von Peter Schraeder, Katherina Anders

  |  

1. Juni 2015

Der 25. April wird in den Pazifikstaaten als nationaler Gedenktag begangen, dem „Anzac Day“[1], an dem Neuseeland und Australien an die Schlacht von Gallipoli erinnern. Es waren australische und neuseeländische Truppen, die vor 100 Jahren auf Gallipoli landeten und unter britischer Flagge gegen das Osmanische Reich um die Halbinsel kämpften. Wer Gallipoli beherrschte, kontrollierte auch die Dardanellen und damit den Zugang zum Schwarzen Meer. Zigtausende starben in dieser Schlacht des Ersten Weltkriegs.[2] Obwohl die australisch-neuseeländischen Truppen die Schlacht verloren, kam ihr eine wichtige Rolle zu: Sie wurde als wichtiger Schritt der australischen und neuseeländischen Nationsbildung verstanden. Doch auch für die Türkei ist der 25. April von großer Bedeutung, wird doch an diesem Tag an den Sieg über die Anzac-Truppen erinnert. Die offizielle türkische Thematisierung der Schlacht auf der Halbinsel Gallipoli setzte in den 1980er Jahren ein, als in immer größerer Zahl australische Touristen begannen, zum Ort der Schlacht zu pilgern. Heute stellt die Halbinsel in der türkischen Erinnerungskultur einen bedeutenden Ort dar: In diesem Jahr lud Präsident Erdogan aus Anlass des Jahrestages über 70 Staats- und Regierungschefs nach Ankara ein.[3]

Zeitgleich mit dem „Anzac Day" startete in den USA ein Film, der den Ausgang der Schlacht von Gallipoli aufgreift: das Regiedebüt des australisch-neuseeländischen Schauspielers Russell Crowe „Das Versprechen eines Lebens“, in dem er, zudem in der Hauptrolle, als australischer Farmer Joshua Connor mit dem Verlust seiner drei Söhne kämpft, die vermeintlich auf Gallipoli gestorben sind. Seiner Frau verspricht er, die Söhne zurück in die Heimat zu bringen. Erschüttert von dem erlittenen Verlust ertränkt sie sich jedoch, woraufhin Joshua sich auf den Weg nach Istanbul macht, um die Überreste seiner Söhne zu finden und in der Heimat zu begraben.

In der deutschen Presse wurde „Das Versprechen eines Lebens“ recht zwiespältig aufgenommen. Während der Film von einigen Kritikern als „eindrucksvoller Antikriegsfilm“[4] gelobt wurde, kritisieren andere, dass der positive Ansatz des Films durch „folkloristische Naivität und [eine] schmalzige Lovestory“ verdorben würde.[5] Auf internationaler Ebene jedoch wurde eine weit größere Kontroverse ausgelöst: Insbesondere in den USA wurde Crowe dafür kritisiert, dass er in seinem Werk an keiner Stelle den Genozid an den Armeniern durch die jungtürkische Regierung thematisiert. Der Film könne nicht 1919 in der Türkei spielen, ohne dass die Verbrechen an den Armeniern thematisiert würden - genauso wie ein Film nicht in Nazi-Deutschland spielen könne, ohne die Verbrechen an den Juden zu erwähnen. So wurde dem Film Feigheit und Beschönigung der historischen Ereignisse vorgeworfen. Dass der Film zudem im Jahr 2015 – hundert Jahre nach dem Genozid - in den Kinos anlief, ohne diesen zu erwähnen, führte zu Protesten, in denen dazu aufgerufen wurde, den Film zu boykottieren.[6]

Russel Crowes Regiedebüt ist allerdings nicht der erste Film der sich mit diesem Sujet beschäftigt - im Jahr 1981 drehte der (ebenfalls) australische Regisseur Peter Weir „Gallipoli“. Der Film spiegelte in erster Linie die australische Perspektive wider. „Gallipoli“ war mit Mel Gibson prominent besetzt und zeigte das sinnlose Sterben australischer Soldaten in der Schlacht um die Halbinsel. In Australien wurde der Film begeistert aufgenommen. „Das Versprechen eines Lebens“ unterscheidet sich von „Gallipoli“ vor allem durch den zeitlichen Rahmen der Handlung: Crowes Film spielt 1919, in der Zeit der Kriegswirren innerhalb der Türkei, wo hingegen „Gallipoli“ sich auf die Schlacht konzentriert. Anders als Weir wollte Crowe auch die türkische Sicht auf das Geschehen darstellen. Dies wird bereits in der ersten Szene deutlich: 

