von Jan-Hendrik Schulz

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1. Mai 2007

08.03.1965 Die ersten amerikanischen Bodentruppen landen in Vietnam. Damit verbunden ist die bis 1968 dauernde „Operation Rolling Thunder“, in deren Verlauf die US-amerikanische Luftwaffe den von der „Front National de Liberation“ (FNL) – später vereinfacht als „Vietcong“ bezeichnet – organisierten Ho-Chi-Minh-Pfad bombardiert. In der Folgezeit wird die Luftoffensive gegen die Demokratische Republik Vietnam weiter ausgeweitet.
 
Kommentar:
 

Mit seiner zunehmenden Verschärfung erhielt der Vietnam-Konflikt seit Mitte der 1960er-Jahre eine starke Relevanz in der internationalen Studentenbewegung. Für die bundesdeutsche Studentenbewegung besonders maßgeblich war dabei die deutsche Übersetzung von Ernesto Che Guevaras Rede „Schafft zwei, drei, viele Vietnam“. Verantwortlich für die Übersetzung und Veröffentlichung im Jahr 1967 waren Rudi Dutschke und Gaston Salvatore.

Ende Oktober 1966 In Frankfurt am Main tagt unter dem Motto „Notstand der Demokratie“ der Kongress gegen die Notstandsgesetze. Eine breite Bewegung von Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und Oppositionellen der Neuen Linken versucht daraufhin mit Sternmärschen, Demonstrationen und anderen Protestformen die geplanten Notstandsgesetze zu verhindern.
 
01.12.1966 Unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger konstituiert sich die Große Koalition. Vizekanzler und Außenminister wird der ehemalige Bürgermeister West-Berlins und Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt.
 
Dezember 1966 Rudi Dutschke ruft auf einer Versammlung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes als Protest gegen die Konstituierung der Großen Koalition zur Gründung einer Außerparlamentarischen Opposition (APO) auf.
 
19.02.1967 19.02.1967 Die „Kommune I“ gründet sich in West-Berlin in der Stierstraße 3. Ihr gehören unter anderem Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Rainer Langhans und Ulrich Enzensberger an.
 
19.02.1967 Die „Kommune I“ gründet sich in West-Berlin in der Stierstraße 3. Ihr gehören unter anderem Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Rainer Langhans und Ulrich Enzensberger an.
 
05.04.1967 Einige Kommune-Mitglieder werden verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, ein Attentat auf den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey vorbereitet zu haben. Später wurde dieser geplante Anschlag als „Pudding-Attentat“ bezeichnet, da Humphrey mit Pudding, Joghurt und Mehl attackiert werden sollte.
 
24.05.1967 Mitglieder der „Kommune I“ verteilen nach dem Brüsseler Kaufhausbrand Flugblätter. Unter dem Titel „Wann brennen die deutschen Kaufhäuser“ werden Nachahmungstaten empfohlen. Brandstiftung sei ein probates Mittel, „um die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen“.
 
Mai 1967 Kommune-Mitglieder verteilen auf dem Campus der Berliner Freien Universität Flugblätter. Sarkastisch wird in ihnen dazu aufgefordert, als Protest gegen den Vietnamkrieg in West-Berlin Kaufhäuser anzuzünden. Der Staatsanwalt ermittelt.
 
02.06.1967 Auf der Demonstration gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Reza Pahlevi und seiner Frau Farah Diba vor der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg erschießt der Kriminalbeamte Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg (Foto). Als Rudi Dutschke wenige Tage später auf dem Hochschulkongress in Hannover fordert, mit den „etablierten Spielregeln dieser unvernünftigen Demokratie“ zu brechen, warnt Jürgen Habermas vor einem „linken Faschismus“.

Bildmaterial:

  • Benno Ohnesorg liegt nach einer Demonstration gegen den Schah-Besuch am 2. Juni 1967 tödlich verletzt am Boden. Die Studentin Friederike Dollinger stützt Ohnesorgs Kopf.
Kommentar:

Der 2. Juni 1967 gilt als Zäsur, nach der sich die Studentenbewegung stärker radikalisierte. Der unverhältnismäßige Polizeieinsatz mit der anschließenden Erschießung Ohnesorgs wurde aus Sicht vieler Studenten als Beweis dafür gesehen, dass der „postfaschistische Staat BRD“ nun zunehmend gewaltsam werde. Zudem wurden die RAF-Gründungsmitglieder durch das Ereignis stark politisiert; Ensslin hatte kurz nach der Demonstration „Gewalt gegen einen gewaltbereiten Staat“ gefordert.

Juli 1967 Die späteren Mitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), Andreas Baader und Gudrun Ensslin, treffen aufeinander. Gemeinsam mit Freunden verüben sie einen Rauchbombenanschlag auf den Turm der Berliner Gedächtniskirche.
 
05.09.1967 Auf dem Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) tragen Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl ein „Organisationsreferat“ vor. In ihm wird erstmals die Idee vom „städtischen Guerillero“ artikuliert.
 
21.10.1967 In West-Berlin deponieren Andreas Baader und Astrid Proll im Anschluss an eine Vietnamdemonstration einen Sprengsatz im Amerikahaus. Der Anschlag scheitert an einem technischen Defekt.
 
30.01.1968 In Vietnam beginnt die FNL die so genannte Tet-Offensive gegen die südvietnamesische Regierung. Im Verlauf der Offensive kann die FNL große Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen.
 
17./18.02.1968 In West-Berlin findet an der Technischen Universität der „Internationale Vietnam-Kongress“ statt. Zahlreiche ausländische Delegationen nehmen teil. Nach der Aufhebung eines Demonstrationsverbotes durch den Berliner Senat beteiligen sich rund 12.000 Menschen an der Abschlusskundgebung.
 
16.03.1968 In dem vietnamesischen Dorf Son My - auch „My Lai 4“ genannt - ermorden US-amerikanische Soldaten 503 Zivilisten. Das „Massaker von My Lai“ wird erst am 5. Dezember 1969 bekannt, als das „Life“-Magazin über das Ereignis berichtet. Die Umstände des Massakers deckt der Journalist Seymour Hersh im Jahre 1970 auf.
 
April 1968 In West-Berlin gründet Georg von Rauch zusammen mit Michael „Bommi“ Baumann und anderen die „Wieland-Kommune“ in der Wielandstraße 13 in der Nähe des Kurfürstendamms.
 
02./03.04.1968 In Frankfurt am Main werden auf die Kaufhäuser „Schneider“ und „Kaufhof“ Brandanschläge verübt (Foto). Es entsteht ein Sachschaden von etwa 675.000 Mark. Die „Kaufhausbrandstifter“ Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Söhnlein und Thorwald Proll werden drei Tage später festgenommen.

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  • Der Brandanschlag auf die Frankfurter Kaufhäuser „Schneider“ und „Kaufhof“ richtete zum Teil erheblichen Sachschaden an. Verletzt wurde niemand.
11.04.1968 Der mutmaßliche Rechtsextremist Josef Erwin Bachmann – vermutlich beeinflusst von der Berichterstattung der „Bild“-Zeitung – schießt auf Rudi Dutschke und verletzt ihn lebensgefährlich. Daraufhin finden in ganz Deutschland gewalttätige Auseinandersetzungen statt, die sich vor allem gegen die „Aufhetzungen“ der Springer-Presse richten. In München kommen dabei ein Fotograph und ein Student ums Leben.
 
11.05.1968 In Bonn demonstrieren 70.000 Menschen gegen die Notstandsgesetze.
 
30.05.1968 Der Bundestag verabschiedet die Notstandsgesetze. Die Gesetze enthalten Regelungen für einen Verteidigungs-, einen Spannungs- und einen Katastrophenfall sowie für den inneren Notstand. Unter bestimmten Voraussetzungen kann in einem Krisenfall das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis beschränkt werden. Des Weiteren darf in das Grundrecht zur Berufsausübung eingegriffen werden; das Recht des freien Wohn- und Aufenthaltsortes darf auf Grundlage eines Gesetzes unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden.

Die „Schlacht am Tegeler Weg“ wird von Behörden zum Anlass genommen, die Einsatzkräfte bei Demonstrationen stärker auszurüsten – unter anderem mit Schutzhelmen.
 

14.10.1968 Vor dem LG Frankfurt beginnt der Prozess gegen die Kaufhausbrandstifter (Foto 1 + Foto 2). Horst Mahler stellt die Verteidigung, Ulrike Meinhof führt Berichterstattung. Meinhof äußert sich in der „konkret“ (14/1968) zu dem Anschlag:

„So bleibt, dass das, worum in Frankfurt prozessiert wird, eine Sache ist, für die Nachahmung – abgesehen noch von der ungeheuren Gefährdung für die Täter, wegen der Drohung schwerer Strafen – nicht empfohlen werden kann. Es bleibt aber auch, was Fritz Teufel auf der Delegiertenkonferenz des SDS gesagt hat: ’Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.’ Fritz Teufel kann manchmal wirklich sehr gut formulieren.“

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  1. Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf der Anklagebank während des Prozesses gegen die Kaufhausbrandstifter.
  2. Die Kaufhausbrandstifter Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin während des Prozesses auf der Anklagebank.
31.10.1968 Das LG Frankfurt verurteilt Baader, Ensslin, Söhnlein und Proll zu jeweils drei Jahren Freiheitsstrafe. Die Rechtsanwälte der Angeklagten legen Revision ein.
 
04.11.1968 In West-Berlin ereignet sich nach dem Attentat auf Rudi Dutschke die so genannte „Schlacht am Tegeler Weg“. Unter anderem beteiligt sich auch das spätere RAF-Mitglied Horst Mahler an den Demonstrationen gegen den Springer-Verlag. Am darauf folgenden Tag beschuldigt die „Bild“-Zeitung Mahler, die Proteste angeführt zu haben. Daraufhin beantragt die Generalbundesanwaltschaft ein Berufsverbot für Mahler, was das Landgericht (LG) Berlin ablehnt.
 
26.02.1969 In West-Berlin scheitert ein Sprengstoffanschlag auf den US-Präsidenten Richard Nixon durch Mitglieder der Wieland-Kommune. Der Sprengsatz war auf einem Baugerüst auf der Fahrtroute Nixons platziert worden. Durch einen technischen Defekt des Zünders detoniert der Sprengkörper nicht. Maßgeblich beteiligt an der Aktion sind Michael Baumann und Georg von Rauch.

Laut Aussagen Baumanns ist der Sprengsatz im „Republikanischen Club“ von Peter Urbach an die Kommunarden ausgehändigt worden. Urbach ist, wie sich später herausstellt, ein Agent des Verfassungsschutzes.
 

13.06.1969 Die Kaufhausbrandstifter erhalten bis zur Entscheidung der Revision Haftverschonung. Baader, Ensslin und Proll engagieren sich in den kommenden Monaten in der „Jugendarbeit“. Während der „Heimkampagne“ befreien sie mit Unterstützung des Frankfurter Jugendreferats Dutzende von Lehrlingen aus hessischen Erziehungsheimen. Einer von ihnen ist das spätere RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock.
 
15.07. bis 21.07.1969 In Ebrach im Kreis Bamberg organisieren ca. 120 bis 150 Aktivisten ein „Knastcamp“. Das Ziel der Aktion ist die Unterstützung des ersten wegen Verstoßes gegen das Demonstrationsrecht verurteilten Studenten Reinhard Wetter. Es werden Themen wie die Situation der „Gefängnisse“ in der Bundesrepublik, das Verhalten des Staates sowie die möglichen Gegenwehrmaßnahmen diskutiert. Unter den Teilnehmern befinden sich Ina Siepmann, Fritz Teufel, Irmgard Möller, Thomas Weisbecker, Georg von Rauch, Brigitte Mohnhaupt, Rolf Heißler, Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Astrid Proll, Bernward Vesper, Susanne Plambeck und Heinz Georg Vogler.

Am 16. Juli dringen einige Teilnehmer des „Knastcamps“ in das Gebäude des Landratsamtes in Bamberg ein und werfen Aktenmaterial auf die Straße. Möller und 40 weitere Personen werden vorübergehend festgenommen.
 

28.09.1969 Nach den Bundestagswahlen konstituiert sich die Sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt.
 
12.11.1969 Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision gegen das Brandstifter-Urteil des LG Frankfurt. Die Verurteilten sollen eine Freiheitsstrafe von 22 Monaten verbüßen. Lediglich Söhnlein kommt der Ladung zum Strafantritt nach und tritt die Haftstrafe an.
 
November 1969 Baader und Ensslin fliehen von Frankfurt nach Paris. Astrid Proll folgt ihnen. Später reisen sie nach Italien.
 
09.11.1969 In West-Berlin scheitert ein Sprengstoffanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus durch die „Tupamaros West Berlin“ (TW) und ehemaligen „Haschrebellen“ Albert Fichter, Michael Baumann, Georg von Rauch und anderen. Der Sprengsatz ist möglicherweise derselbe wie der bei dem versuchten Anschlag auf Richard Nixon am 26. Februar 1969 verwendete.
 
20.12.1969 In West-Berlin verüben Mitglieder der TW einen Brandanschlag auf das „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe). Die mutmaßlichen Täter sind Georg von Rauch, Thomas Weisbecker, Albert Fichter und Anne-Kathrin Bruns.
 
Februar/März 1970 Baader und Ensslin kehren auf Betreiben Mahlers in die Bundesrepublik zurück. Sie besuchen Meinhof in West-Berlin in der Kufsteiner Straße 12 und diskutieren dort unter anderem mit Dieter Kunzelmann die Gründung einer „Berliner Stadtguerilla“.
 
04.02.1970 Ein Gnadengesuch für die Brandstifter wird abgelehnt. Baader und Ensslin kommen der Aufforderung, ihre Strafe anzutreten, nicht nach.
 
06.02.1970 In West-Berlin überfallen die TW-Mitglieder Michael Baumann, Georg von Rauch, Thomas Weisbecker, Michael Baumann, Susanne Plambeck und Anne-Kathrin Bruhn den „Quick“-Reporter Horst Rieck in seiner Wohnung. Rieck wird dabei von einer Flasche verletzt. Die Täter hatten fälschlicherweise angenommen, Rieck sei für einen Artikel verantwortlich gewesen, der sich kritisch über linksmotivierte Brand- und Sprengstoffanschläge geäußert hatte. Von Rauch, Weisbecker, Baumann und Plambeck werden verhaftet, nachdem Nachbarn die Polizei verständigt haben. Bruhn kann unbemerkt entkommen.
 
12.02.1970 In Heidelberg wird das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) gegründet. Mittels eines antipsychiatrischen und antiautoritären Ansatzes werden im SPK bis zu 500 freiwillige „Patienten“ betreut. In den kommenden Monaten gerät die Gruppe zunehmend in das Blickfeld der Behörden; der Arzt Wolfgang Huber wird verdächtigt, mit dem SPK eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Auslöser für diese Verdächtigung ist das propagierte Krankheitsverständnis des Kollektivs: Die Ursache psychischer Erkrankungen wird in der krankmachenden Gesellschaft gesehen, als Therapie der Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse empfohlen. Der erhöhte Druck durch die Strafverfolgungsbehörden nötigt einige Mitglieder des Kollektivs nach eigenen Angaben, „in den Untergrund zu gehen“ und sich später der RAF anzuschließen. Zu ihnen gehören Klaus Jünschke, Margrit Schiller, Lutz Taufer, Bernhard Rössner, Hanna Krabbe, Siegfried Hausner, Elisabeth von Dyck, Ralf Baptist Friedrich, Sieglinde Hofmann und Friederike Krabbe.
 
