von Christoph Classen

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1. April 2013

Warum die ZDF-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" in ihrem Bemühen scheitert, uns die NS-Zeit auf neue Weise näher zu bringen

Keine Frage: mit dem Kriegs-Epos „Unsere Mütter, unsere Väter“ ist dem ZDF pünktlich zu seinem 50. Geburtstag ein Achtungserfolg gelungen: mehr als sieben Millionen Zuschauer haben die drei Folgen bei der Erstausstrahlung im März durchschnittlich gesehen, der Marktanteil lag jeweils zwischen 20 und 25%. Besonders wird die Programmverantwortlichen gefreut haben, dass es der als „Rentnersender“ verschrienen Anstalt dabei gelungen ist, vergleichsweise viele jüngere Zuschauer zu gewinnen – wobei „jünger“ hier relativ zum sonstigen ZDF-Stammpublikum zu verstehen ist, denn darunter subsumiert die Statistik großzügig auch die reifere Jugend, nämlich alle unter 50.

Beeindruckender noch als die Zuschauerresonanz ist das Echo in den Medien ausgefallen. Es blieb nicht, wie in anderen Fällen, auf ein bestimmtes Segment von Öffentlichkeit begrenzt. Vielmehr reichte es von ausführlichen Kritiken in den Feuilletons der Qualitätszeitungen über zahlreiche Interviews und Talkshows mit den Machern und Zeitzeugen, beteiligten Schauspielern, Nachgeborenen etc. in Radio und Fernsehen bis hin zur Boulevardpresse und den Blogs im Internet. Die mittlerweile gängige Marketing-Strategie großer TV-Sender, fiktionales Geschichtsfernsehen zur Profilierung zu nutzen, indem die Ausstrahlung einzelner Produktionen als „Event“ inszeniert wird: selten ist sie so gut aufgegangen wie im Fall dieses aufwendig produzierten, ca. 14 Millionen Euro teuren Mehrteilers.

Allerdings ist dieser Erfolg keineswegs völlig beispiellos. Andere deutsche Historien-Dramen wie „Die Sturmflut“ (RTL 2006), „Dresden“ (ZDF 2006) oder „Die Flucht“ (ARD, 2007) – manche ebenso wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ von der Potsdamer UfA-Tochter „teamWorx“ produziert – erreichten sogar noch mehr Zuschauer. Was im aktuellen Fall tatsächlich frappiert, ist die – zumindest anfangs – völlige Abwesenheit von Kritik. Stattdessen wurde die Produktion praktisch in allen Medien von der „Welt“ bis zur taz mehr oder minder überschwänglich gelobt: entstanden sei ein „grandiose[r] Antikriegsfilm“ (FR), ein „epochales Ereignis nicht nur der Fernsehgeschichte“ („Welt am Sonntag). Auch in der „Zeit“ waren sich Produzent Nico Hofmann und der Historiker Götz Aly rasch über die volkspädagogisch heilsame Wirkung einig. Übertroffen wurde all das von der FAZ, die eine regelrechte Kampagne entfaltete, mit ihrem Herausgeber Frank Schirrmacher an der Spitze, flankiert von diversen Interviews mit Beteiligten, Leserdebatte auf faz-net und einer apologetischen Indienstnahme für die kriselnde EU unter dem schrägen Titel „Was die Geschichte dieses Films uns lehrt“ durch den Parlamentspräsidenten Martin Schulz höchst selbst. Erst mit mehrtägiger Verzögerung erschienen einige kritische Kommentare, unter anderem von Ulrich Herbert und Jan Feddersen in der taz.

