von Mareike König

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1. Februar 2014

Es gehörte eigentlich schon immer zum guten Stil, Facebook nicht zu mögen. Zumal als Wissenschaftler. Dabei kommt Facebook – das sollte gleich zu Anfang gesagt werden – ursprünglich aus dem universitären Bereich. Die Idee des damals 20-jährigen Facebook-Gründers Marc Zuckerberg und seiner Mitstreiter war, die bis dato gedruckten Uni-Jahrgangsbücher mit Fotos und Kurzprofilen von Studierenden online zu publizieren. Und so erblickte Facebook genau heute vor zehn Jahren, am 4. Februar 2004, zunächst als internes Verzeichnis der Studierenden von Harvard das Licht des Internets. 2006 wurde das Netzwerk dann für die Außenwelt geöffnet. Seither hat es sich zu einem zentralen Ort der digitalen Kommunikation vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelt.
Die quantitative Erfolgsgeschichte von Facebook ist beeindruckend: Das derzeit weltweit größte soziale Netzwerk hat laut Wikipedia geschätzte 1,11 Milliarden Nutzerkonten.[1] Etwa die Hälfte davon ist dort täglich online. Nach den neuesten Wirtschaftsergebnissen floriert auch das Unternehmen Facebook, und der misslungene Börsenstart im Jahr 2012 ist mittlerweile verkraftet. Die Nutzerzahlen sind hoch, die Aufmerksamkeit ist groß, die Kritik jedoch auch, vor allem was den mangelnden und undurchsichtigen Datenschutz angeht. Häufige Änderungen bei den Einstellungen zur Privatsphäre, die zunehmende Werbung und die von Facebook vorgenommene Auswahl dessen, was in der eigenen Timeline angezeigt wird, sind nur einige der Dinge, die an Facebook zu Recht getadelt werden.

Unzweifelhaft hat Facebook genau wie andere soziale Netze unsere Kommunikationsgewohnheiten in vielerlei Hinsicht verändert. Wir lesen weniger Mails (kaum zu glauben!) und weniger Zeitung, und halten uns dafür länger in den sozialen Medien auf. Dort stehen Nachrichten von Privatpersonen auf der gleichen Stufe mit Nachrichten aus Unternehmen oder aus den Medien. Privates hat eine bis dahin unerreichte Sichtbarkeit erlangt – mit allen Auswüchsen an Narzissmus, die damit einhergehen. Empfehlungen von Freunden ersetzen die Zusammenstellung an Informationen der klassischen Medien. Mit „liken“ und „posten“ hat uns Facebook außerdem mindestens zwei neue Verben beschert, mit „ent-liken“ und „ent-freunden“ auch mindestens zwei neue Handlungsfelder.

Die Wissenschaft wurde von Facebook zwischenzeitlich teilweise zurückerobert. Zum einen, weil Facebook selbst Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen geworden ist: die Art und Weise der Nutzung des Netzwerks und die Folgen für unser Lese- und Sozialverhalten, Internetsuchtgefahr, Cyber-Mobbing, Facebook als historische Quelle, seine Rolle zusammen mit anderen Netzwerken während des arabischen Frühlings, Soziale Netzwerke in der Wissenschaft[2] etc. sind dabei einige der Themen, denen Wissenschaftler nachgehen. Zum anderen haben einige Wissenschaftler, Universitäten, Bibliotheken, Archive und Forschungseinrichtungen das große Potenzial des Netzwerks als Informations- und Distributionskanal erkannt. Dazu muss man einen Schritt zurücktreten, die gängige Facebookkritik zur Seite legen und sich vom Vorurteil lösen, auf Facebook machten Privatpersonen Belanglosigkeiten ihres Alltags publik, die sie lieber privat gehalten hätten (was es zweifellos auch gibt): Nüchtern betrachtet ist Facebook zunächst nur ein Medium, ein Informationskanal. Welche Inhalte man dort einspeist, ist eine zweite Frage. Insofern eignet sich Facebook auch für die Wissenschaft, wenn diese einen kreativen Umgang mit dem Netzwerk findet.
Denn das Neue und Interessante an Facebook waren und sind die Möglichkeiten zur Vernetzung und zur Kommunikation. Man präsentiert sich auf Facebook mit Foto und Informationen zur eigenen Person und „befreundet“ sich mit anderen. Auf diese Weise entstehen virtuelle wissenschaftliche Netzwerke, die reale Beziehungen bei Weitem übersteigen. Dazu muss allerdings ein Bedeutungswandel akzeptiert werden: Ein „Friend“ bei Facebook ist nicht unbedingt ein Freund, auch wenn er es unter Umständen werden kann. Vielmehr spielen Interessensgemeinschaften eine Rolle. In hierarchischen Beziehungen mag das zu einem Problem werden, so beispielsweise, wenn der Professor bei Facebook zum „Freund“ wird. Viele lehnen diese virtuellen Freundschaften ab, Studierende im Übrigen genauso wie Professoren[3].