21.03.1970 In Frankfurt löst sich der Bundesverband des SDS auf. Von nun an existieren nur noch örtliche SDS-Gruppen, wie zum Beispiel in Heidelberg und Köln.
 
04.04.1970 Andreas Baader wird bei einer Verkehrskontrolle in West-Berlin verhaftet. Gudrun Ensslin bereitet seine Befreiung vor
 
14.05.1970 Bei einer Ausführung in der Bibliothek des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin-Dahlem wird Baader unter anderem von Meinhof, Ensslin, Astrid Proll, Irene Goergens und Ingrid Schubert befreit. Während der „Baader-Befreiung“ wird der Institutsangestellte Georg Linke von einem bis heute unbekannten Schützen durch einen Leberschuss schwer verletzt. Zunächst wird nur nach Meinhof gefahndet. (Foto)

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  • Die bei der „Baader-Befreiungs-Aktion“ verwendete Schusswaffe verletzte den Institutsangestellten Georg Linke schwer. Wer der Schütze war, ist bis heute nicht geklärt.
05.06.1970 In dem linksradikalen Berliner Szeneblatt „agit 883“ erscheint die erste öffentliche Erklärung der RAF unter dem Titel „Die Rote Armee aufbauen“. Die RAF erläutert die Baader-Befreiung und fordert: „Mit dem bewaffneten Kampf beginnen“.
 
15.06.1970 „Der Spiegel“ (Heft 25/1970) veröffentlicht Auszüge aus einer Tonbanderklärung Meinhofs. Sie äußert sich darin zur Haltung der RAF gegenüber staatlichen Exekutivkräften:

„Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. D.h., wir haben nicht mit ihm zu reden, und natürlich kann geschossen werden!“
 

24.06.1970 In Heidelberg kommt es nach dem Verbot der letzten noch existierenden SDS-Gruppe zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
 
Sommer 1970 Die RAF-Mitglieder Mahler, Baader, Ensslin, Meinhof, Peter Homann, Brigitte Asdonk und rund ein Dutzend Berliner Genossen reisen mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) über Ost-Berlin nach Jordanien. Dort unterziehen sie sich für rund acht Wochen in einem Lager der palästinensischen El Fatah einer paramilitärischen Ausbildung.
 
19./20.7.1970 Die TW-Mitglieder Dieter Kunzelmann, Thomas Weisbecker und Susanne Plambeck werden in West-Berlin verhaftet.
 
August 1970 Die RAF-Mitglieder kehren nach West-Berlin zurück und verüben erste Sabotage-Anschläge.
 
29.09.1970 In West-Berlin überfallen Mitglieder der RAF zusammen mit der von Georg von Rauch maßgeblich initiierten Stadtguerillagruppe „Blues“ zeitgleich drei Banken. An den Überfällen sind mindestens 16 Personen beteiligt; sie erbeuten 217.000 Mark.
 
08.10.1970 Die mutmaßlichen Mitglieder der „Baader-Mahler-Meinhof-Bande“ Mahler, Goergens, Schubert, Asdonk, Goergens und Monika Berberich werden in der Knesebeckstraße 89 in West-Berlin verhaftet. Die RAF-Führung um Baader, Ensslin und Meinhof reagiert auf die Festnahme und verlagert ihre Tätigkeiten in das westdeutsche Bundesgebiet.
 
20.12.1970 RAF-Mitglied Karl-Heinz Ruhland wird in Oberhausen verhaftet und macht als erster Aussagen über die Gruppe.
 
15.01.1971 In Kassel überfallen Mitglieder der RAF zeitgleich zwei Banken; sie erbeuten 114.000 Mark.
 
April 1971 Das RAF-Strategiepapier „Das Konzept Stadtguerilla“ wird verbreitet.

„Stadtguerilla machen heißt, den antiimperialistischen Kampf offensiv führen. Die Rote Armee Fraktion stellt die Verbindung her zwischen legalem und illegalem Kampf, zwischen nationalem und internationalem Kampf, zwischen politischem und bewaffnetem Kampf, zwischen der strategischen und der taktischen Bestimmung der internationalen kommunistischen Bewegung. Stadtguerilla heißt, trotz der Schwäche der revolutionären Kräfte in der Bundesrepublik und Westberlin hier und jetzt revolutionär intervenieren!“
 

01.05.1971 In West-Berlin gründen sich bei einem so genannten „Smoke-In“ in der Hasenheide die „Yippies West-Berlin“. Ein Teil der Gruppe tritt später in die Stadtguerillagruppe „Bewegung 2. Juni“ ein. Mitglieder der „Yippies“ beteiligen sich an zahlreichen Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg.
 
06.05.1971 Astrid Proll wird in Hamburg verhaftet.
 
Mai 1971 Es erscheint das RAF-Strategiepapier „Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“. In dem Pamphlet konstatiert die RAF unter anderem, dass das „revolutionäre Subjekt“ neben der „Arbeiterklasse“ auch die Studenten umfasst.

„Das Abwarten, bis die Industriearbeiter organisiert in den revolutionären Kampf eingreifen, ist sicher das untauglichste Mittel zur Einbeziehung heute noch passiver Schichten in den revolutionären Prozeß. Angesichts der aktiven und gegenwärtig noch bestimmenden Teilnahme der Studenten an der antikapitalistischen Bewegung ist es absurd und Ausdruck eines mystifizierten Klassenbegriffs, wenn Genossen den studentischen Kadern die ‚Zuständigkeit’ für die Weiterentwicklung der sozialistischen Theorie streitig machen.“
 

Juli 1971 RAF-Mitglieder nehmen Kontakt mit den TW und dem „Blues“ auf. Die Gruppe ist an einer Fusion interessiert. Besonders das TW-Mitglied Georg von Rauch ist für die RAF aufgrund seiner „Erfahrungen im Untergrund“ wertvoll. Die TW-Mitglieder Thomas Weisbecker und Angela Luther schließen sich im Verlauf der Diskussionen der RAF an. Demgegenüber bleibt von Rauch skeptisch:

„Mit der RAF kommen wir nicht klar, die wollen uns den Blues austreiben. Wir machen etwas eigenes.“

Den TW gehören Ende Oktober 1971 noch Michael Baumann, Heinz Brockmann, Peter Knoll und Georg von Rauch an.
 

01.07.1971 In West-Berlin beginnt nach 14 Monaten Untersuchungshaft der Prozess gegen Georg von Rauch, Michael „Bommi“ Baumann und Thomas Weisbecker. Ihnen wird unter anderem Nötigung, Körperverletzung und schwerer Raub in Zusammenhang mit dem Überfall auf den Journalisten Horst Rieck vorgeworfen. Nach Bekanntgabe der Haftverschonung für Baumann und Weisbecker kommt es am 8. Juli 1970 zu einem so genannten „Verwechselungs-Go-Out“; Weisbecker, der von Rauch sehr ähnlich sieht, erscheint an dessen Stelle im Gerichtssaal, während von Rauch den Saal verlässt. Als festgestellt wird, dass es sich um eine Verwechselung handelt, wird Weisbecker sofort aus dem Saal entlassen; am Tag darauf wird Weisbecker zur Fahndung wegen „Gefangenenbefreiung“ ausgeschrieben. Von Rauch lebt fortan in der Illegalität.
 
15.07.1971 Während der bisher größten Fahndungsaktion in der bundesrepublikanischen Geschichte wird das 20-jährige RAF-Mitglied Petra Schelm in Hamburg erschossen. RAF-Mitglied Werner Hoppe wird verhaftet und später wegen versuchten Mordes angeklagt. Gefahndet wird nach 50 Mitgliedern der RAF.
 
Kommentar:
 

Der Tod von Petra Schelm löste, wohlgemerkt vor der „Mai-Offensive 72“, in der bundesrepublikanischen Bevölkerung eine Sympathiewelle für die RAF aus. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes „Emnid“ hätte im Frühjahr 1971 jeder siebte Bundesbürger unter bestimmten Umständen einem RAF-Mitglied eine nächtliche Unterkunft zur Verfügung gestellt. Obwohl die 20-jährige Schelm das erste Todesopfer in der zunehmenden Konfrontation zwischen RAF und „Staat“ war, wird den bei Fahndungsaktionen getöteten „Ikonen“ Thomas Weisbecker und Georg von Rauch in der linken Szene mehr Beachtung geschenkt.

September 1971 Das im Mai veröffentlichte Strategiepapier erscheint als Rotbuch 29 im Berliner Wagenbach-Verlag unter dem Titel „Kollektiv RAF – Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“. Das Buch wird sofort nach Erscheinen verboten und beschlagnahmt.
 
01.09.1971 Horst Herold wird Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA). Unter seiner Leitung wird unter anderem die EDV-gesteuerte Rasterfahndung eingeleitet.
 
21.10.1971 In West-Berlin kommt es während einer Ausweiskontrolle zu einem Schusswechsel zwischen dem TW-Mitglied Georg von Rauch und dem Polizeibeamten Peter Mäker. Mäker erleidet einen Durchschuss im Oberschenkel; von Rauch kann flüchten.
 
22.10.1971 Der Polizeibeamte Norbert Schmid wird im Einsatz als Zivilfahnder bei einer versuchten Festnahme in Hamburg von RAF-Mitglied Gerhard Müller erschossen. Margit Schiller wird verhaftet.
 
November 1971 Astrid Proll wird als erstes RAF-Mitglied in den so genannten „Toten Trakt“ in Köln-Ossendorf verlegt.
 
01.11.1971 In Kiel überfallen mutmaßliche Mitglieder der RAF die Spar- und Leihkasse.
 
04.12.1971 Das TW-Mitglied Georg von Rauch wird während einer Fahndungsaktion, an der 3.000 Polizeibeamte beteiligt sind, erschossen. Dabei erleidet der Polizeibeamte Hans-Joachim Schulz einen Streifschuss. Michael Baumann, der Zeuge des Ereignisses ist, entsagt daraufhin aufgrund des Todes seines Freundes von Rauch dem „bewaffneten Kampf“.
 
06.12.1971 In Berlin-Kreuzberg wird das ehemalige Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses von Angehörigen der linksradikalen Kreuzberger Szene besetzt. Das Gebäude wird von den Besetzern nach dem zwei Tage zuvor erschossenen Guerillero in „Georg-von-Rauch-Haus“ umbenannt.
 
22.12.1971 In Kaiserslautern überfallen Mitglieder der RAF die Bayerische Hypothekenbank und die Wechselbank. Der Polizeiobermeister Herbert Schoner wird dabei von einem RAF-Mitglied erschossen. Unter anderem wird Thomas Weisbecker als Tatbeteiligter verdächtigt.
 
Dezember 1971/Januar 1972 Verschiedene militante Gruppen – unter ihnen die TW, der „Zentralrat der Umherschweifenden Haschrebellen“ und die „Rote Ruhr Armee“ – treffen sich im besetzten „Georg-von-Rauch-Haus“ zur ersten Diskussionsrunde, um eine gemeinsame Stadtguerillagruppe zu organisieren. In den Folgemonaten tritt diese Gruppierung, in Anlehnung an das Todesdatum Benno Ohnesorgs, unter dem Namen „Bewegung 2. Juni“ auf.
 
10.01.1972 Der Schriftsteller Heinrich Böll veröffentlicht im „Spiegel“ seine Kolumne „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“. Später wird Bölls Phrase der „6 gegen 60 Millionen“ mit der Kolumne verbunden.
 
20.01.1972 Der Psychologe Peter Brückner wird wegen angeblicher Kontakte zur RAF von seinen Amtspflichten als Professor der Technischen Universität Hannover suspendiert.
 
28.01.1972 Die Innenministerkonferenz unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers Willy Brandt beschließt den „Radikalenerlass“. Im öffentlichen Dienst werden in den nächsten Jahren über 300.000 Gesinnungsprüfungen durchgeführt. Bewerberinnen und Bewerber sowie Angestellte werden durch den Verfassungsschutz überprüft und linksverdächtige Personen abgelehnt.
 
30.01.1972 Im nordirischen Derry erschießen britische Fallschirmjäger am „Bloody Sunday“ während einer Demonstration gegen die Internment-Politik der britischen Regierung 14 Zivilisten; 15 weitere werden zum Teil schwer verletzt. Die Internment-Politik soll sich vor allem gegen die Mitglieder der Irish Republican Army (IRA) und deren Unterstützer richten. Die Maßnahme erlaubt es, mutmaßliche Angehörige der Gruppe ohne konkreten Verdacht zu internieren.
 
02.02.1972 In Berlin-Gatow verüben Mitglieder der Bewegung 2. Juni einen Sprengstoffanschlag auf den britischen Yachtclub. Allerdings detoniert der Sprengkörper nicht plangemäß: Er wird von dem als Hausmeister tätigen Bootsbauer Erwin Beelitz aufgefunden und verletzt ihn tödlich. Das Attentat wird als Protestakt gegen den „Bloody Sunday“ am 30. Januar 1972 in Derry dargestellt.
 
02.03.1972 Thomas Weisbecker, mittlerweile Mitglied der RAF, wird von Polizeibeamten einer Sonderkommission des bayerischen Kriminalamtes in Augsburg erschossen. Seine Begleiterin Carmen Roll wird verhaftet. Die Umstände von Weisbeckers Tod sind gerichtlich nie geklärt worden.

Kriminalhauptkommissar Hans Eckard, Leiter der Sonderkommission „Baader/Meinhof“, wird bei der Festnahme der RAF-Mitglieder Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann von Grashof in Hamburg angeschossen. Grashof selbst wird bei dem Schusswechsel schwer verletzt; Eckard erliegt seinen Schussverletzungen drei Wochen später.
 

03.03.1972 In West-Berlin verüben Mitglieder der Bewegung 2. Juni einen Sprengstoffanschlag auf das Landeskriminalamt. Die Gruppe rechtfertigt ihre Aktion auf Flugblättern unter dem Slogan „Jetzt reichts!“. Sie beziehen sich in dem Text auf den am Tag zuvor erschossenen Thomas Weisbecker, die am 15. Juli 1971 getötete Schelm sowie auf den am 4. Dezember 1971 erschossenen Georg von Rauch.
 
22.03.1972 Die sozialliberale Bundesregierung verabschiedet das „Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit“. Neben dem personellen und finanziellen Ausbau des Bundeskriminalamtes (BKA) wird die Bedeutung der Bereitschaftspolizeien in den Bundesländern als „ein wichtiger Ordnungsfaktor der Inneren Sicherheit“ erhöht. Bestandteile der Neuerungen sind die Personalaufstockung der Bereitschaftspolizeien von 18.000 auf 22.300 Beamte, die Modernisierung von Fernmeldegeräten, Kraftfahrzeugen und sonstigem polizeitaktischem Gerät sowie die Ausrüstung der Beamten mit vollautomatischen Handfeuerwaffen und Handgranaten. Des Weiteren sollen zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit Hubschrauberstaffeln aufgestellt werden.
Schwerpunkt des Ausbaus des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die verbesserte Ausstattung durch Observationsgruppen. In diesem Bereich soll das Personal von 1.016 Stellen (1969) auf 1.409 Stellen bis zum Jahre 1973 aufgestockt werden.
 