Schirrmacher erging sich in seinem Leitartikel nicht nur in pathetischen Superlativen („eine neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus“, die zeige, „was öffentlich rechtliches Fernsehen vermag“), sondern formulierte auch gleich eine Art Gebrauchsanweisung zum „inter-generational viewing“: „Trommeln Sie am Sonntag die Familie zusammen und sehen Sie fern. Wo immer möglich, sollten Eltern den ZDF-Dreiteiler […] zusammen, mit ihren Kindern ansehen [...]. Und dort, wo es die Familiendemographie erlaubt, zusammen mit den Kindern der Kinder.“ Damit formulierte die „FAZ“, ansonsten populären Geschichtsdarstellungen keineswegs immer zugetan, den passenden Appell zum Anspruch der Filmemacher: Kurz vor dem Ende der Zeitzeugenschaft des Nationalsozialismus sollen die Generationen miteinander ins Gespräch und zu gegenseitigem Verständnis gebracht werden – so jedenfalls die zuständige Hauptabteilungsleiterin beim ZDF, Heike Hempel, in einem zeitgleich mit dem FAZ-Artikel erschienen Statement in „epd medien“. Diese Koinzidenz mag Zufall sein, aber die Tatsache, dass Hempel mit dem Feuilletonchef der FAZ verheiratet ist, lässt daran doch gewisse Zweifel aufkommen.

Jedenfalls genügt eine simple demografische Rechenübung, um diesen als „letzte Chance“ apostrophierten Anspruch als vermessen zu erkennen: Die (wie die fiktionalen Protagonisten des Films) in den 1920er Jahren Geborenen, die Nationalsozialismus und Krieg noch als Erwachsene oder Jugendliche erlebt haben, sind heute zwischen 83 und 93 Jahre alt. So sie überhaupt noch auskunftsfähig sind, liegt die Frage nahe: Was sollten sie jetzt erzählen, was sie nicht längst in mehr oder minder stereotypisierten Erzählungen preisgegeben haben? Das Scheitern intergenerationeller Kommunikation, es hätte nicht eindrucksvoller vorgeführt werden können als in der parallel ausgestrahlten ARD-Talk-Show „Günter Jauch“, wo es Panzergrenadier-Opa, Sohn und Enkelin trotz großen Bemühens seitens des Moderators nicht schafften, über die Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. Die hier spürbare Verlustangst, die sich mit dem Ende der Zeitzeugenschaft verbindet, resultiert aus der Sorge, damit gehe ein unmittelbarer Zugang zu dieser für die deutsche Geschichte zentralen Epoche verloren. Doch damit wird die Authentizität persönlicher Erinnerungen überschätzt: Sie verändern sich im Laufe der Zeit und passen sich an verbreitete Deutungsmuster und gesellschaftliche Erwartungen an. So bitter das für jeden von uns bisweilen ist: auch das individuelle Gedächtnis bietet keinen unverstellten Zugang zur Vergangenheit.

Nun ist das Problem, dass der Film schlicht zu spät kommt, um die Kriegsteilnehmergeneration noch einmal zum Sprechen zu bringen, eine Sache. Eine andere Frage ist, ob hier nicht unabhängig davon tatsächlich etwas Neues geboten wird, eine neue Art die NS-Vergangenheit im Fernsehen zu erzählen. Auch das kann man mit guten Argumenten bezweifeln. Denn grundsätzlich bewegt sich die Produktion im Mainstream der sogenannten Doku-Dramen, einer Melange aus historisch-authentischem Anspruch und populärer Spielfilmdramaturgie. Dieses Muster ist in den USA bereits seit den 1970er Jahren etabliert und auch im deutschen Fernsehen seit mehr als den zehn Jahren vielfach erprobt. Gerade „teamWorx“ gilt hierzulande als Pionier dieses Subgenres. Ein Problem dieses Formats ist das generelle Spannungsverhältnis zwischen populären (und damit eben zeitgeistigen) Darstellungskonventionen und historischem Authentizitätsanspruch. Es ist auch dieser Produktion anzumerken: Beispielsweise wirken die Protagonisten kaum wie junge Leute, die im frühen 20. Jahrhundert sozialisiert worden sind, sondern eher wie Kinder der heutigen individualisierten Konsumgesellschaft. Das mag das Identifikationspotential für junge Zuschauer stärken, schränkt aber zugleich das historische Erkenntnispotential ein.

