische Aspekte und deren unkritisches Nacherleben, etwa in Form von Reenactments der Partisanenkämpfe.

Bemerkenswert ist, dass der problematische Mythos der żołnierze wyklęci inzwischen sogar die wichtigsten Fluchtpunkte der bisherigen „patriotischen“ Geschichtskultur in den Schatten zu stellen beginnt: den polnischen Untergrundstaat, der während des Zweiten Weltkriegs ein einzigartiges konspiratives Netzwerk zur sozialen, kulturellen und nationalen Selbstbehauptung etablierte, und den Warschauer Aufstand, in dem sich der entschiedene polnische Widerstand gegen die deutsche und die sowjetische Unterdrückung manifestierte. Sowohl die auf die Sicherung von Restbeständen staatlicher Ordnung ausgerichtete Tradition des Untergrundstaates, als auch der auf ein politisch plurales Nachkriegspolen abzielende Warschauer Aufstand verblassen in der neuen Geschichtspolitik der polnischen Rechten gegenüber den unbeugsamen Kämpfern aus den Wäldern, mit denen sich popkulturell attraktive Attribute wie Aufbegehren, anarchischer Widerstand und Männlichkeit verbinden. Auf den T-Shirts von jungen Rechtsradikalen und Fußball-Hooligans, die der Tradition des protofaschistischen National-Radikalen Lagers (Obóz Narodowo-Radykalny, ONR) der Zwischenkriegszeit huldigen, hat die Symbolik der antikommunistischen Partisanen die Warschauer Aufständischen schon verdrängt – die PiS-Regierung verleiht dieser neurechten Popkultur nun die offiziellen Weihen staatlicher Geschichtspolitik.[11]

Wohin der geschichtspolitische Flirt der nationalkonservativen PiS mit dem rechten Rand führen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Dennoch gilt auch in dieser Hinsicht: Noch ist Polen nicht verloren. Seit Monaten demonstrieren tausende Polinnen und Polen gegen die Politik der PiS-Regierung. Am 7. Mai 2016 waren es eine Viertelmillion Menschen, die in Warschau gegen bornierten Nationalismus und für europäische Werte auf die Straße gingen. Organisiert werden sie von einer Graswurzelbewegung, die sich „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (Komitet Obrony Demokracji, KOD) nennt und damit bewusst an das „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (Komitet Obrony Robotników, KOR) anknüpft, die Keimzelle der demokratischen Opposition im spätsozialistischen Polen. Die polnische Zeitgeschichte ist glücklicherweise zu vielschichtig, als dass sie sich auf das Legitimationsreservoir einer nationalistischen Parteiideologie reduzieren ließe.

 

[1] Sprawozdanie Stenograficzne z 17. posiedzenia Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej w dniu 29 kwietnia 2016 r., S. 222.
[2] Adam Leszczyński: Będzie Ministerstwo Pamięci, Gazeta Wyborcza, 1.4.2016, S. 2.
[3] Vgl. Sellin o Muzeum Westerplatte i dumie narodowej. „Chcemy opowiedzieć o całej wojnie obronnej w 1939 r.“, wPolityce.pl, 23.1.2016.
[4] Das Konzept der Ausstellung ist auf der Website des Museums des Zweiten Weltkriegs einsehbar: Program funkcjonalno-merytoryczny wystawy głównej Muzeum II Wojny Światowej, Januar 2016; vgl. auch den Beitrag von Timothy Snyder, der dem Programmbeirat des Museums angehört: Poland vs. History, The New York Review of Books, 3.5.2016.
[5] Siehe etwa die Vielzahl auf der Museumswebsite veröffentlichen Unterstützungsschreiben aus dem In- und Ausland.
[6] Vgl. James Mark: The unfinished revolution. Making sense of the communist past in Central-Eastern Europe. New Haven 2010.
[7] Vgl. Friszke: Mam wątpliwości, czy to pismo Wałęsy, Gazeta Wyborcza, 25.2.2016, S. 4.
[8] Wystąpienie prezydenta na uroczystościach pogrzebowych płk. Zygmunta Szendzielarza „Łupaszki“, 24.4.2016.
[9] Paweł Rokicki: Glinciszki i Dubinki. Zbrodnie wojenne na Wileńszczyźnie w połowie 1944 roku i ich konsekwencje we współczesnych relacjach polsko-litewskich. Warszawa 2015.
[10] Siehe Sebastian Klauziński: Kto zerwał kable TVN24, Gazeta Wyborcza, 27.4.2016, S. 5.
[11] Vgl. Wszystkie koszulki Kukiza. Rozmowa z prof. Rafałem Wnukiem, Gazeta Wyborcza, 20.2.2016, S. 24f.