April 1972 Die Schrift „Rote Armee Fraktion: Stadtguerilla und Klassenkampf“ erscheint und wird auszugsweise im „Spiegel“ veröffentlicht.
 
05.05.1972 In West-Berlin verüben Mitglieder der Bewegung 2. Juni einen Brandanschlag auf die juristische Fakultät. Die Gruppe rechtfertigt die Aktion als Protest gegen die Justiz, da diese einige Verfahren gegen „Todesschützen“ aus den Reihen der Behörden eingestellt hat.
 
07.05.1972 In Bad Neuenahr werden die Mitglieder Bewegung 2. Juni Inge Viett und Ulrich Schmücker verhaftet.
 
11.05.1972 In Frankfurt am Main verübt das RAF-„Kommando Petra Schelm“ einen Sprengstoffanschlag auf das US-Hauptquartier des V. Corps der US-Armee. Bei dem Anschlag stirbt Oberstleutnant Paul Bloomquist; 13 weitere Personen werden verletzt.
 
12.05.1972 In Augsburg verübt das RAF-„Kommando Thomas Weisbecker“ einen Sprengstoffanschlag auf die Polizeidirektion. Sieben Personen werden verletzt. In München wird am selben Tag vor dem Bayerischen Landeskriminalamt eine Autobombe gezündet, wobei zehn Personen verletzt werden.
 
16.05.1972 In Karlsruhe verübt das RAF-„Kommando Manfred Grashof“ einen Sprengstoffanschlag auf den VW-Käfer (VW 1300) des BGH-Ermittlungsrichters Wolfgang Buddenberg. An seiner Stelle wird Gerta Buddenberg, die Ehefrau des Richters, die zur Tatzeit das Auto benutzt, schwer verletzt.
 
19.05.1972 In Hamburg verübt das RAF-„Kommando 2. Juni“ einen Sprengstoffanschlag auf das Springer-Verlagshaus. Trotz rechtzeitiger Warnungen lässt Springer das Verlagshaus nicht räumen. Es detonieren zwei Bomben, die 17 Mitarbeiter verletzen. Drei nicht gezündete Sprengkörper können entschärft werden.
 
24.05.1972 In Heidelberg verübt das RAF-„Kommando 15. Juli“ einen Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte. Durch die Detonation der zwei Autobomben werden Captain Clyde R. Bonner sowie die Soldaten Ronald A. Woodward und Charles L. Peck getötet. Fünf weitere Personen werden verletzt. Unter anderem wird später neben Baader, Ensslin und Raspe auch Irmgard Möller für die Tat verantwortlich gemacht.
 
31.05.1972 In Frankfurt am Main wird auf einem verbotenen Teach-In der Roten Hilfe eine Tonbanderklärung Ulrike Meinhofs abgespielt. Meinhof rechtfertigt hier die Sprengstoffanschläge als „unsere Aktionen gegen die Ausrottungsstrategien von Vietnam“ und „unsere Aktionen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Gefangenen und der freien Genossen der RAF“.

In der Bundesrepublik wird die bisher größte Fahndungsaktion begonnen; mehr als 130.000 Polizeibeamte sind daran beteiligt.
 

Kommentar:

Im Vergleich mit späteren RAF-Taten lassen sich für die Sprengstoffanschläge der „Mai-Offensive 72“ noch am ehesten ideologische Verbindungen mit dem im April 1971 erschienenen „Konzept Stadtguerilla“ ziehen. Jedoch weisen die Anschläge der „Mai-Offensive“, die nicht im Kontext einer Vietcong-Solidarität standen, wie etwa derjenige auf das Springer-Verlagshaus in Hamburg, auf zukünftige ideologische Brüche in der RAF hin. Die teils schweren Verletzungen von Verlagsangestellten ließen sich nur schwer mit dem vorgeblichen Ziel in Einklang bringen, dass dem Volk gedient werden solle. Mit dem fehlgeschlagenen Individual-Anschlag auf den Richter Wolfgang Buddenberg erreichte die RAF bereits eine neue Dimension terroristischer Aktivität, deren Ausmaß erst mit der Kaltblütigkeit der Stockholm-Besetzer im Jahre 1975 überboten wurde.

 

 

Juni 1972 Der Bundestag verabschiedet das Verfassungsschutzgesetz, das die Überwachungsmöglichkeiten für den Verfassungsschutz ausdehnt und die wechselseitige Amtshilfe zwischen Gerichten und Behörden und dem Bundesverfassungsschutz einführt. Mit dem Bundesgrenzschutzgesetz erhält der Bundesgrenzschutz umfassendere polizeiliche Befugnisse für das Landesinnere.
 
01.06. bis 07.07.1972 Am 1. Juni werden Baader (Foto 1), Raspe und Meins (Foto 2) im Hofeckerweg 2-4 in Frankfurt am Main verhaftet. Bei der Festnahme kommt es zu einem Schusswechsel, bei dem Baader im Oberschenkel angeschossen wird.

Am 7. Juni wird Gudrun Ensslin in einer Modeboutique am Jungfernstieg in Hamburg verhaftet.

Am 9. Juni werden Brigitte Mohnhaupt und Bernhard Braun in Berlin-Tiergarten verhaftet.

Am 15. Juni werden Ulrike Meinhof und Gerhard Müller in Hannover-Langenhagen verhaftet, nachdem ihr Quartiergeber sie verraten hatte. (Foto 3)

Am 7. Juli werden Irmgard Möller und Klaus Jünschke in Offenbach verhaftet.

Bildmaterial:

  1. Verhaftung Andreas Baaders nach einem Schusswechsel mit Polizeibeamten am 1. Juni 1972.
  2. Der entkleidete Holger Meins wird nach seiner Verhaftung am 1. Juni 1972 abgeführt.
  3. Ulrike Meinhof nach ihrer Festnahme am 15. Juni 1972.
Kommentar:
 

Nach der „Mai-Offensive 72“ stand die Solidarität in der westdeutschen Bevölkerung auf einem Tiefpunkt. Der Fahndungsdruck auf die Gruppe wurde durch vermehrten Einsatz schwerbewaffneter Polizeibeamter in der gesamten Bundesrepublik zunehmend verstärkt. In dieser gesellschaftlichen Situation erfolgten die Verhaftungen der RAF-Gründungsmitglieder, wohlgemerkt in fast allen Fällen durch Hinweise aus der Bevölkerung. Die Aktivitäten der „ersten RAF-Generation“ in der Illegalität nahmen mit den Verhaftungen ein rasches Ende; bis zur Stockholm-Besetzung im Jahr 1975 wurde die RAF für keine mit der „Mai-Offensive“ vergleichbaren Taten verantwortlich gemacht.

22.06.1972 Der Bundestag beschließt das Grundgesetz zu ändern. Unter anderem werden das Haft- und Waffenrecht verschärft sowie die Befugnisse des Bundesgrenzschutzes (BGS) und des Verfassungsschutzes erweitert.
 
25.06.1972 Der britische Handelsvertreter Ian McLeod wird bei einer polizeilichen Hausdurchsuchung durch die geschlossene Schlafzimmertür erschossen. Die Vormieter der Wohnung waren RAF-Mitglieder. Ein Verfahren gegen den Todesschützen der Polizei lehnt die Staatsanwaltschaft ab; der Beamte habe sich in Putativ-Notwehr befunden.
 
29.06.1972 Das RAF-Mitglied Katharina Hammerschmidt stellt sich der Polizei in Begleitung ihres Rechtsanwaltes Otto Schily.
 
26.07.1972 Das LG Hamburg verurteilt das RAF-Mitglied Werner Hoppe wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
 
05.09.1972 In München ereignet sich das „Olympia-Attentat“. Acht Bewaffnete der palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“ nehmen elf Sportler der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln – David Mark Berger, Ze’ev Friedman, Joseph Gottfreund, Eliezer Halfin, Joseph Romano, André Spitzer, Amitsur Schapira, Kahat Schor, Mark Slavin, Jaakov Springer und Moshe Weinberg. Weinberg und Romano werden schon zu Beginn des Attentats verwundet und erliegen ihren Verletzungen noch im Olympischen Dorf. Die Geiselnehmer fordern die Freilassung von 232 in Israel inhaftierten Palästinensern – was die israelische Regierung kategorisch ablehnt – sowie die Freilassung von Baader, Meinhof und des Mitglieds der Japanischen Roten Armee (JRA) Kozo Okamoto. Des Weiteren fordern die Geiselnehmer, per Flugzeug nach Kairo ausgeflogen zu werden, worauf die deutsche Bundesregierung scheinbar eingeht: Ein Hubschrauber des BGS bringt die Palästinenser zusammen mit den entführten israelischen Sportlern zum nahe gelegenen Flugplatz Fürstenfeldbruck. Dort kommt es zum Schusswechsel zwischen den deutschen Behörden und den Geiselnehmern. In dessen Verlauf werden alle neun überlebenden Geiseln, fünf Palästinenser und ein an der Schießerei unbeteiligter deutscher Polizeibeamter getötet. Ein weiterer deutscher Beamter wird durch Gewehrschüsse in einem „friendly fire“ von den deutschen Behörden schwer verletzt.
 
13.09.1972 Auf Anregung von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher beschließt die Innenministerkonferenz auf Bundes- und Länderebene die Aufstellung von Spezialeinheiten zur „Terrorismusbekämpfung“. Am 21. September genehmigt der Haushaltsausschuss des Bundestags einstimmig 188 Planstellen für den Aufbau einer Sondereinheit des BGS. Mit einem Erlass vom 26. September ordnet Bundesinnenminister Genscher die Aufstellung des Sonderverbandes Grenzschutzgruppe 9 (GSG9) mit sofortiger Wirkung an. Im Konzept der Innenministerkonferenz vom 15. Februar 1974 wird der „Auftrag“ der GSG9 wie folgt formuliert:

„Die GSG9 ist zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben in Fällen von besonderer Bedeutung vorgesehen. Sie kann vor allem dann eingesetzt werden, wenn die Lage ein geschlossenes Vorgehen – offen oder verdeckt – unter Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Gewalttäter erfordert. Dies ist insbesondere der Fall, wenn bandenmäßig organisierte Terroristen in größerem Umfang tätig werden.“
 

29. Oktober 1972 In Zagreb wird eine Lufthansa-Maschine entführt. Die Entführer fordern die Freilassung von drei palästinensischen Gesinnungsgenossen, die nach dem Olympia-Attentat verhaftet worden waren.
 
November 1972 Das vierte Papier der RAF erscheint unter dem Titel „Die Aktion des Schwarzen September in München – Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes“. In dem Text wird die Aktion als beispielhaft für die „revolutionäre Strategie des antiimperialistischen Kampfes“ gewürdigt.
 
17.01. bis 16.02.1973 40 RAF-Inhaftierte treten in den ersten kollektiven Hungerstreik. Die „Hungerstreik-Erklärung“ gibt Andreas Baader im Strafprozess gegen Horst Mahler in Berlin ab. Die Gruppe fordert die „Aufhebung der Isolation als Folter für die politischen Häftlinge in der BRD“ sowie die Verlegung Meinhofs aus dem „toten Trakt“ im Gefängnis Köln-Ossendorf. Die Anwälte beklagen nun die „Folter“ der Inhaftierten.
 
26.02.1973 Das Berliner Kammergericht verurteilt das RAF-Mitglied Horst Mahler wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung und Teilnahme an schweren Raubüberfällen. Das Urteil ist unter Juristen umstritten, da Mahlers Mittäterschaft an drei Banküberfällen im September 1970 nicht eindeutig bewiesen werden kann.
 
08.05. bis 29.06.1973 Mindestens 40 RAF-Inhaftierte treten in den zweiten kollektiven Hungerstreik. Sie fordern die „Gleichstellung der politischen Gefangenen mit allen anderen Gefangenen“ sowie das Erhalten „freie[r] politische[r] Information“. Erstmals wird von Justizvollzugsbehörden die Zwangsernährung praktiziert.
 
20.06.1973 Das Mitglied der Bewegung 2. Juni Inge Viett bricht aus der Frauenanstalt Lehrter Straße in Berlin-Moabit aus.
 
07.07.1973 In Bochum wird das Mitglied der Bewegung 2. Juni Gabriele Kröcher-Tiedemann verhaftet.
 
16.07.1973 In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart findet in den Gefängniszellen von Baader, Ensslin, Meins, Möller und Raspe eine erste Razzia durch Beamte des BKA statt.
 
09.11.1973 Das Mitglied der Bewegung 2. Juni Michael Baumann wird bei einem Durchreiseversuch von Grenzbehörden der DDR wegen gefälschter Papiere verhaftet. Er gesteht vor Beamten des MfS, am 13. Dezember 1969 gemeinsam mit Georg von Rauch Sprengstoffanschläge auf den amerikanischen Offiziersclub „50“ und am 28. November 1969 auf den Landesgerichtsdirektor Hans Heinsen verübt zu haben. Baumann kooperiert mit dem MfS, woraufhin dieses ein umfangreiches „Who is who“ der militanten, linken Szene in Westdeutschland erstellen kann. Baumann informiert die MfS-Beamten ausführlich über 94 Personen, die dem „bewaffneten Kampf“ nahestehen.
 
11.11.1973 Dem im Jahre 1972 verhafteten Mitglied der Bewegung 2. Juni Till Meyer gelingt es, aus dem offenen Vollzug der JVA Castrop-Rauxel zu flüchten.
 
17./18.11.1973 In Nürnberg und West-Berlin verüben Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) Anschläge auf Niederlassungen der International Telephone and Telegraph (ITT).
 
22.11.1973 Das LG Berlin verurteilt das RAF-Mitglied Heinrich „Ali“ Jansen wegen zweifachen Mordversuchs zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
 
Januar 1974 Monika Berberich, die sich in „erschwerter Einzelhaft“ befindet, wird für verhandlungsunfähig erklärt.

Der Prozess gegen Hammerschmidt wird abgebrochen; nach 17-monatiger Haft wird das RAF-Mitglied wegen einer Krebserkrankung entlassen. Den zuständigen Ärzten wird von Medizinern, Anwälten, Freunden und RAF-Sympathisanten Fahrlässigkeit vorgeworfen. Das LG Berlin spricht nach dem Tod Hammerschmidts der Gefängnisleitung wegen „schuldhafter Verletzung der Amtspflicht“ eine Mitschuld an dessen Tod zu.
 

Februar 1974 Die Innenministerkonferenz beschließt die Erweiterung des „Programms für die Innere Sicherheit der BRD“. Es beinhaltet die Koordinierung der Verfassungsschutzbehörden und deren Zusammenwirken mit anderen Nachrichtendiensten und der Polizei, die Zusammenarbeit im EG-Bereich, das einheitliche Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen und anderen Ereignissen mit politischem Charakter sowie die Einsatzbereitschaft der Mobilen Einsatzkommandos.
 