Wirklich neu ist hingegen die Übertragung von dramaturgischen Mustern und Bildästhetiken aus aktuellen US-amerikanischen Serien in einen deutschen Fernsehmehrteiler. Gearbeitet wird unter anderem mit sehr kurzen, eng gestaffelten Spannungsbögen, schnellen Schnitten und extrem harten Gewaltdarstellungen, die teils in slow motion und mittels Nahaufnahmen ästhetisiert werden. Die Orientierung an aktuellen kommerziellen Premium-Serien wie auch am Hollywood Kriegsfilm ist unübersehbar (und wird von den Produzenten selbst eingeräumt). Allerdings bleiben auch dabei Friktionen nicht aus. Insbesondere der bisweilen pathetische off-Kommentar hat bei jüngeren Zuschauern Belustigung ausgelöst, wie sie im Gespräch mit dem Produzenten Nico Hofmann bekannten. Es bleibt der Eindruck, dass diese Form des (im Original) spielerisch-leichten Erzählens und der hier gleichzeitig aufrecht erhaltene, mehr oder minder angestrengt wirkende Anspruch auf Authentizität und Repräsentativität der Geschichtsdarstellung nicht recht zueinander passen wollen.

Gelobt worden ist der Mehrteiler schließlich für seine gesellschafts- und erfahrungsgeschichtliche Perspektive, die die Darstellung von Verbrechen nicht ausspare, sondern zeige, wie an der Ostfront „ganz normale“ Soldaten zu Mördern geworden seien. Dies sei „wichtig und neu“, postulierte etwa der NS-Spezialist Norbert Frei aus Jena. Tatsächlich lassen die Darstellungen nicht an Eindeutigkeit zu wünschen übrig. Erkennbar ist auch das Bemühen, vermittels der Protagonisten die Verstrickung der Bevölkerung in das System und die Verbrechen des Regimes zu zeigen. Karrierismus, ideologischer Glaube, blinder Gehorsam und materielle Bereicherung werden völlig zu Recht als individuelle Motive gezeigt, ohne die das System nicht hätte funktionieren können. Doch das provokative Potential, das in der Perspektive „von unten“ liegt, wird rasch wieder zurückgenommen. Die Konzentration auf den Krieg gegen die Sowjetunion und die Generation der etwa 20-jährigen sorgt dafür, dass es hier der „Moloch Krieg“ ist, der die „anständigen“, jungen Deutschen in seine Brutalisierungslogik zieht, um sie am Ende selbst zu Opfern zu machen. Das erinnert fatal an das larmoyante Selbstbild der Deutschen nach dem Krieg, die sich in erster Linie als Opfer von Krieg und Nationalsozialismus gesehen haben. Wirklich schuldig sind beim ZDF wieder nur die Anderen: die reichlich klischiert gezeichneten Gestapo-Sadisten und Karriere-Nazis. Hier wird ein harmonisierender Zug spürbar, vielleicht erklärbar aus den Beweggründen von Autor Kolditz und Produzent Hofmann, die beide angegeben haben, dass das Projekt für sie auch eine persönlich motivierte Auseinandersetzung mit ihren am Krieg beteiligten Vätern darstelle.

Bisweilen ist „Unsere Mütter, unsere Väter“ mit dem US-amerikanischen Vierteiler „Holocaust“ verglichen worden, der 1978/79 eine Zäsur in der Erinnerungskultur hinterlassen hat. Es gehört wenig prophetische Gabe zu der Prognose, dass dies hier nicht gelingen wird, nicht nur, weil dieser Mehrteiler für die Überlebenden zu spät kommt. Auch wenn uns die perfekt geölte PR-Maschinerie und eine offenbar leicht zu beeindruckende Fernsehkritik etwas anderes weismachen wollen: Eine wirkliche Innovation oder gar erinnerungskulturelle Provokation wie seinerzeit von „Holocaust“ geht davon nicht aus. Vielmehr scheint der Film zu versuchen, es allen recht zu machen: Den Kriegsteilnehmern, die sich weiterhin primär als Opfer sehen können, ihren Kindern, die ihnen einst Vorwürfe gemacht haben und den Enkeln, die hauptsächlich auf coole Fernsehserien stehen. Gute Unterhaltung, nationale Geschichtsstunde und Versöhnung der Generationen – das ist definitiv mehr als selbst gut gemachtes Geschichtsfernsehen leisten kann.