von Thomas Sandkühler

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1. August 2013

Am 30. Juli dieses Jahres starb, kurz vor der Vollendung seines 100. Lebensjahres, der deutsche Industrielle Berthold Beitz. Beitz war seit 1953 Generalbevollmächtigter Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs. Nach dessen Tod 1967 ging das Vermögen der Firma Krupp vollständig auf die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung über. Sie besitzt heute noch ein rundes Anteilsviertel der Thyssen-Krupp AG. Beitz wurde von Alfried Krupp testamentarisch als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung und Vollstrecker seines letzten Willens eingesetzt. Dieser Aufgabe ist Beitz fast bis zu seinem letzten Lebenstag nachgekommen, diszipliniert und konzentriert.

Nicht zu Unrecht hat man ihn als den „letzten Krupp“ bezeichnet. Äußerlich glich der bis fast zuletzt aufrecht gehende, schlanke und stets soigniert auftretende Mann im Alter dem Stifter. Seinem Selbstverständnis nach blieb Beitz Alfried Krupp verpflichtet und handelte in seinem Geiste, wie es auch im Stiftungszweck festgelegt ist. Diese für Beitz selbstverständliche Loyalität paarte sich in seiner Persönlichkeit mit Machtbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und einem gerüttelt Maß an trockenem Humor.

Beitz hat sechs Jahrzehnte lang die Geschicke des Essener Krupp-Konzerns maßgeblich gelenkt und durch die Krupp-Stiftung mäzenatische Akzente auf den Gebieten der Kunst, der Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Medizin gesetzt. Hinzu kamen sein sportpolitisches Engagement als Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees und eine Fülle von Aktivitäten, die aufzuzählen den Rahmen eines biographischen Essays sprengen würde.

An der Wiege wurde Beitz seine Karriere nicht gesungen. Er wurde am 26. September 1913 in kleine Verhältnisse des ländlichen Vorpommerns hineingeboren. Sein Vater war im Ersten Weltkrieg Unteroffizier, die Mutter ein Dienstmädchen. Nach 1918 vollzog Beitz‘ Vater einen bescheidenen Aufstieg als Bankkaufmann. Berthold sollte nach dem Wunsch seiner Eltern in dessen Fußstapfen treten. Er legte 1934 das Abitur in Greifswald ab und absolvierte eine Banklehre, landete aber letztlich beim holländisch-britischen Shell-Konzern in Hamburg. Dort lernte Beitz seine spätere Ehefrau Else Hochheim kennen. Diese, Jahrgang 1920, stammte aus einem gewerkschaftlichen Elternhaus. 1939 wurde Hochzeit gefeiert. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor.

Beitz stand generationell zwischen der um 1900 geborenen Kohorte junger Männer, die nach Hitlers Machtübernahme in die politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen des neuen Regimes einrückten, und der sprichwörtlichen Flakhelfergeneration. In seiner Jugend eher unpolitisch, brachte er dem Nationalsozialismus keinerlei Sympathien entgegen. Weder er selbst noch seine junge Ehefrau waren jemals Mitglieder der NSDAP oder ihrer vielfältigen Gliederungen. Gleichwohl griff Beitz zu, als sich ihm nach Kriegsbeginn die Chance bot, in ein Erdölunternehmen in Polen einzutreten, an dem die Shell beteiligt war.

