von Silke Hensel

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1. September 2013

Der 11. September ist in Chile ein umstrittener Gedenktag, er erinnert an den Putsch des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung der Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende im Jahr 1973.

Die Geschehnisse am 11. September 1973 gerieten weltweit in den Fokus der Medien, schließlich stand der Putsch gegen die seit 1970 amtierende sozialistische Regierung im Kontext des Kalten Krieges. In diesem Zeitraum polarisierten vor allem die politischen Auseinandersetzungen in Lateinamerika die Welt. Vor dem Hintergrund der Blockkonfrontationen und der Debatten um die Frage, wie eine gerechtere Welt gerade auch in Lateinamerika aussehen könnte, traf bereits die Wahl Allendes auf sehr unterschiedliche Bewertungen. Befürchteten die einen – allen voran die US-Regierung – eine Gefahr für die sogenannte „freie Welt“, schöpften die anderen – politisch links stehende Kräfte im Westen – die Hoffnung, dass es in Chile von nun an eine sozial gerechtere Entwicklung geben würde. Waren die Möglichkeiten politischer Partizipation der Bevölkerung im Rahmen des nach der Wahl Allendes vorangetriebenen Demokratisierungsprozesses ausgeweitet und soziale Reformen umgesetzt worden, beendete der Putsch eine lange Zeit politischer Stabilität und demokratischer Öffnung. Es begann eine 17 Jahre währende, extrem brutale Militärdiktatur.
Die Ursachen, die zum Putsch führten, sind trotz der US-amerikanischen Interessen auch innerhalb der Gesellschaft zu suchen, wobei die Vorstellung, die chilenische Nation sei vom Kommunismus bedroht, eine wichtige Rolle spielte.

Im Jahr 1970 trat die Unidad Popular in den Wahlen mit der Idee eines dritten demokratischen Weges in eine sozialistische Gesellschaft an. Nach dem Regierungsantritt Allendes erlebte Chile zunächst eine Phase euphorischer Aufbruchsstimmung. Einige Reformmaßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von Arbeitern und Bauern wurden zügig umgesetzt. Hinzu kam die entschädigungslose Verstaatlichung von multinationalen Unternehmen. Vor allem diese Sozialisierungsmaßnahmen brachten jedoch die chilenischen Unternehmer und die Aktionäre multinationaler Unternehmen gegen die Allende-Regierung auf. Die Hardliner in den USA sahen ihre Befürchtungen bestätigt. Die US-Regierung unter Präsident Nixon ging gegen die chilenische Regierung vor und erreichte auf internationaler Ebene, dass der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die US-Import-Export-Bank keine Kredite mehr an Chile vergaben. Wirtschaftliche Probleme und die Radikalisierung der innenpolitischen Auseinandersetzungen, die zunehmend auf der Straße ausgetragen wurden, führten zu einer angespannten Situation, in der die Regierung Allendes an Handlungsspielraum verlor. Seine Gegner ebenso wie seine Anhänger demonstrierten, Ladenbesitzer streikten und forcierten somit Versorgungsengpässe. Das Militär, Teile des Klerus, Angehörige der Oberschicht und ein großer Teil der Mittelschicht fürchteten, dass der Sozialismus im eigenen Land nun bereits vor der Tür stünde. Als der verfassungstreue Oberbefehlshaber der Armee, General Carlos Prats, wegen mangelnder Unterstützung in den eigenen Reihen zurücktrat und Augusto Pinochet zu seinem Nachfolger ernannt wurde, stand den Umsturzplänen nichts mehr im Weg.

Am Morgen des 11. September 1973 nahm die Marine die Hafenstadt Valparaíso ein; Einheiten der Armee besetzten die Stadt Concepción. In der Hauptstadt Santiago forderte die Armee den Präsidenten auf, sich zu ergeben. Als dieser sich im Präsidentenpalast La Moneda verschanzte, bombardierten die Putschisten das Gebäude. Noch am gleichen Tag richtete die Armee ein Konzentrationslager für politische Gefangene im Nationalstadion ein, in dem Tausende Anhänger der Unidad Popular festgehalten, gefoltert und ermordet wurden.