04.02.1974 In Hamburg werden die RAF-Mitglieder Christa Eckes, Helmut Pohl, Ilse Stachowiak und Eberhard Becker verhaftet. Am gleichen Tag werden in Frankfurt am Main die RAF-Mitglieder Margrit Schiller, Wolfgang Beer und Kay-Werner Allnach festgenommen. Bei den Festnahmen stellen die Behörden sowohl in Hamburg als auch in Frankfurt Waffen, Sprengstoff und gefälschte Papiere sicher. Offenbar haben die Verhafteten versucht, andere RAF-Inhaftierte zu befreien.
In Amsterdam werden einige Tage später Axel Achterrath und Ekkehard Blenk festgenommen.

Astrid Proll wird wegen Haftunfähigkeit entlassen und taucht unter.
 

16.05.1974 Helmut Schmidt wird nach dem Rücktritt Willy Brandts von der Mehrheit des Bundestages zum Bundeskanzler gewählt.
 
21.05.1974 In München wird der als „RAF-Sympathisant“ verdächtigte Taxifahrer Günther Jendrian von Polizeibeamten erschossen.
 
04.06.1974 Im West-Berliner Grunewald wird das Mitglied der Bewegung 2. Juni, Ulrich Schmücker, erschossen aufgefunden. Weil er nach seiner Festnahme am 7. Mai 1972 zur Gruppe Aussagen gemacht hat und für den Verfassungsschutz tätig ist, wird er in der linksradikalen Berliner Subkultur als „Verräter“ diffamiert. Am 6. Juni geht ein Bekennerschreiben eines „Kommandos Schwarzer Juni“ bei der „Frankfurter Rundschau“ ein.
 
13.09.1974 bis 05.02.1975 Mindestens 31 RAF-Inhaftierte treten in den dritten kollektiven Hungerstreik. Ergebnis sind ein stündlicher Umschluss und die Einrichtung einer gemeinsamen Freistunde. Der Hungerstreik wird am 5. Februar 1975 aufgrund einer Anordnung der in der Legalität agierenden RAF-Mitglieder vom 2. Februar beendet.

„Wir bitten Euch, den Streik jetzt abzubrechen, obwohl aus seinen objektiven – der Stärke der reaktionären Mobilisierung hier, dem Klassenkampf von oben – und seinen subjektiven Bedingungen – unterentwickelte Klassenkämpfe, die Korruption der Klassenorganisationen des Proletariats, einer schwachen revolutionären Linken – seine Forderung, die Aufhebung der Isolation, nicht durchgesetzt werden konnte. Versteht das als Befehl.“
 

27.09.1974 In einer von Berberich verfassten Erklärung für die RAF-Inhaftierten wird Mahler aus der RAF ausgeschlossen. Mahler hat sich zuvor der maoistischen KPD angeschlossen.
 
November 1974 Auf Beschluss der Innenministerkonferenz findet eine groß angelegte Fahndungsaktion gegen die RAF statt, die „Aktion Winterreise“. In einer unangekündigten Gemeinschaftsaktion sämtlicher Polizei- und Grenzschutzeinheiten werden in der gesamten BRD Straßensperren errichtet und von schwer bewaffneten Polizeibeamten scharfe Kontrollen durchgeführt. Als links geltende Anwaltskanzleien, Büros, Druckereien und Wohngemeinschaften werden durchsucht.
 
09.11.1974 Holger Meins stirbt nach 54 Tagen an den Folgen des Hungerstreiks in der Strafanstalt Wittlich. Er ist der erste „Hungertote“ der RAF. Es kommt zu deutschlandweiten, teilweise gewaltsamen Protesten mit mehreren Tausend Teilnehmern auf über 50 Demonstrationen. Zudem werden in einigen Städten Brandanschläge verübt. (Foto)

Bildmaterial:

  • Der Tod von Holger Meins am 9. November 1974 konnte bundesweit RAF-Sympathisierende mobilisieren.
Kommentar:
 

Der Tod von Holger Meins nach seinem 54-tägigen Hungerstreik löste in der Bundesrepublik, vor allem in linken Kreisen, nach der „Mai-Offensive“ erstmals wieder stärkere Sympathien für die RAF aus. Zugleich bekräftigte Meins’ Tod die die seit 1973 eingeleitete „Knastkampagne“ sowie deren Hauptvorwurf der „Isolationsfolter“. In der Folgezeit erhielten die RAF und deren Umfeld starken personellen Zulauf.

10.11.1974 In West-Berlin ermorden Mitglieder der Bewegung 2. Juni den Präsidenten des Kammergerichts in seinem Haus. Die Gruppe rechtfertigt die Tat mit der „Ermordung Holger[s]“. Die RAF begrüßt die Tat als „Solidarität mit dem Hungerstreik“.
 
11.11.1974 In West-Berlin beteiligen sich rund 15.000 Menschen an einer Großdemonstration zur Unterstützung der Hungerstreikenden und zum Protest gegen den Tod von Holger Meins.
 
18.11.1974 Holger Meins wird im Familiengrab der Meins’ in Hamburg-Stellingen beerdigt. Zu Meins’ Beerdigung kommen mehr als 5.000 Menschen, unter ihnen Rudi Dutschke, der am Grab mit geballter Faust verlauten lässt:

„Holger, der Kampf geht weiter!“
 

19.11.1974 Rechtsanwalt von Plottnitz stellt im Namen der Angehörigen von Meins gegen den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, den vorsitzenden Richter im „Stammheim-Prozess“, Theodor Prinzing, den Präsidenten des BKA, Horst Herold, den Wittlicher Anstaltsleiter und den Anstaltsarzt Strafanzeige wegen Mordes bzw. Totschlags.
 
26.11.1974 In West-Berlin werden die Kanzleien der Rechtsanwälte Klaus Eschen, Spangenberg und Hans-Christian Ströbele von Beamten durchsucht.
 
29.11.1974 Das LG Berlin verurteilt Mahler zu 14 Jahren und Meinhof zu 8 Jahren Freiheitsstrafe.
 
Dezember 1974 Der Bundestag verabschiedet das „Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts“. Damit wird die Höchstzahl der Wahlverteidiger begrenzt, das Verbot der Mehrfachverteidigung eingeführt, Verteidigerausschlüsse ermöglicht und eine Handhabe eingerichtet, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte bei „verschuldeter Verhandlungsunfähigkeit“ durchzuführen.
 
04.12.1974 Der Philosoph und Nobelpreisträger Jean-Paul Sartre besucht Baader in der JVA Stuttgart und führt mit ihm ein Gespräch über die Haftbedingungen der RAF-Inhaftierten (Foto). Als Dolmetscher fungiert Daniel Cohn-Bendit. Der Fahrer, der Sartre in die JVA chauffiert hatte, ist Hans-Joachim Klein. Klein wird kurze Zeit später von den Revolutionären Zellen (RZ) angeworben. Auch der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm wird über die Anwaltskanzlei von Klaus Croissant angeschrieben, die Haftbedingungen der inhaftierten RAF-Mitglieder zu begutachten. Fromm lehnt den Besuch in der JVA Stuttgart ab.

„Ich würdige Ihren Wunsch beziehungsweise den Wunsch der Angeklagten, dass ich mit Ihnen […] ins Gespräch kommen möge. Jedoch muss ich zugeben, dass ich einigermaßen erstaunt bin, dass die Angeklagten dieses Gespräch wollen, obwohl sie meine Schriften kennen. Ich hätte eher vermutet, dass meine politische Haltung ihnen so negativ erscheint, wie die ihrige es für mich ist. Um es deutlich zu sagen, bin ich radikal gegen ihre Strategie und ihre Taktik, die ich politisch und auch menschlich äußerst abstoßend finde.“

Bildmaterial:

  • Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre besuchte Andreas Baader am 4. Dezember 1974, um sich ein Bild von den Haftbedingungen der „Stammheim-Gefangenen“ zu machen. Der Besuch gilt als einer der größten Propagandacoups der RAF.
Kommentar:
 

Der Sartre-Besuch in der JVA Stuttgart gilt neben dem Tod von Holger Meins als der größte Propagandacoup der RAF während ihrer „Knastkampagne“. Die Anfrage an den französischen Philosophen war von Andreas Baaders Anwalt Klaus Croissant gestellt worden. Da Sartre sich schon mit den Haftbedingungen in südamerikanischen Gefängnissen auseinandergesetzt hatte und die Motive der RAF bei ihm gewisse Sympathien erweckten, sagte er zu. Nach einem Gespräch mit Baader – in dessen Verlauf hatte sich Sartre keinen angemessenen eigenen Eindruck von den Haftbedingungen in „Stammheim“ verschaffen können – hielt er eine Pressekonferenz ab. Vor der Öffentlichkeit bekräftigte Sartre die Argumentation der RAF-Inhaftierten, es handele sich bei den Haftbedingungen tatsächlich um „Isolationsfolter“. Unmittelbar widerlegten weder Politiker noch Justizvollzugsbeamte die Aussagen Sartres; zumindest „die Härte des Rechtsstaates“ schien in den Ausführungen Sartres bestätigt zu werden.

20.01.1975 Im „Spiegel“ erscheint ein ausführliches Interview mit den RAF-Inhaftierten Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe. In diesem Gespräch äußern sie sich zu ihrem politischen Selbstverständnis und ihren Haftbedingungen.
 
27.02.1975 Der CDU-Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt in West-Berlin, Peter Lorenz, wird von der Bewegung 2. Juni entführt (Foto). Die Entführer fordern die Freilassung von sechs inhaftierten Gesinnungsgenossen – Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler, Rolf Pohle und Horst Mahler. Die Bundesregierung entschließt sich, auf die Forderung der Entführer einzugehen. Bis auf Mahler – dieser lehnt das Angebot ab – werden die restlichen Inhaftierten am 3. März 1975 mit einer Boeing 707 nach Aden im Jemen ausgeflogen. Der ehemalige Regierende Bürgermeister West-Berlins, Heinrich Albertz, begleitet die Entführer auf ihrem Flug als Vermittler. Nachdem Albertz die Losung „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ im Fernsehen bekannt gibt, wird Lorenz am 4. März aus seinem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg freigelassen.

Bildmaterial:

  • Peter Lorenz in seinem „Volksgefängnis“, festgehalten in einem Kellerraum im West-Berliner Bezirk Kreuzberg.
März/April 1975 Die Rechtsanwälte der in der JVA Stuttgart inhaftierten RAF-Mitglieder, Kurt Groenewold, Klaus Croissant und Hans-Christian Ströbele, werden von dem Gerichtsverfahren suspendiert und ausgeschlossen.
 
April 1975 Die Innenministerkonferenz beschließt eine weitere Zentralisierung der Fahndungskompetenzen beim BKA. Das BKA erhält eine Abteilung „T“ (Terrorismus)
 
24.04.1975 In Stockholm überfällt das „Kommando Holger Meins“ die deutsche Botschaft (Foto 1 + Foto 2). Die RAF-Mitglieder Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel nehmen zwölf Geiseln. Sie fordern die Freilassung von 26 Gesinnungsgenossen, unter ihnen Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe. Während der Geiselnahme ermorden die Geiselnehmer den Militärattaché Andreas von Mirbach sowie den Botschaftsrat Heinz Hillegaart. Aus bisher ungeklärten Umständen detoniert, kurz bevor die schwedischen Sicherheitskräfte eingreifen wollen, ein Sprengsatz in dem Gebäude (Foto 3). Dabei erleidet Wessel tödliche und Hausner lebensgefährliche Verletzungen. Hausner erliegt seinen Verletzungen nach seiner Auslieferung in die Bundesrepublik in der JVA Stuttgart am 4. Mai. Dellwo, Krabbe, Rössner und Taufer werden noch vor Ort verhaftet.

Bildmaterial:

  1. Schwedische Polizeibeamte bereiteten sich, kurz bevor ein Sprengsatz in der deutschen Botschaft in Stockholm detonierte, auf die Stürmung vor.
  2. Der „Stockholm-Überfall“ am 24. April 1975 in der „Tagesschau“.
  3. Das während der Botschaftsbesetzung am 24. April 1975 beschädigte Gebäude der deutschen Botschaft in Stockholm. Kurz zuvor war aus bisher ungeklärten Umständen ein Sprengsatz in der Botschaft detoniert.
28.04.1975 In Berlin-Tegel werden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Gerald Klöpper und Ronald Fritzsch in einer Garage verhaftet.
 
09.05.1975 In Köln werden bei einem Schusswechsel der Polizeibeamte Walter Pauli sowie der Linksautonome Phillip Werner Sauber getötet. Saubers Gesinnungsgenossen Karl Heinz Roth und Roland Otto werden verhaftet. Die Bewegung 2. Juni veröffentlicht einige Tage später ein Solidaritätsschreiben für Sauber.
 
10.05.1975 Siegfried Haag, der Rechtsanwalt Baaders, wird kurzzeitig verhaftet, wobei seine Verteidigerunterlagen beschlagnahmt werden. Am Tag darauf lässt er durch seine Kanzlei mitteilen, dass er in die Illegalität gegangen sei.
 
21.05.1975 In einem eigens für den Prozess eingerichteten Gerichtsraum neben der JVA Stuttgart beginnt der so genannte „Stammheim-Prozess“ in der „Strafsache gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe wegen Mordes u.a.“ (Foto 1 + Foto 2).

Bildmaterial:

  1. Eine Gerichtszeichnung zeigt ein Bild der Anklagebank; in der oberen Reihe von links nach rechts: Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof. Aus Sicherheitsgründen durften keine Fotografien gemacht werden.
  2. Der so genannte „Stammheim-Prozess“ wurde in dem eigens für den Prozess errichteten Bau der JVA Stuttgart von massiven Sicherheitsvorkehrungen begleitet.
06.06.1975 In West-Berlin kommt es an der U-Bahnstation Yorckstraße zu einem Schusswechsel zwischen dem Mitglied der Bewegung 2. Juni Till Meyer und Polizeibeamten. Meyer wird dabei verletzt und anschließend verhaftet.
 
29.06.1975 Das RAF-Mitglied Katharina Hammerschmidt stirbt in West-Berlin an Brustkrebs im Alter von 30 Jahren.
 
30./31.07.1975 In West-Berlin überfallen Mitglieder der Bewegung 2. Juni zwei Banken. Die Gruppe erbeutet dabei rund 100.000 DM. Während der Aktion werden „Schokoküsse“ an Bankangestellte und -kunden verteilt.
 
09.09.1975 In Berlin-Steglitz werden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Inge Viett, Ralf Reinders und Juliane Plambeck in einer Ladenwohnung verhaftet. Wenige Tage später werden auch Fritz Teufel und Gabriele Rollnik festgenommen.
 
13.09.1975 Im Hamburger Hauptbahnhof detoniert ein Sprengsatz. Die Medien machen die RAF für den Anschlag verantwortlich. Inhaftierte Mitglieder der RAF sprechen von einer „faschistischen Provokation“. In der Folgezeit kommt es zu weiteren Anschlägen auf öffentliche Einrichtungen, von der sich die Gruppe distanziert.
 