Er arbeitete als kaufmännischer Angestellter der Beskiden-Erdöl GmbH in Jasło und Krosno. Das waren kleine Ortschaften im Distrikt Krakau, im Südosten des damaligen Generalgouvernements. Obwohl in beiden Städtchen rund ein Viertel der Bevölkerung Juden waren, nahm Beitz die nationalsozialistische Verfolgung dieser Minderheit zunächst noch nicht bewusst wahr. Das änderte sich nachhaltig, als er unmittelbar nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion nach Boryslaw versetzt wurde. Diese Kleinstadt im Südwesten des späteren Distrikt Galiziens lag wie Jasło und Krosno am Fuße der Karpathen. Hier wurde das Erdöl gewonnen, das im benachbarten Drohobycz raffiniert wurde. Traditionell waren in der polnisch-galizischen Erdölindustrie zahlreiche Juden beschäftigt. Die kurzlebige Militärverwaltung entließ diese durchweg und frohlockte, man komme auch ohne Juden aus. Davon konnte schnell keine Rede mehr sein, zumal der Bedarf an Rohöl nach dem Steckenbleiben des Ostkrieges stieg und die ergiebigen Quellen des Kaukasus dem deutschen Zugriff entzogen blieben. Um eine effizientere Ausbeutung des polnischen Erdöls zu gewährleisten, wurde die Beskiden-Erdölgesellschaft im Sommer 1942 in die halbstaatliche Karpathen-Öl AG umgewandelt.

Unterdessen hatte die systematische Ermordung der Juden begonnen. Ihr fielen im bis 1941 sowjetisch besetzten Ostgalizien nicht weniger als eine halbe Million Menschen zum Opfer. Beitz war Augenzeuge dieser Verbrechen. Den Anfang machte ein Pogrom, das unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch von rechtsradikalen ukrainischen Milizen durchgeführt wurde. Die Wehrmacht duldete diese Ausschreitungen und beteiligte sich teils aktiv an ihnen. Es folgten Massenerschießungen angeblich arbeitsunfähiger Juden beiderlei Geschlechts durch Gestapo- und Polizeieinheiten, seit Frühjahr 1942 Abtransporte per Bahn in das Todeslager Bełżec, die seit August 1942 auch aus Boryslaw durchgeführt wurden. Seit Frühjahr 1943 gingen die Mörder wieder zu Massenerschießungen in der Umgebung über. Die jüdischen Ghettos wurden nach und nach zu Zwangsarbeitslagern umgewandelt und auch diese wurden blutig aufgelöst. Als die Rote Armee im Sommer 1944 wieder in Ostgalizien eintraf, gab es dort nur noch Lager der Erdölindustrie, in denen etwa 2 000 Juden inhaftiert waren. Das waren die letzten Überlebenden vormals großer jüdischer Gemeinden in Boryslaw und Drohobyc. Diese Häftlinge wurden von den Deutschen im August 1944 nach Westen abtransportiert und in verschiedene weitere Lager verschleppt. Dort erlebte ein kleiner Teil der ehemaligen Zwangsarbeiter der Karpathen Öl AG das Kriegsende.

Berthold Beitz, zu Beginn seiner Tätigkeit in Boryslaw nicht einmal 28 Jahre alt, war als kaufmännischer Leiter der Beskiden Erdöl GmbH bzw. Karpathen-Öl AG für eine Belegschaft von nicht weniger als 13 000 Mitarbeitern verantwortlich, davon mehr als 10 Prozent Juden. Ihm unterstand auch der „Judeneinsatz“, was Verhandlungen mit der örtlichen Gestapo einschloss. Auf dem Höhepunkt des Holocaust, ab Sommer 1942, setzte sich Beitz mehrfach und mit Erfolg für den Verbleib ‚seiner‘ Juden ein und holte sie teils noch in letzter Minute aus den Waggons, die zum Abtransport ins Vernichtungslager bereitstanden. Er konnte die Kriegswichtigkeit der Erdölproduktion ins Feld führen, der sich auch SS-Chef Himmler nicht ganz verschloss. Andererseits nahmen SS und Polizei auf den Arbeitskräftebedarf des Unternehmens wenig Rücksicht und deportierten auch solche Juden in den Tod, die zweifelsfrei in der Erdölindustrie beschäftigt waren.