Doch damit muss der Einsatz von Facebook als universitäre Lern- und Austauschplattform nicht zu Ende sein. Neue Funktionalitäten wie das Abonnieren von Neuigkeiten einer Person oder das Einrichten von Gruppen oder Projektseiten bieten eine Alternative zur Gegenseitigkeit der Freundschaftsbeziehung. Facebook kopiert hier andere Netze wie Twitter oder Google+, bei denen Beziehungen nicht reziprok sein müssen. Facebook entwickelt sich damit von einem Instrument der Beziehungspflege zu einem Instrument der Publikation und Kommunikation.
Kleinere Texte (deren Längenbeschränkung im Laufe der Zeit wegfiel) und Fotos können bei Facebook veröffentlicht werden. Diese können „geliked“, kommentiert und erneut geteilt werden. Die geposteten wissenschaftlichen Inhalte sind wie bei Twitter ganz unterschiedlicher Natur und reichen von Hinweisen auf die aktuelle Lektüre und auf (eigene) neue Veröffentlichungen bis hin zu Tagungen, Ausstellungen und Vorträgen, die man vorbereitet oder besucht, sowie weiteren Neuigkeiten aus dem eigenen Interessensgebiet.[4] Mit anderen Worten: Wer seine Freunde und Einrichtungen richtig wählt, hat es bei Facebook mit wissenschaftlichen Inhalten zu tun.
Für die Verbreitung entscheidend ist, dass die Kommunikation nicht wie bei E-Mails eine „one-to-one“-Kommunikation ist, sondern eine „one-to-many“. Auch dadurch werden Soziale Netzwerke für die Wissenschaft interessant, denn die Neuigkeiten aus dem eigenen Betätigungsfeld erreichen damit nicht nur eine, sondern viele Personen gleichzeitig, die zudem öffentlich oder in einer geschlossenen Gruppe darauf reagieren und diese diskutieren können.

Die Kommunikation in den Sozialen Netzen geschieht – und das macht es für die traditionelle Wissenschaft teilweise schwierig – in einem eher lockeren Ton und auf Augenhöhe, wie es so schön heißt. Eines der Heilsversprechen der sozialen Medien liegt im einfachen Zugang dazu und im Abbau von Hierarchien: Es ist möglich, wissenschaftliche Diskussionen selbst offen anzustoßen oder daran teilzunehmen, was zu einer begrüßenswerten Pluralisierung der Diskurse führt. Die theoretisch vereinfachte Kontaktaufnahme über Hierarchien hinweg wurde bereits thematisiert. Die Frage ist, wie sich Ton und Eigenzensur entwickeln, wenn die gesamte akademische Community bei Facebook ist und analoge Hierarchien sich gegebenenfalls digital nachbilden würden.
Doch soweit sind wir noch lange nicht, im Gegenteil: Für die derzeit 13-Jährigen ist es uncool geworden, auf Facebook zu sein. Schließlich sind die Eltern (Großeltern?) sowie Lehrer und andere Autoritätspersonen auch dort. Schon zieht die Karawane weiter in andere Netzwerke wie den Kurznachrichtendienst Twitter oder den Foto-Sharedienst Instagram (der allerdings auch Facebook gehört).

Eines scheint sich jedoch vorsichtig abzuzeichnen: Wenn es nicht Facebook ist, dann ist es ein anderes Netzwerk, in dem die Wissenschaft sich engagieren wird. Netzwerke wie Academia.edu oder Research Gate haben die Potenziale erkannt und Soziale Netze speziell für die Wissenschaft entwickelt, bei denen so manche Fehler von Facebook vermieden werden. Noch hat Facebook den Vorteil seiner Größe. Doch mit der wachsenden Kritik und dem ausbleibenden Nachwuchs könnten sich die Kräfteverhältnisse verschieben.

 




[1] Vgl. den Wikipedia Eintrag zu Facebook (Version vom 30.1.2014) http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook. Facebook selbst veröffentlicht keine Statistiken.
[2] Zu letzterem siehe z. B. Michael Nentwich, René König, Cyberscience 2.0. Research in the Age of Digital Social Networks, Frankfurt a.M. 2012.
[3] Siehe zur Diskussion z. B. den Beitrag „Facebook-Etikette der Unis noch ungeschrieben“, in: Science ORF, 31.1.2011, http://science.orf.at/stories/1674503/. Im schulischen Bereich ist der Einsatz von Facebook in einigen Bundesländern gesetzlich verboten.
[4] Vgl. Mareike König, Twitter in der Wissenschaft: Ein Leitfaden für Historiker/innen, in: Digital Humanities am DHIP, 21.08.2012 http://dhdhi.hypotheses.org/1072.