Die osmanischen Soldaten befinden sich in ihrem Schützengraben, vor ihnen liegt ein von Leichen übersätes Schlachtfeld. Der General gibt das Zeichen zum Angriff. Entschlossen stürmen die Soldaten auf den Schützengraben zu und erreichen die Stellung ihrer Gegner. Die Gräben sind, zum Erstaunen der Soldaten, leer. Bei den Truppen kommt Jubel auf. Eben noch haben sie um ihr Leben gefürchtet, jetzt sehen sie ihre Gegner, die britischen Truppen, auf Schiffen davonfahren.
Das Osmanische Reich gewinnt an diesem Tag die Schlacht um die Halbinsel Gallipoli. Klar wird, worum es in „Das Versprechen eines Lebens“ nicht gehen soll: um eine Lobeshymne auf den tapferen australischen Soldaten, der gegen die Osmanen in den Krieg zieht. Vielmehr sollen beide Perspektiven auf die Schlacht gezeigt werden. Dem Australier Joshua Connor wird beispielsweise der türkische Major Hassan an die Seite gestellt, mit dem er sich im Laufe der Handlung anfreundet.
Vor dem Hintergrund der türkischen Erinnerungskultur überrascht es daher nicht, dass sich im Publikum der Berliner Kinos zahlreiche Zuschauer mit türkischen Wurzeln finden.

Die Schlacht von Gallipoli ist zwar Ausgangspunkt der Handlung, jedoch wird diese nur in kurzen Rückblenden dargestellt, die eindringlich das Leid der Soldaten zeigen. Auf dem Schlachtfeld liegen zerfetzte Körper, Menschen sterben langsam und qualvoll. Zudem zeigen die Rückblenden von 1915, welche Folgen der Erste Weltkrieg nach seinem offiziellen Ende für die Beteiligten hatte.

Joshua Connor macht sich im Jahr 1919 auf die Suche nach den Leichen seiner Söhne, in einer Zeit, in der der Krieg schon vorbei, der Kampf um die Macht in der Türkei aber längst noch nicht entschieden ist. Türkische Nationalisten demonstrieren gegen die britischen Besatzer, ehemalige osmanische Soldaten schließen sich einer Untergrundbewegung an, und diese wird von griechischen Eroberern angegriffen. Im Jahr 1919 beginnt der Griechisch-Türkische Krieg; mit Billigung Englands landen die griechischen Truppen in der Türkei.

Neben diesen Eindrücken erfährt der Zuschauer jedoch kaum etwas über den historischen Kontext und die strategische Bedeutung der Halbinsel Gallipoli. Zentrale Figuren der Schlacht werden nicht thematisiert, so wie etwa der für die britischen Truppen zuständige Erste Lord der Admiralität (und spätere Marineminister) Winston Churchill: Der spätere britische Premierminister unterschätzte die türkischen Truppen enorm. Er rechnete nicht damit, dass die Halbinsel so entschlossen verteidigt werden würde. Die Niederlage hatte er zu verantworten, was seinen Rücktritt im Mai 1915 zur Folge hatte. Neben Winston Churchill fehlt auch auf türkischer Seite eine zentrale Figur. Der führende türkische Befehlshaber, Mustafa Kemal Atatürk, wird im Film nicht erwähnt. Kemal schaffte es, unter dem Kommando des deutschen Verbündeten Otto Liman von Sanders die Anzac-Truppen abzuwehren. Durch die gewonnene Schlacht von Gallipoli gelang es dem jungen Offizier, an Ansehen zu gewinnen; er wurde in der Folge des Sieges zum General ernannt und erhielt den Ehrentitel „Pascha“. Dies legte den Grundstein für seine politische Karriere. 1923 gründete er die demokratische Republik Türkei, den Nachfolgestaat des im Ersten Weltkrieg zerbrochenen Osmanischen Reiches.[7]

Dadurch, dass diese strategisch wichtigen Ereignisse im Film nicht erwähnt werden, ist die Bedeutung der Schlacht um Gallipoli für den Zuschauer nicht nachvollziehbar. Statt der großen Schlachten und ihrer Protagonisten stehen Einzelschicksale im Zentrum der Geschichte. So entsteht der Versuch, dem Massensterben ein Gesicht zu geben.

Die Inszenierung der Suche Joshuas, die die Handlung des Films bestimmt, lässt zeitweise vergessen, dass „Das Versprechen eines Lebens“ in der Nachkriegszeit spielt. Aus der Vogelperspektive sieht man Joshua Connor wahlweise durch die australische Wüste oder das anatolische Hochland reiten -  hierdurch entstehen beeindruckende Bilder, die ein wahres Filmepos à la „Gladiator“ erschaffen sollen. Tatsächlich verliert auch die Figur, die Crowe in „Gladiator“ darstellt, ihre Familie. Es scheint, als wolle der Schauspieler und Regisseur mit bewährten Rezepten an alte Erfolge anknüpfen.