Im November 1942 gestand der SS- und Polizeiführer des Distrikts, Friedrich Katzmann, der Karpathen-Öl AG 1 670 R-Abzeichen für „Rüstungsjuden“ zu, verlangte aber von dem Unternehmen, diese Zahl zu reduzieren und die auf diese Weise „frei werdenden“ Abzeichen an die Gestapo abzuliefern. Im Unterschied zu Kollegen in benachbarten Betrieben seines Unternehmens widersetzte sich Beitz und beteiligte sich auch nicht an der fragwürdigen Praxis innerbetrieblicher Selektionen. Vielmehr erhöhte er die Zahl der jüdischen Arbeitskräfte, indem er etwa Frauen und Kinder als „Fachkräfte“ mit fingierten Berufsbezeichnungen auf Belegschaftslisten aufnehmen ließ. Darüber hinaus versteckten Beitz und seine Ehefrau teils über längere Zeiträume hinweg Juden in ihrem Wohnhaus in Boryslaw. Mit diesen privaten Rettungsaktionen setzten die Beitz‘ sich und ihre älteste Tochter einem erheblichen Risiko aus.

Berthold Beitz mit Ehefrau Else und Tochter Barbara, Weihnachten 1943.

Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung© und der Familie Beitz. 

 

Andererseits brachte Beitz den für das Zwangsarbeitslager Boryslaw zuständigen SS-Offizier Friedrich Hildebrand dazu, seinen Wünschen mehr oder weniger zu entsprechen. Beitz betrachtete Hildebrand als nützlich, weil beschränkt. Er wusste nicht oder wollte nicht wissen, dass derselbe Hildebrand dem Stab des SS- und Polizeiführers angehörte und vor seiner Kommandierung nach Boryslaw zahlreiche Morde befehligt hatte.

So sehr kriegswirtschaftliche Sachzwänge und die damit verbundene Stellung der Karpathen-Öl AG den Schutz der Juden erleichterten, so wenig erklärt das Interesse an ungestörter Produktion allein das Verhalten von Berthold und Else Beitz. Ihr Handeln war durch menschliches Mitleid motiviert, bestärkt durch die Augenzeugenschaft der schier unglaublichen Brutalität, mit der SS und Polizei gegen die jüdische Bevölkerung vorgingen. Ein offenes Auge und ein funktionierender moralischer Kompass genügten. „Das war kein Antifaschismus, kein Widerstand“, sagte mir Beitz. „Wir haben von morgens bis abends hautnah miterlebt, was in Boryslaw mit den Juden geschah. Wenn Sie sehen, wie eine Frau mit einem Kind auf dem Arm erschossen wird, und Sie haben selbst ein Kind, dann haben Sie eine ganz andere Reaktion.“

Von Bełżec hatte Beitz vor August 1942 nichts gehört. Und dennoch hatte er keinen Zweifel, dass der Abtransport in Güterwagen die systematische Ermordung der Insassen zum Ziel hatte. Diese galt es zu verhindern, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, also systemimmanent. Man brauchte einen wachen Verstand, gute Nerven, Chuzpe und persönlichen Mut, um für Menschen einzustehen, denen die Nazi-Staatsführung jedes Lebensrecht absprach. Es waren die Qualitäten eines energisch sich durchsetzenden Wirtschaftsführers, die Beitz hier gegen die Unmenschlichkeit des Regimes wendete. Auf die Schlussphase in Boryslaw konnte Beitz keinen Einfluss mehr nehmen. Er war inzwischen Frontsoldat und geriet kurzzeitig in Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ kehrten die Beitz‘ nach Hamburg zurück. Dort avancierte Beitz nach kurzzeitiger Tätigkeit in britischen Diensten bereits 1948 zum Generaldirektor der Iduna-Germania Versicherungsgesellschaft. Der 35-jährige Manager ‚entnazifizierte‘ recht hemdsärmelig die leitenden Herren des Unternehmens, das er 1952 mit der Vereinigten Lebensversicherungsanstalt zu einem der größten Lebensversicherer der jungen Bundesrepublik fusionierte. In jener Zeit gehörte der charismatische Beitz gemeinsam mit Axel Springer und anderen Wirtschaftskapitänen zum öffentlich bestaunten „Set“ der wieder aufstrebenden Hansestadt.