10.10.1975 In der Bundesrepublik läuft in neun Kinos die Premiere des Filmes „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ an. Der Film von Regisseur Volker Schlöndorff beruht auf der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll aus dem Jahre 1974. Die Erzählung sowie der Film kritisieren die Arbeitsweise der „Bild“-Zeitung, insbesondere die Berichterstattung im Zusammenhang mit mutmaßlichen Angehörigen terroristischer Vereinigungen. In einer Vorbemerkung der Erzählung Bölls heißt es:

„Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der ‚BILD’-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“
 

12.11.1975 In West-Berlin werden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Waltraud Siepert und Christine Dömeland verhaftet.
 
21.12.1975 In Wien überfällt die sechsköpfige Gruppe „Arm der arabischen Revolution“, angeführt von dem Venezolaner Illich „Carlos“ Ramirez Sanchez den Sitz der Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC). Während der Aktion, bei der auch das RZ-Mitglied Hans-Joachim Klein und das Mitglied der Bewegung 2. Juni Gabriele „Nada“ Kröcher-Tiedemann beteiligt sind, werden etwa 62 Personen als Geiseln genommen, davon 11 Minister verschiedener Erdölexportländer. Während des Überfalls erschießt Kröcher-Tiedemann einen österreichischen Polizeibeamten sowie einen Iraker. Bei Handgreiflichkeiten erschießt „Carlos“ einen lybischen Delegierten; Klein erleidet bei einem Schusswechsel mit einem Polizeibeamten einen Bauchschuss. Auf die Forderungen der Geiselnehmer geht die österreichische Regierung teilweise ein, so dass die Gruppe ohne Komplikationen zusammen mit dem verletzten Klein über den Flughafen Wien-Schwechat nach Algier ausfliegen kann.
 
24.12.1975 Ein erneuter Fluchtversuch von Inge Viett aus der Lehrter Frauenanstalt in West-Berlin schlägt fehl und wird von den Justizvollzugsbeamten entdeckt.
 
16.01.1976 Der Bundestag verabschiedet das 14. Strafrechtsänderungsgesetz und führt mit ihm die Paragraphen 88a und 130a ein. Diese stellen die Verbreitung und den Besitz von gewaltverherrlichenden Schriften unter eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Das Gesetz tritt am 1. Mai 1976 in Kraft.
 
20.01.1976 Axel Azzola, der Rechtsanwalt Ulrike Meinhofs, stellt im Stammheim-Prozess den Antrag, die Angeklagten als „Kriegsgefangene“ anzuerkennen und das Verfahren einzustellen.
 
16.03.1976 Das LG Hamburg verurteilt die RAF-Mitglieder Irmgard Möller und Gerhard Müller zu viereinhalb und zehn Jahren Freiheitsstrafe. Müller, der verdächtigt wird, einen Polizeibeamten ermordet zu haben, erhält für seine Aussagen als „Kronzeuge“ und der damit verbundenen Kooperation mit den Anklagebehörden erheblichen Strafnachlass.
 
26.03.1976 In West-Berlin werden Eberhard Dreher und Andreas Vogel verhaftet. Dreher und Vogel werden verdächtigt, der Bewegung 2. Juni anzugehören.
 
07.05.1976 In Sprendlingen wird der Polizeimeister Fritz Sippel erschossen. Die mutmaßlichen Täter – unter anderem die RAF-Mitglieder Peter-Jürgen Boock und Rolf Clemens Wagner – können unbemerkt fliehen.
 
09.05.1976 Ulrike Meinhof begeht in ihrer Gefängniszelle in der JVA Stuttgart Selbstmord; sie wird erhängt aufgefunden.
 
16.05.1976 In Berlin-Mariendorf wird Ulrike Meinhof auf dem evangelischen Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde zu Grabe getragen. Über 4.000 Menschen folgen ihrem Sarg (Foto).

Bildmaterial:

  • Über 4.000 Menschen erscheinen am 16. Mai 1976 zur Beerdigung von Ulrike Meinhof, unter ihnen auch viele mit der RAF Sympathisierende.
Kommentar:
 

Die große Anzahl der auf der Beerdigung von Ulrike Meinhof erschienenen RAF-Sympathisanten verdeutlichtete schon im Jahre 1976 die Verklärung ihrer Person. Die Frage des „Selbstmordes“ und des „Staatsmordes“ entwickelte sich in der Linken, besonders bezogen auf den Tod Meinhofs, zu einem inneren Selbstbekenntnis. Tatsächlich sind bis heute nicht alle Einzelheiten ihres Todes aufgeklärt; jedoch deuten die Indizien – vor allem die Ausgrenzung Meinhofs innerhalb der Führungsgruppe während des „Stammheim-Prozesses“ – auf einen Suizid hin. Kurz vor Meinhofs Tod hatte sich Gudrun Ensslin öffentlich gegen die „Konzeption“ des Anschlags auf das Springer-Verlagshaus im Mai 1972 ausgesprochen. Für die Organisation des Anschlages war maßgeblich Meinhof verantwortlich gemacht worden. Die Distanzierung ihrer Gesinnungsgenossen glich einem „Rausschmiss“ aus der RAF, der im Gruppenverständnis mit „Verrat“ und letztendlich mit dem Tod gleichgesetzt wurde.

24.06.1976 Der Bundestag verabschiedet im Rahmen des neuen „Anti-Terrorismus-Gesetzes“ die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (§ 129a) als neuen Strafbestand.
 
27.06.1976 In Tel Aviv entführt ein palästinensisches Kommando – angeführt von dem Extremisten Wadi Haddat – gemeinsam mit den RZ-Mitgliedern Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann eine Passagiermaschine der Air France nach Entebbe in Uganda. Die Entführer fordern die Freilassung von 53 politischen Gefangenen verschiedener Nationalitäten, darunter auch Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni. Nachdem die jüdischen Passagiere von den nicht-jüdischen getrennt werden – maßgeblich initiiert von dem Deutschen Böse –, stürmt eine israelische Eliteeinheit das Flugzeug. Bei dem darauf folgenden Schusswechsel werden alle Geiselnehmer getötet sowie 3 von 103 Geiseln. Zudem eröffnen ugandische Soldaten des pro-palästinensischen Regimes von Idi Amin das Feuer auf die israelischen Einsatzkräfte. Dabei werden 45 ugandische Soldaten sowie der israelische Oberst Netanjahu getötet und der wesentliche Teil der in Entebbe stationierten ugandischen Luftwaffe funktionsuntüchtig gemacht. Am folgenden Tag wird die bei der Geiselnahme verletzte 79-jährige Israelin Dora Bloch in einem Krankenhaus in Kampala aus Rache von ugandischen Soldaten ermordet.
 
07.07.1976 Den RAF-Mitgliedern Monika Berberich und Gabriele Rollnik gelingt es, zusammen mit den Mitgliedern der Bewegung 2. Juni Gabriele Rollnik und Inge Viett aus der Berliner Frauenhaftanstalt Lehrter Straße auszubrechen.
 
30.11.1976 Die RAF-Mitglieder Siegfried Haag und Roland Mayer werden an der Autobahn bei Butzbach in Hessen verhaftet. Die Beamten finden bei ihnen die so genannten „Haag/Mayer-Papiere“.
Kommentar:
 

Als Rechtsanwalt von Holger Meins hatte Siegfried Haag als letzter mit dem Sterbenden gesprochen. Nach dem Tod seines Klienten ging Siegfried Haag selbst in die Illegalität, um mit einigen anderen Bereitwilligen, die die „Ermordung von Holger“ nicht auf sich beruhen lassen wollten, eine neue Stadtguerillagruppe aufzubauen. Die Verhaftung Haags und dessen Komplizen Roland Mayer verhinderte jedoch eine längerfristige Aktivität der Gruppe. Haag war an der Planung der Stockholm-Besetzung beteiligt und hatte einige der Geiselnehmer rekrutiert.

Die Angehörigen der „Haag/Mayer“-Gruppe werden in Medien und Literatur des Öfteren als Mitglieder der „zweiten RAF-Generation“ aufgeführt; im Grunde genommen handelt es sich eher um eine „Zwischengeneration“, deren Aktivität in Folge von Verhaftungen und Todesfällen auf den Zeitraum der Jahre 1975/76 beschränkt blieb.

05.01.1977 In Riehen in der Schweiz verletzt Christian Klar bei einem versuchten Fahrzeugdiebstahl einen Polizeibeamten und eine Passantin schwer.
 
08.02.1977 Brigitte Mohnhaupt wird aus der JVA Brühl entlassen, nachdem sie in den Monaten zuvor von den RAF-Inhaftierten in der JVA Stammheim Instruktionen für die Neuformation der RAF erhalten hat – von den Justizvollzugsbehörden unbemerkt.
 
29.03. bis 30.04.1977 Zeitweise über 100 Inhaftierte treten in den vierten kollektiven Hungerstreik. Sie fordern eine Behandlung, die den Kriterien der Genfer Konventionen für „Kriegsgefangene“ entspricht, die Abschaffung der „Isolationshaft“ und die Zusammenlegung der inhaftierten Gruppen.
 
31.03./01.04.1977 In Stockholm werden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Norbert Kröcher und Michael Adomeit verhaftet.
 
04.04.1977 Kröcher und Adomeit werden von der schwedischen Regierung an die Bundesrepublik ausgeliefert.
 
07.04.1977 In Karlsruhe verübt das „Kommando Ulrike Meinhof“ einen Anschlag auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback (Foto). Buback wird von dem Sozius eines Motorrads (Typ Suzuki GS750) mit einem halbautomatischen Gewehr in seinem Dienstfahrzeug erschossen. Des Weiteren wird der Fahrer Bubacks, Wolfgang Göbel, tödlich verwundet; der Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft Georg Wurster wird auf dem Rücksitz des Fahrzeuges lebensgefährlich verletzt und erliegt seinen Verletzungen wenige Tage später. Als mutmaßliche Täter werden die RAF-Mitglieder Knut Folkerts, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Günter Sonnenberg verurteilt.

Bildmaterial:

  • Nach dem RAF-Anschlag am 7. April 1977: Die Leichen der beiden Begleiter Siegfried Bubacks liegen mit Planen bedeckt am Tatort.
Kommentar:
 

Der Anschlag auf Siegfried Buback markiert den Beginn der „Offensive 77“. Die Kaltblütigkeit und das hohe Gewaltpotential der Täter sollte in der Folgezeit bis in die Ereignisse des „Deutschen Herbstes“ zum Spezifikum der „zweiten RAF-Generation“ werden. Der Anschlag auf Buback, das konnte anhand eines Kassibers von Baader nachgewiesen werden, war ein Auftragsmord: „Der General muß weg.“

25.04.1977 Das Pamphlet „Buback – ein Nachruf“ wird in den „Göttinger Nachrichten“ veröffentlicht, dem damaligen Blatt des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Göttingen. Der Autor, der den Kommentar mit dem Pseudonym „Mescalero“ unterzeichnet, schreibt über den Mord an Siegfried Buback:

„Meine unmittelbare Reaktion, meine 'Betroffenheit' nach dem Abschuss von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) meine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe den Typ oft hetzen hören. Ich weiß, was er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken für eine herausragende Rolle spielte.“

Erst im Jahre 2001 bekennt sich der Autor einer Göttinger Hochschulgruppe, Klaus Hülbrock, zu den Äußerungen.
 

28.04.1977 Das OLG Stuttgart verurteilt Baader, Ensslin und Raspe im so genannten „Stammheim-Urteil“ in Abwesenheit wegen vierfachen Mordes und 34-fachen versuchten Mordes zu jeweils lebenslangen Freiheitsstrafen.
 
03.05.1977 In der Nähe von Singen werden Günter Sonnenberg und Verena Becker verhaftet. Dabei kommt es zu einem Schusswechsel, bei dem Günter Sonnenberg sowie ein Beamter schwer und Verena Becker leicht verletzt werden.
 
02.06.1977 Das LG Kaiserslautern verurteilt die RAF-Mitglieder Klaus Jünschke und Manfred Grashof zu jeweils lebenslanger Freiheitsstrafe sowie Wolfgang Grundmann zu vier Jahren Freiheitsstrafe.
 
01.07.1977 In Frankfurt am Main überfallen RAF-Mitglieder das Waffengeschäft „Fischlein“. Knut Folkerts und Willy-Peter Stoll – die mutmaßlichen Täter – erbeuten 15 Revolver und drei Pistolen.
 
11.07.1977 Der mit der RAF sympathisierende Rechtsanwalt Klaus Croissant, dessen Haftbefehl Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gegen Kaution und Auflagen ausgesetzt ist, verlässt die BRD und beantragt in Frankreich politisches Asyl.
 
20.07.1977 Das OLG Düsseldorf verurteilt die an der Stockholm-Geiselnahme beteiligten RAF-Mitglieder Bernhard Rössner, Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Hanna Krabbe zu jeweils lebenslangen Freiheitsstrafen.
 
30.07.1977 In Oberursel (Taunus) ermordet das Kommando „Aktion Roter Morgen“ den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Das RAF-Mitglied Susanne Albrecht, die mit der Familie Ponto in Bekanntschaft steht, ermöglicht es den mutmaßlichen „Todesschützen“ Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, in die Wohnung Pontos einzudringen. Nach dem Mord flüchten Albrecht, Mohnhaupt und Klar mit Hilfe eines Wagens, den Peter-Jürgen Boock steuert. (Foto)

Bildmaterial:

  • Mitarbeiter der Dresdner Bank trauern um ihren von der RAF am 30. Juli 1977 ermordeten Vorstandsvorsitzenden Jürgen Ponto.
09.08. bis 02.09.1977 Die RAF-Inhaftierten treten in den fünften kollektiven Hungerstreik.
 
25.08.1977 In Karlsruhe entdecken Polizeibeamte einen selbstgebauten Raketenwerfer, der von einem Nachbarhaus auf das Gebäuder der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gerichtet ist (Foto). Der Anschlag scheiterte, weil das RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock nach eigenen Angaben „vergessen“ hatte, das Läutwerk des Zünders aufzuziehen. Für die Tat werden neben Boock des Weiteren Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar verantwortlich gemacht.

