von Rüdiger Hachtmann

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1. Februar 2013

Die Tourismusgeschichte behält „ihr“ Archiv. Die letzten drei Jahre war offen, ob das 1986/87 gegründete und seitdem kontinuierlich ausgebaute Historische Archiv zum Tourismus (HAT) überhaupt erhalten bleiben würde. Bis 2009 war es Teil des an der Freien Universität Berlin beheimateten Instituts für Tourismus. Seit 1999 wird es von Prof. Dr. Hasso Spode geleitet. Anfang 2009 wurde die Öffentlichkeit durch die Nachricht aufgeschreckt, dass das HAT von der Schließung bedroht sei. Die FU Berlin hatte den Studiengang „Tourismuswissenschaft“ 2009 eingestellt und wollte auch die Räume des Archivs anderweitig nutzen. Spiegel Online, Süddeutsche Archiv, Tagesspiegel und sogar die „Bild“ berichteten – die Historikerzunft dagegen reagierte verschlafen, wohl auch deshalb, weil die Tourismusgeschichte in der Bundesrepublik lange Zeit ein Mauerblümchen-Dasein fristete. Erst Hasso Spode als dem rührigen Leiter des Archivs gelang es, auch die Historiker-Öffentlichkeit aufzurütteln und breite, sogar internationale Unterstützung (namentlich aus den USA) zu mobilisieren. Sein Engagement hat sich gelohnt. Am 29. November 2012 wurde das Tourismus-Archiv offiziell wiedereröffnet. Die Technische Universität Berlin und hier wiederum das Zentrum Technik und Gesellschaft bot dem HAT ein neues Domizil – in der Hardenbergstr. 16-18, 10 623 Berlin. Getragen wird das Archiv weiterhin durch die Willy-Scharnow-Stiftung, teilfinanziert außerdem durch die VW-Stiftung. Seit Anfang des Jahres steht das HAT nun allen interessierten Historikern offen. Dies kann nicht hoch genug bewertet werden – auch angesichts des deutlich gesteigerten Interesses, auf das die Tourismusgeschichte als Schnittpunkt von Kultur-, Sozial-, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte in den letzten Jahren gestoßen ist.

Was hat das Archiv zu bieten? Der Gesamtbestand beläuft sich inzwischen auf rund 600 Regalmeter. Darunter finden sich viele kleine Schätze, u.a. wertvolle Exemplare einer bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Reiseliteratur. Der Schwerpunkt der Sammlungen liegt freilich auf dem 19. und vor allem 20. Jahrhundert. Zum Gesamtbestand gehören u.a.

·     knapp 200 Periodika (ca. 95 % mit EDV erschlossen)

·     fast 2000 Plakate (ca. 70 % erschlossen)

·     über 2000 Karten, Pläne etc. (ca. 60 % erschlossen bzw. geordnet)

·     über 10.000 Bücher (ca. 80 % erschlossen)

·     weit über 50.000 Prospekte (ca. 70 % unter Ortssignaturen eingeordnet)

·     zahlreiche Sonderbestände unterschiedlicher Art und Größe (Fotoalben, Akten etc.; meist unerschlossen und nur pauschal mit einer Signatur versehen)

Besonders aufschlussreich sind die gesammelten Nachlässe von Unternehmen, Verbänden und sonstigen Institutionen, etwa die

·     Slg. Kahn (Kahn-Reisen, heute: TUI): Allgemeines zur Reisegeschichte, Länderkunden, Reiseführer etc. ab 17. Jh.; Veranstalterprospekte.

·     Slg. Burger (Deutsche Reiseverband e.V.): Allgemeines zur Reisegeschichte; DRV-Materialen.

·     Slg. Schwarzenstein (Reichsverband Deutscher Verkehrsvereine, Deutsche Zentral für Fremdenverkehr, heute: Deutsche Zentrale für Tourismus): u.a. Allgemeines zur Reisegeschichte, Länderkunden, Reiseführer etc. ab 18. Jh.; Veranstalter- und Ortsprospekte aus dem In- und Ausland; Materialien der DZT und seiner Vorgänger ab den zwanziger Jahren (zumeist noch unerschlossen).

Von zentraler Bedeutung für die zeithistorische Tourismusforschung sind außerdem u.a. die Bestände des „Studienkreis für Tourismus“ mit seinen bekannten Pionierstudien zur Tourismusforschung besonders der sechziger bis achtziger Jahre (einschließlich aller Reiseanalysen) oder das Baedeker-Archiv.

Das übrigens auch für Nicht-Berliner leicht erreichbare, nämlich in unmittelbarer Nähe des Bhf. Zoo befindliche HAT versteht sich in doppelter Hinsicht als tourismushistorische Anlaufstelle: zum einen für diejenigen, die eigene spannende Archivalien unterschiedlichster Couleur der historischen Forschung für eine dauerhafte Nutzung zur Verfügung stellen wollen, zum anderen für die Protagonisten der tourismushistorischen Forschung selbst. Zu wünschen ist, dass das HAT zu einem agilen Zentrum der tourismushistorischen Forschung wird.