Im Vergleich dazu war das mündliche Angebot Alfried Krupps vom September 1952, Beitz möge als sein Generalbevollmächtigter nach Essen kommen, zunächst wenig attraktiv. Beitz hatte zudem vom Stahlgeschäft keine Ahnung und hielt den später von Krupp akquirierten „Bochumer Verein“ für einen Fußballclub. Ausschlaggebend waren neben einem hohen Gehalt die Gestaltungsmöglichkeiten bei Krupp. Der Eigner war erst im Vorjahr aus alliierter Haft entlassen worden und musste sich 1953 Auflagen zur Entflechtung der schon stark demontierten ehemaligen Rüstungsschmiede unterwerfen.

Beitz, der von außen kam und daher bei den Alliierten nicht im Ruch des „Schlotbarons“ stehen konnte, hatte zwei Aufgaben zu lösen: das Unterlaufen der Verkaufsauflagen, also die Bewahrung der schwerindustriellen Basis, und die Umstellung auf Friedensprodukte. Beides gelang zunächst gut, stets misstrauisch beäugt von den Granden des Ruhrgebiets. Die Verkaufsauflagen blieben zwar offiziell bestehen, hatten aber keine Folgen und wurden 1968 stillschweigend zu den Akten gelegt. Unter Beitz‘ Ägide schwor Krupp der Waffenproduktion für immer ab und verlegte sich auf neue Geschäftssparten wie den Anlagenbau. Das Unternehmen eröffnete sich Exportmärkte für schlüsselfertige Werke in Regionen, die bislang nicht von Krupp beliefert worden waren, darunter Indien. Hinzu kam der Osthandel, vorzugsweise mit der Sowjetunion.

Das alles geschah nicht immer zur Freude der Bundesregierung. Anlässlich einer Moskau-Reise 1958 wurde ihm der Vorwurf des Bundeskanzlers Konrad Adenauer hintertragen, um die nationale Zuverlässigkeit des Herrn Beitz sei es wohl schlecht bestellt. Von Alfried Krupp schriftlich zur Rede gestellt, dementierte Adenauer dieses Unwort, doch es blieb Misstrauen gegen Beitz‘ wirtschaftspolitischen Kurs bestehen.

Seit Anfang der Sechzigerjahre schlug der Expansionskurs Beitz‘ auf das Unternehmen zurück. Der Schuldenstand wuchs in der beginnenden Montankrise stetig an. 1967 mussten Staat und Banken mit Millionenbürgschaften einspringen, um das Riesenunternehmen zu retten. Krupp und Beitz mussten im Gegenzug der Einsetzung eines Verwaltungsrats zustimmen, dem der Bankier Hermann J. Abs vorstand. Diesem Gremium sollten die Sanierung des Konzerns und seine Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft obliegen. In dieser Lage machte Beitz den Weg zur bereits länger geplanten Gründung der Stiftung frei, indem er den letzten Krupp-Erben Arndt zum Erbverzicht überredete. Alfried Krupp, schwermütig und frühzeitig gealtert, starb und Beitz übernahm den Stiftungsvorsitz. Von dieser Position aus konnte Beitz weiterhin Einfluss nehmen und kehrte 1970 wieder an die Konzernspitze zurück; als Nachfolger des Aufsichtsratsvorsitzenden Abs. Der sah in Beitz nicht ohne Neid einen „Liebling der Götter“.

Beitz hatte nach dem Krieg von seiner Tätigkeit in Boryslaw kein Aufhebens gemacht, wohl auch mit Rücksicht auf die im Ruhrgebiet bestehenden Vorbehalte gegen den dynamischen Newcomer aus Hamburg. Er stand aber in brieflicher Verbindung mit zahlreichen Männern und Frauen, die ihn als Retter ihres Lebens betrachteten. Einiges Aufsehen erregten seine Aussagen zugunsten des ehemaligen SS-Offiziers Hildebrand, die er im Strafprozess gegen Hildebrand 1966/ 67 vor dem Landgericht Bremen machte.