Bildmaterial:

  • Der selbstgebaute Raketenwerfer war in einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Bundesanwaltschaft aufgebaut.
05.09.1977 In Köln entführt das „Kommando Siegfried Hausner“ den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hanns Martin Schleyer. Bei dem Überfall auf Schleyers Fahrzeug und dessen Begleitwagen gegen 17.30 Uhr erschießen RAF-Mitglieder Schleyers Leibwächter Reinhold Brändle, Helmut Ulmer und Roland Pieler (Foto 1 + Foto 2). Gegen 18 Uhr wird Bundeskanzler Helmut Schmidt über die Entführung informiert; um 18.11 Uhr gibt es die erste Eilmeldung einer Nachrichtenagentur; um 18.49 Uhr wird das erste Mal im Radio über die Tat berichtet. Gegen 21 Uhr tritt die so genannte „Kleine Lage“ im Kanzleramt zusammen; um 21.30 Uhr spricht Schmidt im Fernsehen. Kurz nach 23 Uhr entscheidet der Bundeskanzler, auf die Forderung der Geiselnehmer nicht einzugehen.
Die mutmaßlichen an dem Überfall beteiligten RAF-Mitglieder sind Peter-Jürgen Boock, Elisabeth von Dyck, Rolf Clemens Wagner, Friederike Krabbe, Willy-Peter Stoll, Stefan Wisniewski, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Sieglinde Hofmann, Silke Maier-Witt, Sigrid Sternebeck, Monika Helbing und Adelheid Schulz. Sieben der Tatverdächtigen wurden später wegen anderer Taten verurteilt; Stoll und von Dyck sind in der Folgezeit eines gewaltsamen Todes gestorben; nach Krabbe wird bis heute gefahndet.
Die Bundesregierung verhängt die Kontaktsperre über 72 Inhaftierte; ein entsprechendes Gesetz wird erst einen Monat später verabschiedet.

Bildmaterial:

  1. Die Fahrzeugkolonne Hanns Martin Schleyers nach dem Überfall am 5. September 1977. Auf die Begleiter Schleyers sind mindestens 119 Schüsse abgefeuert worden.
  2. Polizeibeamte untersuchen den Tatort, an dem Hanns-Martin Schleyer entführt und drei seiner Begleiter erschossen aufgefunden wurden.
06.09.1977 Die Bundesregierung erhält nachmittags das erste Ultimatum und ein Bekennerschreiben der RAF. In dem Schreiben wird die sofortige Haftentlassung von 11 Inhaftierten verlangt – unter ihnen die „Stammheim-Gefangenen“ – sowie die Ausreise der Inhaftierten in ein Land nach Wahl und die Geldübergabe von 100.000 DM an jeden und jede Freigelassene. Dem RAF-Schreiben liegen ein Foto und ein Lebenszeichen – ein kurzer Brief – von Schleyer bei:

„Mir geht es soweit gut, ich bin unverletzt und glaube, dass ich freigelassen werde, dass ich freigelassen werde, wenn die Forderungen erfüllt werden. Das ist jedoch nicht meine Entscheidung.“

Kurz vor Mitternacht tritt zum ersten Mal der „Große Politische Beratungskreis“ zusammen, der später „Großer Krisenstab“ genannt wird. (Foto)

Bundeskanzler Helmut Schmidt richtete am 6. September 1977 zur Befreiung des entführten Hanns-Martin Schleyers den „Großen Krisenstab“ ein.
 

07.09.1977 Der Justizminister Hans-Jochen Vogel bestätigt die verhängte Kontaktsperre über die RAF-Inhaftierten. Zudem verabschiedet das Bundeskabinett eine Nachrichtensperre. Die Versuche der RAF, mit einer Videobotschaft an die Medien zu treten, scheitern vorerst; die Medien folgen Bundeskanzler Schmidts Bitte.
 
09.09.1977 Die Bundesregierung erhält von der RAF ein zweites Ultimatum, worauf wiederum nicht eingegangen wird. Der Genfer Rechtsanwalt Denis Payot wird als Vermittler benannt.
 
10.09.1977 Die Bundesregierung lässt ein drittes Ultimatum verstreichen.
 
12.09.1977 Die Ehefrau Schleyers, Waltrude, appelliert in der „Bild“-Zeitung auf der Titelseite an die Bundesregierung:

„Laßt meinen Mann leben – Tauscht ihn aus!“

Die Bundesregierung lässt unterdessen das vierte Ultimatum verstreichen. Hanns Martin Schleyer bespricht ein Tonband, das an seinen Freund Helmut Kohl adressiert ist, und schickt seinem Sohn Hanns-Eberhard Schleyer einen Brief.
 

19.09.1977 In Den Haag begeht das RAF-Mitglied Angelika Speitel einen Mordversuch an niederländischen Polizeibeamten.
 
22.09.1977 In Utrecht erschießen Knut Folkerts und Elisabeth von Dyck den niederländischen Polizeibeamten Arie Krannenburg. Folkerts wird nach der Tat verhaftet. Beamte des BKA bieten ihm eine Million DM, Straffreiheit und eine neue Identität, falls das RAF-Mitglied den Behörden den Ort von Schleyers Gefangennahme mitteilt. Folkerts geht auf das Angebot nicht ein.
 
23.09.1977 Der Bundesgerichtshof bestätigt die Kontaktsperre für die RAF-Inhaftierten sowie deren Rechtsanwälte.
 
27.09.1977 Die Bundesregierung erhält von den Entführern Briefe und ein neues Bild von Schleyer (Foto).

Bildmaterial:

  • Eine Fotografie des gedemütigten Entführungsopfers Hanns-Martin Schleyer, von der RAF an die Bundesregierung adressiert.
28.09.1977 Das LG Hamburg verurteilt Helmut Pohl zu fünf Jahren, Christa Eckes zu sieben Jahren und Wolfgang Beer zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe.

In Neu Delhi entführen fünf JRA-Mitglieder ein Flugzeug der Japan Airlines mit 142 Passagieren an Bord. Die Gruppe verlangt die Freilassung inhaftierter Gesinnungsgenossen. Die japanische Regierung kommt der Forderung nach und lässt zwei Tage später sechs Inhaftierte frei. Zudem zahlt die Regierung sechs Millionen US-Dollar an die Entführer. Am fünften Tag werden die Geiseln freigelassen; die Entführer setzen sich nach Algerien ab.
 

01.10.1977 Das Kontaktsperregesetz wird von Bundespräsident Walter Scheel gegengezeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet. Inhaftierte, die aufgrund des § 129a verurteilt oder verdächtigt sind, können für eine bestimmte Zeit von ihren Rechtsanwälten isoliert werden.
 
02.10.1977 In Puttgarden wird Volker Speitel in einem Zug verhaftet. Speitel wird später neben anderen dafür verantwortlich gemacht, 650 Gramm Sprengstoff und drei Pistolen in den 7. Trakt der JVA Stuttgart eingeschleust zu haben. Dort sind Baader, Ensslin, Raspe und Möller inhaftiert.
 
04.10.1977 Das Bundesverfassungsgericht nimmt Beschwerden gegen die Kontaktsperre nicht zur Entscheidung an.
 
06.10.1977 Die Bundesregierung erhält einen Brief der Schleyer-Entführer, dem ein Polaroid-Foto beigelegt ist. Schleyer hält auf dem Foto ein Schild, auf dem steht:

„Seit 31 Tagen Gefangener der RAF“.
 

13.10.1977 Ensslin verlangt, einen Bundesminister zu sprechen.

Im französischen Luftraum entführt um 14.38 Uhr das palästinensische „Kommando Martyr Halimeh / Organisation für den Kampf gegen den Weltimperialismus“ die Lufthansamaschine „Landshut“. Diese befindet sich auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt am Main. An Bord der Passagiermaschine sind 86 Geiseln – die meisten von ihnen deutsche Mallorca-Urlauber – einschließlich der fünfköpfigen Besatzung und der vier Mitglieder der „Popular Front for the Liberation of Palestine – Special Command“ (PFLP-SC). In Rom landet die Maschine und wird gegen den Willen der Bundesregierung aufgetankt; anschließend fliegt sie nach Zypern weiter. Der Bundesinnenminister Werner Maihofer gibt um 19.55 Uhr auf einer Pressekonferenz bekannt, dass ein Spezialkommando des BGS der „Landshut“ folgt.

Kommentar:
 

Die Entführung der „Landshut“ diente in erster Linie als Unterstützungsmaßnahme, die den Forderungen der Schleyer-Entführer Nachdruck zu verleihen sollte. Zugleich entpuppte sich die Aktion aber auch als ein Verzweifelungsakt; die Schleyer-Entführer hatten bereits den Glauben verloren, dass die Bundesregierung auf ihre Forderungen eingehen werde. Nach der Stockholm-Besetzung im Jahre 1975 erreichte die mit der RAF verbundene terroristische Aktivität in der „Landshut“-Entführung eine neue Dimension, in internationaler wie in ideologischer Hinsicht. Baader selbst hatte die Aktion vor einem Vertreter der Bundesregierung in der JVA Stuttgart als „Terrorismus“ bezeichnet, da sich die Gewalt hier direkt gegen das „Volk“, d.h. in diesem Fall gegen die deutschen Mallorca-Urlauber richtete.

14.10.1977 Die Bundesregierung erhält über das Büro von Denis Payot die erste Forderung der PFLP-SC-Gruppe und das siebte Ultimatum der Schleyer-Entführer. Wie die Geiselnehmer Schleyers fordern auch die palästinensischen Extremisten die Freilassung der elf inhaftierten RAF-Mitglieder. Zusätzlich fordern sie die Freilassung von zwei in der Türkei inhaftierten Gesinnungsgenossen sowie eine Lösegeldzahlung von 15 Millionen US-Dollar. Die „Landshut“ landet in Bahrain, startet erneut und erzwingt anschließend die Landung in Dubai. Der Bitte der deutschen Behörden, Kinder und Frauen aus der Maschine freizulassen, kommen die Entführer nicht nach. Das Bundeskabinett berät und stellt sich hinter die vom Krisenstab vorgeschlagene Option der Geiselbefreiung. Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes Hans-Jürgen Wischnewski fliegt nach Dubai. (Foto)

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  • Einer der Entführer bedroht den Piloten der „Landshut“, Jürgen Schumann, mit vorgehaltener Waffe.
15.10.1977 In Dubai werden Verbindungen für eine gewaltsame Befreiung hergestellt. Die GSG9 erhält die Aufgabe, einheimische Sicherheitskräfte zu unterstützen.

Unterdessen legt Hanns-Eberhard Schleyer eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ein. Er fordert die Verpflichtung der Bundesregierung zum Austausch der Geiseln. Im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beginnt gegen Abend die mündliche Verhandlung.

16.10.1977 Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Ernst Benda, gibt um 5.45 Uhr die Entscheidung bekannt, dass die eingereichte Beschwerde von Schleyers Sohn abgelehnt wird.

Die Bundesregierung lässt das siebte Ultimatum der Schleyer-Entführer verstreichen.

In Dubai gelingt es dem Piloten der „Landshut“, Jürgen Schumann, den Behörden Informationen über die Anzahl der Entführer mitzuteilen. Der Anführer der Geiselnehmer – Zohair Youssif Akache alias „Captain Martyr Mahmud“ – bemerkt dies durch ein Interview des Verteidigungsministers von Dubai. Daraufhin droht „Mahmud“, Schumann zu erschießen, falls dieser durch weitere Vorfälle auffällt. Anschließend erzwingen die „Landshut“-Entführer den Start der Maschine und landen bald darauf in Aden im sozialistischen Südjemen. In Aden befiehlt „Mahmud“ Schumann, die „Landshut“ zu inspizieren. Unter bisher ungeklärten Umständen verlässt der Pilot die nähere Parkposition der Maschine und wird nach seiner Rückkehr in einem „Revolutionstribunal“ erschossen.
 

17.10.1977 Die „Landshut“ landet morgens in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Dort trifft zudem Hans-Jürgen Wischnewski ein. Schumanns Leiche wird unterdessen über eine Notrutsche aus der Passagiermaschine entfernt.

Bundeskanzler Schmidt telefoniert mit dem somalischen Präsidenten Siad Barre; in der JVA Stuttgart führt Baader ein Gespräch mit einem Beamten des Bundeskanzleramtes.

In Mogadischu übernimmt Wischnewski die schwierigen Verhandlungen mit Barre, um die somalische Zustimmung zu einem GSG9-Einsatz zu bekommen. Auch mit den „Landshut“-Entführern nimmt Wischnewski Kontakt auf; diese versucht er zu täuschen, indem er ihnen mitteilt, die Bundesregierung sei auf die Forderungen eingegangen.

Um 19.18 Uhr meldet die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP), ein deutsches Spezialkommando bereite in Mogadischu die Stürmung der Lufthansa-Maschine vor.

Barre stimmt dem GSG9-Einsatz gegen deutsche Entwicklungshilfen und Geldzahlungen zu; von Wischnewski wird er im Glauben gelassen, es handele sich bei den Entführern um einen Palästinenser und drei Deutsche. Um 23.15 Uhr gehen die Beamten der GSG9 in Stellung.
 

18.10.1977 In Mogadischu beginnt die GSG9 unter der Leitung ihres Kommandeurs Ulrich Wegener die Stürmung der „Landshut“; der Deckname der Aktion ist „Operation Feuerzauber“. Innerhalb von neunzig Sekunden sind sämtliche Passagiere aus der Maschine befreit. Während eines kurzen Feuergefechts werden drei Entführer – „Mahmut“, der Libanese Wabil Harb und Hind Alameh – durch die Beamten getötet. Die Palästinenserin Souhaila Andrawes überlebt den Angriff schwer verletzt; ein GSG9-Beamter erleidet einen Halsdurchschuss; von den Passagieren sind zwei Geiseln durch Handgranaten leicht verletzt. Um 0.24 Uhr meldet AFP, dass die GSG9-Operation begonnen habe; um 0.38 Uhr bestätigt der Deutschlandfunk, die Geiselnahme sei erfolgreich beendet worden. (Foto 1)

In der JVA Stuttgart verfolgen die RAF-Inhaftierten Andreas Baader (Foto 2), Gudrun Ensslin (Foto 3), Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller das Ende der Geiselnahme – vermutlich über das Transistorradio Raspes. Zudem ist in dem 7. Stock der JVA, offenbar von den Behörden unbemerkt, eine Art Gegensprechanlage von Raspe installiert worden. Die Anlage hat den RAF-Inhaftierten wahrscheinlich ermöglicht, trotz Kontaktsperre über den Verlauf der Geschehnisse unterrichtet zu sein.

Die Schleyer-Entführer planen unterdessen, ihre Geisel zu ermorden.

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  1. Die Passagiere der „Landshut“ verlassen nach der Stürmung durch eine GSG9-Einheit am 18. Oktober 1977 erleichtert die Maschine.
  2. Die Justizvollzugsbeamten finden am Morgen des 19. Oktobers 1977 Andreas Baader erschossen und Gudrun Ensslin erhängt in ihren Zellen auf.
  3. Die Justizvollzugsbeamten finden die erhängte Gudrun Ensslin in den Morgenstunden des 19. Oktober 1977 leblos hinter einem Vorhang in ihrer Zelle auf.
19.10.1977 Die RAF gibt die Ermordung Hanns Martin Schleyers bekannt. Im französischen Mülhausen im Elsaß wird seine Leiche gegen 21 Uhr in einem Kofferraum eines Audi 100 gefunden.

Mit der Ermordung Schleyers endet der „Deutsche Herbst“. Die Polizei verstärkt in der Folgezeit den Fahndungsdruck auf mutmaßliche Tatbeteiligte der Ermordungen von Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns-Martin Schleyer. (Foto)

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  • Nach dem „Deutschen Herbst hängen bundesweit in Postämtern, Polizeistationen und öffentlichen Einrichtungen Fahndungsplakate mutmaßlicher Terroristen aus.
20.10.1977 Bundeskanzler Helmut Schmidt hält seine Rede an die Nation mit den Worten „Gott helfe uns“.
 