Am schwersten und häufigsten waren die Menschenrechtsverletzungen in den ersten Wochen nach dem Putsch. In diesen Tagen wurden ungefähr 1.200 Menschen ermordet oder „verschwanden“. Die Zahl der Ermordeten stieg bis 1977 auf 1.800 Menschen; über 42.000 Chilenen wurden verhaftet.  Für die 17 Jahre der Militärdiktatur ermittelte die chilenische Wahrheitskommission insgesamt 3.197 ermordete und 250.000 ins Exil geflohene Chilenen. Historiker schätzen diese Zahlen allerdings als zu niedrig ein und gehen von 3.500 bis 4.500 Ermordeten oder Verschwundenen aus. Nach ihren Berechnungen kam es zu 200.000 Verhaftungen, ungefähr 400.000 Chilenen gingen ins Exil.

Mit den systematischen Menschenrechtsverletzungen sollten oppositionelle Gruppen ebenso wie zivilgesellschaftliche Organisationen zerschlagen werden, um so den Widerstand gegen die Militärherrschaft und die Etablierung eines neuen Wirtschaftssystems möglichst einzudämmen. Dafür wurden grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt. Direkt nach dem Putsch verhängte das Militär den Ausnahmezustand, löste den Kongress auf und verbot Parteien und politische Organisationen. Hinzu kam eine radikale Zensur der Medien. Die Wirtschaft wurde nun stark auf den Weltmarkt ausgerichtet, neben der Rücknahme der Verstaatlichung von Unternehmen wurden außerdem zahlreiche soziale Dienste privatisiert. Das brachte zwar makroökonomische Erfolge, bedeutete für große Teile der Bevölkerung jedoch eine Verschlechterung ihrer sozialen Lage bis hin zur Verarmung. Wirtschaftsreformen und Menschenrechtsverletzungen gehörten insofern zusammen.

In der Militärdiktatur nahm Augusto Pinochet eine herausragende Rolle ein. Führte er nach dem Putsch die nun regierende Militärjunta lediglich formal an, gelang es ihm bald, die anderen Generäle an die Seite zu drängen.

Um die Militärherrschaft durch einen rechtsstaatlichen Anstrich zu legitimieren, wurde 1980 eine neue, autoritäre Verfassung erlassen, die eine Präsidentschaft von acht Jahren vorsah und dem Präsidenten weitreichende Kompetenzen zusprach, während der Kongress nur geringe Befugnisse erhielt. Hinzu kam die Absicherung des militärischen Einflusses auf die Politik. Ein Plebiszit zur Legitimierung der Verfassung war erfolgreich, weil ihre Gegner im Vorfeld so gut wie keine Möglichkeit erhielten, ihre Position darzustellen. Die Verfassung sah Pinochet als Präsidenten vor und legte für 1988 ein Referendum fest, in dem darüber entschieden werden sollte, ob der vom Militär benannte Kandidat Präsident werden sollte oder nicht. Nur im Falle eines „Nein“ waren Kongresswahlen vorgesehen. So strebte Pinochet im Jahr 1988 eine weitere Amtszeit an und war sich sicher, das Referendum zu gewinnen. Tatsächlich gewannen jedoch die Gegner der Diktatur, die sich seit den frühen 1980er Jahren im Untergrund zusammengeschlossen hatten. Unter dem Schutz der Kirche hatten sich die Parteien gesammelt und den Widerstand organisiert. Zudem schlossen sich Teile der armen Bevölkerung in sozialen Bewegungen zusammen. Streiks und nationale Protesttage 1983 und 1984 trugen zum Niedergang des Regimes bei.

Im Referendum stimmten 55 % mit „Nein“. Pinochet war zwar außer sich über das Ergebnis, musste es jedoch aufgrund der parallelen Auszählung der Stimmen seitens der Opposition und des starken internationalen Drucks auf das Regime akzeptieren. Die freien Wahlen Ende 1989 gewann der Kandidat der Christdemokraten, Patricio Aylwin.