Für die sozialliberale Ostpolitik hatte Beitz nicht von ungefähr größere Sympathien als für den rigorosen Abschottungskurs der Adenauer-Ära, war er doch auf handelspolitischem Gebiet der Verständigungspolitik vorangegangen. Der einige Monate jüngere Willy Brandt war sein Altersgenosse. Beitz stand in Brandts Nähe, als dieser 1970 am Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos auf die Knie fiel. Brandts Geste brachte auch Beitz‘ bisherige Lebensgeschichte auf einen symbolischen Begriff. Sie erinnerte an die Zeit des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzungspolitik in Polen, die Beitz hautnah miterlebt und mitverantwortet hatte. Die Aussöhnung mit diesem Land hatte Beitz stets am Herzen gelegen.

1974 stieg der Staat Iran mit einem Anteil von 25 Prozent bei Krupp ein, was dem Unternehmen nach der Machtübernahme der Ajatollahs erhebliche Kopfschmerzen bereitete. 1987 gab Krupp die Schließung des traditionsreichen Hüttenwerks Duisburg-Rheinhausen bekannt. Dies führte zu einem der erbittertsten Kämpfe der Bundesrepublik um über 6 000 Arbeitsplätze. 1993 wurde in Rheinhausen die letzte Schicht gefahren. Unterdessen hatte Krupp mit der Hoesch AG fusioniert. 1999 folgte die spektakuläre Fusion mit der Thyssen AG zur heutigen Thyssen-Krupp AG. Der Konzern erwirtschaftet inzwischen den größeren Teil seines Gewinns außerhalb der eigentlichen Stahlproduktion. Insofern waren und sind Krupp und Berthold Beitz auch Exponenten des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Als inoffizieller Kronprinz Beitz‘ galt lange Zeit der Manager Gerhard Cromme, seit 1986 bei Krupp, führend beteiligt an der Schließung von Rheinhausen und den Fusionen der Neunzigerjahre, bis 2001 Co-Vorstandsvorsitzender und von da an Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssen-Krupp AG. Cromme musste jedoch im März 2013 aus dem Unternehmen ausscheiden. Wer Beitz‘ Nachfolge in der Krupp-Stiftung antreten wird, ist derzeit noch unbestimmt.

Beitz war von Jugend an bis ins hohe Alter ein begeisterter Segler, ein Liebhaber der Jagd und des Jazz und ein Sammler expressionistischer Kunst. Bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Kriegsbiographie hatte ich seit Ende der Achtzigerjahre Kontakt mit Berthold Beitz, der mich mehrfach zu längeren Gesprächen empfing, allein und zusammen mit seiner Gattin, die übrigens noch 1993 promovierte. Er war eine faszinierende Persönlichkeit. Beitz brachte mir viel Verständnis entgegen und beantwortete meine Fragen geduldig. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Mit Beitz ist einer der der letzten Männer einer Generation verstorben, die das wirtschaftliche und politische Leben der Bundesrepublik nachhaltig geprägt hat. Seine Nachkriegskarriere war ungewöhnlich steil und im Wesentlichen selbst gemacht. Beitz wich vom Mainstream der bundesdeutschen Wirtschaftslenker auch insofern ab, dass er sich im Krieg mehr als anständig verhalten hatte. 1973 wurde Beitz vom Staat Israel mit dem seltenen Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ ausgezeichnet. 2006 wurde diese Ehre auch Else Beitz zuteil. 1999 erhielt das Ehepaar Beitz den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hinzu kam im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Auszeichnungen aus dem In- und Ausland.

Man hätte Berthold Beitz sehr gewünscht, dass er seinen 100. Geburtstag noch erlebt. Das Ruhrgebiet wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Die Zeitgeschichtsschreibung erinnert sich seiner als einer Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Unternehmern der Kriegs- und Nachkriegszeit. Krupp fand in Beitz einen Mann, der Gemeinwohlverpflichtung mit unternehmerischem Weitblick zu verbinden wusste. Diese Qualitäten sind heute mehr denn je gefragt.