27.10.1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden unter Nachdruck der Eltern von Ensslin auf dem Dornhaldenfriedhof in Stuttgart zu Grabe getragen (Foto). Teile der Stuttgarter Bevölkerung zeigen sich empört über die Begräbniszeremonie.

Bildmaterial:

  • Angehörige und einige hundert Sympathisanten begleiten am 27. Oktober 1977 die Beerdigung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
11.11.1977 In Amsterdam werden die RAF-Mitglieder Christoph Wackernagel und Gert Schneider festgenommen. Ein knappes Jahr später werden sie an die Bundesrepublik ausgeliefert.
 
12.11.1977 Ingrid Schubert begeht in der JVA München-Stadelheim Selbstmord. Sie wird erhängt aufgefunden.
 
19.12.1977 Das OLG Stuttgart verurteilt Siegfried Haag zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
 
20.12.1977 In Utrecht wird Knut Folkerts zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und später an die Bundesrepublik ausgeliefert.
 
28.12.1977 Das OLG Stuttgart verurteilt Verena Becker wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und eines Schusswechsels mit Polizeibeamten am 3. Mai 1977 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
18.01.1978 Vor dem Hanseatischen OLG Hamburg beginnt der Strafprozess gegen den Rechtsanwalt Kurt Groenewold. Ihm werden die Mitorganisation des so genannten „Info-Systems“ der RAF-Inhaftierten und die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
 
21.01.1978 In Hamburg wird das RAF-Mitglied Christine Kuby in einer Apotheke verhaftet. Bei der Festnahme kommt es zu einem Schusswechsel mit zwei Polizeibeamten. Kuby sowie einer der Beamten werden verletzt.
Kuby hatte versucht, in der Apotheke Medikamente für den drogensüchtigen Peter-Jürgen Boock zu beschaffen.
 
03.03.1978 Der Film „Deutschland im Herbst“, an dem unter anderem Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder mitgewirkt haben, kommt in die Kinos. Er thematisiert die politische Stimmung im Herbst 1977 und gibt dem „Deutschen Herbst“ seinen Namen.
 
10.03. bis 02.04.1978 Die RAF-Inhaftierten treten in den sechsten kollektiven Hungerstreik. Sie protestieren gegen „Einzel- und Kleingruppenisolation“.
 
10.04.1978 In West-Berlin beginnt vor dem OLG der so genannte „Lorenz-Drenkmann-Prozess“ gegen Ronald Fritzsch, Gerald Klöpper, Till Meyer, Ralf Reinders, Fritz Teufel und Andreas Vogel. Zu Beginn des Prozesses gibt es Auseinandersetzungen über die Pflichtverteidiger; einem wird ins Bein geschossen, ein anderer entdeckt unter seinem Fahrzeug einen Sprengsatz. Zu den Taten bekennen sich die RZ.
 
26.04.1978 Das OLG Stuttgart verurteilt Günter Sonnenberg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
11.05.1978 In Paris-Orly wird Stefan Wisniewski verhaftet.

In Zagreb, der Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien, werden Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Boock, Rolf Clemens Wagner und Sieglinde Hofmann verhaftet. Die jugoslawische Regierung fordert von der Bundesregierung die Auslieferung von acht im Exil lebenden Kroaten; dies lehnt die Bundesregierung ab. Am 17. November lassen die jugoslawischen Behörden die RAF-Mitglieder in den Südjemen ausreisen, von wo aus sie in ein Land ihrer Wahl reisen dürfen.
 

27.05.1978 Till Meyer wird von einem zweiköpfigen „Kommando Nabil Harb“ aus der JVA Berlin-Moabit befreit. Ein Befreiungsversuch von Andreas Vogel scheitert.
 
21.06.1978 In Bulgarien werden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Till Meyer, Gabriele Rollnik, Gudrun Stürmer und Angelika Goder verhaftet und an die Bundesrepublik ausgeliefert.
 
27.06.1978 In Prag wird Inge Viett verhaftet und an das MfS ausgeliefert.
 
10.07.1978 Das Hanseatische OLG Hamburg verurteilt den Rechtsanwalt Kurt Groenewold zu zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Bewährung und einer Geldbuße von 75.000 DM.
 
25.07.1978 An der Außenmauer der JVA Celle detoniert ein Sprengsatz, der nur geringen Sachschaden anrichtet. Fingiert von der niederländischen Landesbehörde für Verfassungsschutz und in Kooperation mit dem niedersächsischen Verfassungsschutz soll der Anschlag als Befreiungsversuch für das mutmaßliche RAF-Mitglied Sigurd Debus erscheinen. Ziel der Aktion – diese wird später als „Celler Loch“ bekannt – ist es, einen so genannten „V-Mann“ in das RAF-Umfeld einzuschleusen. Die Operation scheitert jedoch und wird publik.
 
Sommer 1978 Christian Klar, Willy-Peter Stoll und Adelheid Schulz starten mit Hilfe von Hubschrauberflügen den Versuch, Stefan Wisniewski aus der JVA Frankenthal zu befreien.
 
06.09.1978 In Düsseldorf wird Stoll bei einer Personenkontrolle in einem Restaurant von zwei Polizeibeamten erschossen.
 
15.09.1978 In London wird die seit dem 4. Februar 1974 untergetauchte Astrid Proll in einer Autowerkstatt verhaftet. Sie wird 1979 an die Bundesrepublik ausgeliefert.
 
24.09.1978 In einem Wald bei Dortmund kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Polizeibeamten und den RAF-Mitgliedern Angelika Speitel, Werner Lotze und Michael Knoll, als diese bei einem „Übungsschießen“ überrascht werden. Der Beamte Hans-Wilhelm Hansen wird dabei tödlich, der Beamte Otto Schneider schwer verletzt. Zudem wird Knoll lebensgefährlich verletzt, Speitel wird verhaftet. Lotze kann entkommen. Knoll erliegt zwei Wochen später seinen Verletzungen.
 
01.11.1978 In der Nähe von Kerkrade kommt es zu einem Schusswechsel zwischen niederländischen Zollbeamten und den RAF-Mitgliedern Rolf Heißler und Adelheid Schulz. Heißler und Schulz erschießen dabei die Beamten Dionysius de Jong und Johannes Goemans.
 
14.12.1978 Das OLG Stuttgart verurteilt Volker Speitel und Hans-Joachim Dellwo zu drei Jahren und zwei Monaten sowie zwei Jahren Freiheitsstrafe. Die Angeklagten erhalten Strafnachlass, da sie mit den Behörden kooperiert haben.
 
Mitte Dezember 1978 Mehrere RAF-Mitglieder – unter ihnen Susanne Albrecht, Sieglinde Hofmann, Christian Klar, Werner Lotze, Silke Maier-Witt, Brigitte Mohnhaupt, Adelheid Schulz, und Rolf Clemens Wagner – fliegen in den Jemen, wo sie in einem palästinensischen Ausbildungslager militärisch geschult werden.
Anfang Februar 1979 kehrt die Gruppe wieder nach Europa zurück und beginnt vermutlich in der Folgezeit die Vorbereitungen zum Anschlag auf den amerikanischen General Alexander Haig.
 
16.02.1979 Das LG Stuttgart verurteilt den Rechtsanwalt Klaus Croissant zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Croissant erhält des Weiteren vier Jahre Berufsverbot.
 
19.03.1979 In Darmstadt überfallen Christian Klar, Adelheid Schulz, Elisabeth von Dyck und Werner Lotze die Bank für Gemeinwirtschaft. Die Gruppe erbeutet 49.000 DM.
 
17.04.1979 In Nürnberg überfallen Adelheid Schulz, Rolf Heißler, Elisabeth von Dyck und Werner Lotze die Schmidt-Bank. Die Gruppe erbeutet 211.000 DM.
 
20.04. bis 26.06.1979 Mehr als 70 Inhaftierte treten in den siebten kollektiven Hungerstreik. Sie fordern die Abschaffung der „Isolationshaft“, die Anwendung der Genfer Konvention für „Kriegsgefangene“, die Gruppenzusammenlegung und die Freilassung des durch einen Schusswechsel am 3. Mai 1977 schwer verletzten Günter Sonnenberg.
 
02.05.1979 Das Hanseatische OLG Hamburg verurteilt Christine Kuby zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
04.05.1979 In Nürnberg wird Elisabeth von Dyck beim Betreten einer konspirativen Wohnung von Polizeibeamten erschossen. Die drei Beamten befinden sich in der Wohnung, als von Dyck diese betritt. Die Polizeibeamten werden später entlastet; der Schusswechsel sei aus Notwehr erfolgt.
 
31.05.1979 Das LG Heidelberg verurteilt Irmgard Möller zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
09.06.1979 In Frankfurt am Main wird Rolf Heißler beim Betreten einer konspirativen Wohnung festgenommen. Dabei wird er von Polizeibeamten durch einen Kopfschuss schwer verletzt.
 
25.06.1979 In der Nähe von Obourg in Belgien verübt das „Kommando Andreas Baader“ einen Sprengstoffanschlag auf das Fahrzeug des NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Alexander Haig (Foto). Haig, der sich mit seinen Leibwächtern auf dem Weg ins NATO-Hauptquartier in Casteau befindet, entgeht der Zehn-Kilogramm-Sprengladung; er und sein Begleiter bleiben unverletzt, während drei weitere Leibwächter in einem Begleitfahrzeug verletzt werden.
Für den Anschlag werden die RAF-Mitglieder Rolf Clemens Wagner, Werner Lotze, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Sieglinde Hofmann, Siegrid Sternebeck, Ralf Baptist Friedrich, Susanne Albrecht, Henning Beer und Silke Maier-Witt verantwortlich gemacht.

Bildmaterial:

  • Eine zerstörte Mercedes-Limousine nach dem Panzerfaustanschlag auf den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig am 25. Juni 1979.
11.07.1979 Das OLG Stuttgart verurteilt die Rechtsanwälte Siegfried Haag und Roland Mayer zu 14 und 12 Jahren Freiheitsstrafe.
 
19.11.1979 In Zürich überfallen die RAF-Mitglieder Christian Klar, Peter-Jürgen Boock, Henning Beer und Rolf Clemens Wagner eine Filiale der Schweizer Volksbank. Sie erbeuten 548.000 Schweizer Franken (650.000 DM). Beim anschließenden Fahrzeugdiebstahl schießt Klar der Passantin Edith Kletzhändler in die Brust; zwei Polizeibeamte werden bei einem Schusswechsel schwer verletzt.
Wagner wird noch am selben Tag verhaftet.
 
30.11.1979 Das OLG Düsseldorf verurteilt Angelika Speitel zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
24.12.1979 In Dänemark stirbt Rudi Dutschke an den Folgen des Attentats vom 11. April 1967.
 
31.01.1980 Das OLG Stuttgart verurteilt die Rechtsanwälte Arndt Müller und Armin Newerla zu vier Jahren und acht Monaten sowie drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Müller und Newerla werden verdächtigt, in den Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart Waffen und Sprengstoff geschmuggelt zu haben.
 
Frühjahr 1980 Die RAF-Mitglieder Susanne Albrecht, Werner Lotze, Christine Dümlein, Monika Helbing, Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Sigrid Sternebeck, Ralf Baptist Friedrich und Silke-Maier Witt „steigen aus der Gruppe aus“. Sie werden mit Absprache der Staatssicherheit mit neuer Identität in der DDR untergebracht. Inge Viett folgt ihnen später; Boock flieht nach Hamburg.
 
22.02.1980 Astrid Proll wird zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, unter anderem wegen Raubüberfalls und Urkundenfälschung.
 
05.05.1980 In Paris wird Sieglinde Hofmann zusammen mit vier weiblichen Mitgliedern der Bewegung 2. Juni verhaftet.
 
Juni 1980 Das „Spiegel“-Buch „Der Minister und der Terrorist – Gespräche zwischen Gerhart Baum und Horst Mahler“ erscheint im Rowohlt-Verlag.
 
02.06.1980 Es erscheint die „Letzte Erklärung der Bewegung 2. Juni“. Die Gruppe löse sich auf und schließe sich der RAF an. Daraufhin erklären Mitglieder der Bewegung 2. Juni, dass dies nicht für den „gesamten 2. Juni“ gelte. Zu den „RAF-Einsteigern“ gehören neben anderen Juliane Plambeck und Inge Viett.
 
25.07.1980 In der Nähe von Bietigheim-Bissingen ereignet sich ein Verkehrsunfall, bei dem die RAF-Mitglieder Juliane Plambeck und Wolfgang Beer getötet werden.
 
31.07.1980 Das OLG Düsseldorf verurteilt Knut Folkerts wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
05.09.1980 Das OLG Düsseldorf verurteilt Christof Wackernagel und Gert Schneider wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu jeweils 15 Jahren Freiheitsstrafe.
 
26.09.1980 Das OLG Düsseldorf verurteilt Rolf Clemens Wagner zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
13.10.1980 Das OLG Berlin verurteilt die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Ralf Reinders zu 15 Jahren, Ronald Fritzsch zu 13 Jahren und drei Monaten, Gerald Klöpper zu 11 Jahren und zwei Monaten und Till Meyer zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Des Weiteren wird Andreas Vogel zu 10 Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Angeklagten werden unter anderem für die Entführung von Peter Lorenz am 27. Februar 1975 verantwortlich gemacht.
Fritz Teufel wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
 
22.01.1981 In Hamburg wird Peter-Jürgen Boock verhaftet.
 
02.02. bis 18.04.1981 Mindestens 68 Inhaftierte in 16 Justizvollzugsanstalten treten in den achten kollektiven Hungerstreik. Neben RAF-Mitgliedern schließen sich auch erstmals Angehörige des „antiimperialistischen Widerstands“ an. Die Inhaftierten fordern die Zusammenlegung in Gruppen. Am 16. April 1981 stirbt Sigurd Debus an den Folgen des Hungerstreiks. Eine Obduktion erbringt das Ergebnis, dass Debus durch eine Kopfblutung zu Tode gekommen ist, die mit der Fixierung zur Zwangsernährung in Zusammenhang steht. Debus ist der zweite „Hungertote“ auf Seiten der extremen Linken in der bundesrepublikanischen Geschichte.
 
11.05.1981 In Frankfurt am Main wird der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry durch Schüsse in seiner Wohnung tödlich verletzt. Später übernehmen die RZ die Verantwortung für die Tat.
 
04.08.1981 In Paris wird der französische Polizeibeamte Francis Violleau bei einem Schusswechsel mit Inge Viett schwer verletzt.
 
31.08.1981 In Ramstein in der Pfalz verübt das „Kommando Sigurd Debus“ einen Sprengstoffanschlag auf die US-amerikanische Ramstein Air Base (Foto). Der in einem VW 411 präparierte Sprengsatz verletzt mindestens 14 Personen teils schwer und verursacht einen Sachschaden von 7,2 Mio. DM. Die mutmaßlichen Tatbeteiligten sind Helmut Pohl, Ingrid Jakobsmeier und Henning Beer.