Ein weiteres Motiv bei der Suche nach den Söhnen ist die zentrale Rolle der Religion. Zwar scheint der Vater zu Beginn des Films nicht besonders gläubig zu sein, jedoch ist es für ihn enorm wichtig, die tot geglaubten Söhne zurück nach Australien zu bringen, damit sie in „geweihter Erde“ begraben werden können. Die Suche erinnert stark an das biblische Gleichnis des verlorenen Sohnes.
Crowe versucht zudem, mittels eines Märchens Bezüge zwischen der orientalischen und der australischen Kultur herzustellen. So sieht man in einer der zahlreichen Rückblenden Joshua, wie er seinen damals noch sehr jungen Söhnen aus dem Buch „Tausendundeine Nacht“ vorliest. Ebendieses nimmt Joshua auch mit auf die Reise nach Gallipoli.
Doch nicht allein die Suche nach den Söhnen spielt eine zentrale Rolle - die sich anbahnende Romanze zwischen dem Australier Joshua und der Türkin Ayshe versucht eine Verbindung zwischen den beiden Kulturen aufzubauen, kommt dabei jedoch nicht ohne die gängigen Klischees aus. So drängt der Schwager der verwitweten Ayshe auf eine baldige Hochzeit mit ihm, um die „Familienehre“ zu wahren. Neben einem Übermaß an Klischees behindert der romantische Nebenstrang den Fortlauf der Handlung. Die eigentliche zentrale Handlung gerät zeitweise in den Hintergrund.

In seinem Regiedebüt setzt Russell Crowe vor allem auf die Wirkung mächtiger Bilder: beeindruckende Landschaften, abenteuerliche Verfolgungsjagden, das Panorama Istanbuls, die Verzweiflung der Bevölkerung. Crowe inszeniert seine Figur Joshua Connor als harten Einzelgänger, der durch Willensstärke und die scheinbar magische Fähigkeit, Wasserquellen zu finden, in der Lage ist, unüberwindbare Hindernisse zu besiegen. Wie Joshua diese Probleme zu lösen weiß, bleibt jedoch unklar.
Ohne den historischen Kontext und durch die fehlende Klärung zentraler Begriffe wie „Anzac“ mag es dem einen oder anderen Zuschauer in den deutschen Kinos an Verständnis fehlen. Auch die Darstellung der Kriegsfolgen für die Türkei bleibt im Ansatz stecken. Die vielen Rückblenden veranschaulichen das Leid und die Sinnlosigkeit des Krieges zwar sehr eindringlich, als historisch informativ lässt sich „Das Versprechen eines Lebens“ jedoch nicht bezeichnen.




[1] Anzac steht für Australian and New Zealand Army Corps.
[2] Hintergründe zur Schlacht von Gallipoli siehe: Macleod, Jennifer: Gallipoli. Making history. London 2004. Oder unter: Yanıkdağ, Yücel: Ottoman Empire/Middle East, in: Ute Daniel, u. a. (Hr.): 1914-1918-online.International Encyclopedia of the First World War (19.12.2014). URL: http://dx.doi.org/10.15463/ie1418.10522  (28.05.2015).
[3] Näheres zum diesjährigen „Anzac Day“ in Australien und Neuseeland unter: Fähnders, Till: Dröhnendes Gedenken, in: faz.net (25.04.2015). URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/der-erste-weltkrieg/anzac-staaten-ged.... (21.05.2015). In der Türkei wurde der „Anzac Day“ in diesem Jahr am 24. April begangen, dem Tag des Gedenkens an den Völkermord an den Armeniern: Croitoru, Joseph: Ein türkischer Krieg wird zur Waffe, in: faz.net (23.04.2015). URL: (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/schlacht-von-gallipoli-ab... (21.05.2015).
[4] Mundt, Wolfgang: Eindrucksvoller Kriegsfilm. Russel Crowes „Das Versprechen eines Lebens“, in: noz.de (08.05.2015). URL: http://www.noz.de/deutschland-welt/medien/artikel/573638/russell-crowes-... (24.05.2015).
[5] Elstermann, Knut: Kriegsfilm. Das Versprechen eines Lebens, in: radioeins.de (07.05.2015). URL: http://www.radioeins.de/themen/kunst_kultur/filme/das-versprechen-eines-... (24.05.2015)
[6] O’Hehir, Andrew: What Armenian genocide? “The Water Diviner,” Russell Crowe’s disgraceful Turkish fantasy, in: salon.com (22.04.2015). URL: http://www.salon.com/2015/04/21/what_armenian_genocide_%E2%80%9Cthe_wate... (24.05.2015).
[7] Vgl.: Tröndle, Dirk: Mustafa Kemal Atatürk. Mythos und Mensch. Zürich 2012.