Bildmaterial:

  • Das US-Hauptquartier nach dem Sprengstoffanschlag der RAF am 31. August 1981.
15.09.1981 In Heidelberg verübt das „Kommando Gudrun Ensslin“ einen Panzerfaustanschlag auf den Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte und des NATO-Abschnitts Europa Mitte, Frederick James Kroesen (Foto). Dabei werden Kroesen und seine Frau in ihrem Fahrzeug leicht verletzt. An der Tat sind unter anderem Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Ingrid Jakobsmeier und Helga Roos beteiligt.

Bildmaterial:

  • Das beschädigte Fahrzeug von General Kroesen nach dem Panzerfaustanschlag am 15. September 1981.
04.12.1981 Das OLG Düsseldorf verurteilt Stefan Wisniewski, unter anderem wegen Mittäterschaft an der Schleyer-Entführung, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
Anfang 1982 Das inhaftierte RAF-Mitglied Verena Becker macht Aussagen gegenüber dem Verfassungsschutz. Sie behauptet, Stefan Wisniewski sei derjenige gewesen, der am 7. April 1977 auf Siegfried Buback geschossen habe.
 
24.03.1982 Das LG Berlin verurteilt den Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.
 
Mai 1982 Die RAF-Schrift „Guerilla, Widerstand und Antiimperialistische Front“, auch „Mai-Papier“ oder „Front-Papier“ genannt, wird verbreitet. Erstmals seit zehn Jahren versucht die RAF mit dem Positionspapier, ihre strategischen und ideologischen Vorstellungen darzulegen.
 
16.06.1982 Das OLG Frankfurt am Main verurteilt Sieglinde Hofmann wegen Beteiligung an der Planung der Ponto-Entführung am 30. Juli 1977 zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
 
15.09.1982 In Bochum überfallen Mitglieder der RAF eine Filiale der Bochumer Sparkassen.
 
01.10.1982 Helmut Kohl wird nach einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt zum Nachfolger Schmidts im Amt des Bundeskanzlers gewählt.
 
26.10.1982 Im hessischen Heusenstamm entdecken Spaziergänger ein Waffenlager der RAF, das „Depot I“. Zudem werden sieben weitere Erdverstecke in der Bundesrepublik aufgefunden, darunter das Depot „Daphne“ bei Aumühle im Sachsenwald in der Nähe von Hamburg.
 
10.11.1982 Das OLG Düsseldorf verurteilt Rolf Heißler wegen Mordes an einem Polizeibeamten und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer zweimal lebenslangen Freiheitsstrafe und 15 Jahren Haft.
 
11.11.1982 In Heusenstamm werden am „Depot I“ Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz verhaftet.
 
16.11.1982 In Aumühle wird Christian Klar am Depot „Daphne“ verhaftet.
 
02.05.1983 Das OLG Stuttgart verurteilt Helga Roos zu vier Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe.
 
26.03.1984 In Würzburg überfallen Mitglieder der RAF eine Bank; die Gruppe erbeutet 171.000 DM.
 
07.05.1984 Das OLG Stuttgart verurteilt Peter-Jürgen Boock wegen Beteiligung an der Ermordung von Hanns Martin Schleyer und Jürgen Ponto zu einer dreimal lebenslangen Freiheitsstrafe und 15 Jahren Haft. Eine Teilrevision vom 28.11.1986 reduziert das Urteil auf eine einmalige lebenslange Freiheitsstrafe.
 
22.06.1984 In Deizisau wird Manuela Happe verhaftet.
 
02.07.1984 In Frankfurt am Main werden Helmut Pohl, Christa Eckes, Stefan Frey, Ingrid Jakobsmeier, Barbara Ernst und Ernst Volker Staub in der Berger Straße 344 verhaftet. Die Beamten entdecken ein „Aktionspapier“, das an den „antiimperialistischen Widerstand“ adressiert ist.
 
Sommer 1984 Unter anderem entscheiden sich Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, den „bewaffneten Kampf“ der RAF aufzunehmen, und tauchen unter.
Kommentar:
 

Der Sommer des Jahres 1984 gilt als Schnittstelle zwischen der „Zweiten“ und der „Dritten Generation“. Nach den Verhaftungen der Führungspersönlichkeiten Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im November 1982 blieb lediglich eine kleine Gruppe der „Zweiten Generation“ um Helmut Pohl bestehen. Diese wurde im Juli 1984 verhaftet; sie hatte in der Zwischenzeit keine Anschläge verübt. Mit der „Dritten Generation“ ergeben sich einige Brüche zur „Zweiten Generation“: Diese lassen sich auf einer biographischen Ebene und in ihren Aktionsformen feststellen. So verübten die RAF-Mitglieder der „Dritten Generationen“ in den Folgejahren besonders konspirativ vorbereitete Anschläge. Einerseits erschwerte dieses Vorgehen die Arbeit der Behörden, die Gruppenmitglieder zu verhaften, andererseits isolierte sich die „Dritte Generation“ immer weiter vom linken Milieu und der Gesellschaft insgesamt.

05.11.1984 In Maxdorf bei Ludwigshafen überfallen Mitglieder der RAF – eine Tatbeteiligte ist Eva Haule – das Waffengeschäft Walla. Die Gruppe erbeutet 22 Pistolen und Revolver, zwei Gewehre und 2.800 Schuss Munition.
 
04.12.1984 bis 05.02.1985 39 Inhaftierte beteiligen sich am neunten kollektiven Hungerstreik. Sie fordern die Aufhebung der „Einzel- und Kleingruppenisolation“, die Zusammenlegung aller Gesinnungsgenossen und die Ermöglichung eines Besuchs- und Briefverkehrs ohne Zensurmaßnahmen.
 
18.12.1984 In Oberammergau versucht das „Kommando Jan Raspe“, einen Sprengstoffanschlag auf die NATO-Schule zu verüben. Ein technischer Defekt verhindert die Zündung des Sprengsatzes. Als mutmaßliche Täterin gilt neben anderen bisher unbekannten Beteiligten das RAF-Mitglied Eva Haule.
 
15.01.1985 Die RAF veröffentlicht mit der französischen Stadtguerillagruppe Action Directe (AD) ein gemeinsames zweisprachiges Papier mit dem Titel „Pour l’unité des revolutionaires en Europe de l’ouest / Für die Einheit der Revolutionäre in Westeuropa“. Das Papier erscheint gleichzeitig in Frankreich und in der Bundesrepublik.

„Wir sagen, es ist notwendig und möglich, eine neue Phase für die Entwicklung revolutionärer Strategie in den imperialistischen Zentren zu eröffnen und als eine Bedingung für diesen qualitativen Sprung die internationale Organisation des proletarischen Kampfes in den Metropolen, ihren politisch-militärischen Kern: westeuropäische Guerilla, zu schaffen.“
 

20.01.1985 In Stuttgart-Möhringen verüben die Mitglieder der RAF Johannes Thimme und Claudia Wannersdorfer einen Sprengstoffanschlag vor einem Bürokomplex der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt. Thimme wird bei der Detonation tödlich verletzt.
 
25.01.1985 In La-Celle-Saint-Cloud bei Paris verübt das „Kommando Elisabeth van Dyck“ einen Mordanschlag auf den Direktor des französischen Verteidigungsministeriums Réné Audran. Die Kommandomitglieder, die an der Erschießung beteiligt sind, gehören der Action Directe an.
 
01.02.1985 In Gauting bei München verübt das RAF-„Kommando Patsy O’Hara“ einen Mordanschlag auf den Vorstandsvorsitzenden der Motoren- und Turbinenunion (MTU) Ernst Zimmermann. Ein weibliches RAF-Mitglied hatte sich als Postbotin verkleidet und so einem bewaffneten Gesinnungsgenossen Zugang zu dem Haus der Zimmermanns verschaffen können. Zimmermann wird daraufhin mit seiner Frau im Haus gefesselt und mit einem gezielten Kopfschuss getötet. Die Identität der Tatbeteiligten ist bis heute nicht bekannt; verdächtigt wird lediglich Barbara Meyer.
 
13.03.1985 Das OLG Düsseldorf verurteilt Adelheid Schulz, unter anderem wegen Beteiligung an der Schleyer-Entführung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, zu einer dreimal lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
02.04.1985 Das OLG Stuttgart verurteilt Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar wegen RAF-Aktion im Zeitraum der Jahre 1977 bis 1981 zu jeweils fünfmal lebenslangen Freiheitsstrafen.
 
03.06.1985 In Kirchentellinsfurt bei Tübingen überfallen Mitglieder der RAF einen Geldboten des Esbella-Marktes. Dabei wird der Bote durch einen Schuss in den Hals schwer verletzt. Die Gruppe erbeutet 157.000 DM. Als Verdächtige gilt das RAF-Mitglied Barbara Meyer.
 
08.08.1985 In Wiesbaden wird der 20-jährige US-Soldat Edward Pimental von einem RAF-Mitglied in einem Waldstück mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet, um ihm seine Identification Card abzunehmen.
Zuvor war Pimental von einem weiblichen RAF-Mitglied – mutmaßlich Birgit Hogefeld – nach Hause eingeladen und anschließend in das Waldstück geführt worden.

In Frankfurt am Main verübt das RAF-„Kommando George Jackson“ einen Sprengstoffanschlag auf die Rhein-Main-Air Base der US-Streitkräfte (Foto). Durch die Detonation der Autobombe werden der US-Soldat Frank Scarton und die US-Zivilangestellte Becky Bristol getötet. Mindestens elf Personen werden zum Teil schwer verletzt. Den Zugang zur Air Base erhielt die Gruppe durch die Identification Card Pimentals.
Außer Eva Haule und Birgit Hogefeld ist kein Tatverdächtiger bekannt.

Bildmaterial:

  • Die Autobombe tötet am 8. August 1985 auf der Rhein-Main-Air-Base einen US-Soldaten sowie eine Zivilangestellte und verletzt elf weitere Personen teilweise schwer.
25.08.1985 In einem Schreiben rechtfertigt die RAF die in der Öffentlichkeit und innerhalb der Linken stark kritisierte Erschießung des US-Soldaten Edward Pimental.

„Wir haben Edward Pimental erschossen, den Spezialisten für Flugabwehr, Freiwilliger bei der US-Army und seit drei Monaten in der BRD, der seinen früheren Job an den Nagel gehängt hat, weil er schneller und lockerer Kohle machen wollte, weil wir seine ID-Card gebraucht haben, um auf die Air-Base zu fahren. Für uns sind die US-Soldaten in der BRD nicht Täter und Opfer zugleich, wir haben nicht diesen verklärten, sozialarbeiterischen Blick auf sie.“

Kommentar:
 

Die Erschießung des US-Soldaten Pimental löste in weiten Teilen der bundesrepublikanischen Bevölkerung Entsetzen aus. In der Linken wurde die „Exekution“, vor allem ihre Beliebigkeit und Kaltblütigkeit, mit rechtsradikalen Aktionen gleichgesetzt. Innerhalb der RAF-Inhaftierten hatte man kurz nach der Tat eine „Counteraction“ des Verfassungsschutzes oder des Bundesnachrichtendienstes vermutet, bis die RAF sich für den Mord zu rechtfertigen versuchte. Das Rechtfertigungsschreiben bewirkte in der Öffentlichkeit das Gegenteil, von dem, was die Autoren vermutlich bewirken wollten: Der Zynismus des Schreibens löste zusätzliche scharfe Kritik aus.

27.09.1985 In Ludwigsburg überfallen mutmaßliche RAF-Mitglieder zwei Geldbotinnen eines Supermarktes. Dabei wird Karl-Friedrich Grosser verhaftet; ein Gesinnungsgenosse kann mit der Beute entkommen.
 
06.12.1985 Das OLG Stuttgart verurteilt Claudia Wannersdorfer zu acht Jahren Freiheitsstrafe.
 
31.01. bis 04.02.1986 In Frankfurt am Main veranstaltet das RAF-Umfeld den Kongress „Antiimperialistischer und antikapitalistischer Widerstand in Westeuropa“. Rund eintausend Personen nehmen an der Veranstaltung teil.
 
05.02.1986 Das Bayerische OLG verurteilt Ernst Volker Staub zu acht Jahren Freiheitsstrafe.
 
20.03.1986 Das OLG Stuttgart verurteilt Manuela Happe und Christa Eckes zu 15 und 8 Jahren Freiheitsstrafe.
 
09.07.1986 In Straßlach bei München verübt das RAF-„Kommando Mara Cagol“ einen ferngesteuerten Sprengstoffanschlag auf das Fahrzeug des Siemens-Vorstandsmitglieds Karl Heinz Beckurts (Foto). Beckurts und sein Fahrer Eckhard Groppler werden dabei getötet. Als einziger Tatverdächtiger gilt der am 15. September 1999 erschossene Horst Ludwig Meyer.

Bildmaterial:

  • Das durch die Detonation zerstörte Fahrzeug von Karl Heinz Beckurts nach dem RAF-Anschlag am 9. Juli 1986.
02.08.1986 In Rüsselsheim wird Eva Haule mit Gesprächspartnern aus dem „antiimperialistischen Widerstand“ – Christian Kluth und Luitgard Hornstein – in einer Eisdiele verhaftet.
 
10.10.1986 In Bonn-Ippendorf verübt das RAF-„Kommando Ingrid Schubert“ einen Mordanschlag auf den Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Gerold von Braunmühl vor dessen Villa (Foto + Foto). Als Tatverdächtige der Erschießung von Braunmühls gelten Barbara Meyer und Horst Ludwig Meyer; Tatbeweise gibt es jedoch keine.

Bildmaterial:

  1. Die Leiche des von der RAF am 10. Oktober 1986 ermordeten Gerold von Braunmühl vor dessen Haus.
  2. Ein Kriminalbeamter untersucht nach dem Mordanschlag auf Gerold von Braunmühl am 10. Oktober den Tatort.
07.11.1986 Die Brüder Gerold von Braunmühls appellieren über einen Leserbrief an die RAF. Der mit „An die Mörder unseres Bruders“ betitelte Brief erscheint in der Berliner „tageszeitung“ (taz).
Kommentar:
 

Der öffentliche Brief der Brüder von Braunmühls bedeutete den ersten Versuch unmittelbarer Opfer der RAF-Taten, sich mit der Gruppe auf direktem Wege auseinandersetzen. In der Öffentlichkeit wirkte der Brief polarisierend und löste eine Debatte aus, wie mit der RAF umzugehen sei. Die Brüder von Braunmühls verfehlten jedoch ihr Hauptanliegen; die RAF zeigte auf das Schreiben keine Reaktion und büßte ihre letzte Glaubwürdigkeit ein – und damit die Möglichkeit eines Ausweges aus ihrer isolierten Situation.

17.11.1986 In Paris verübt die Action Directe einen Mordanschlag auf den Direktor der Renault-Werke Georges Besse. Als Haupttäterinnen gelten die Französinnen Nathalie Menigon und Joëlle Aubron. Besse wird von der AD als Hauptverursacher der Massenkündigungen bei Renault angesehen.
 
23.12.1986 Das OLG Düsseldorf verurteilt Stefan Frey zu vier Jahren und sechs Monaten und Helmut Pohl zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
21.02.1987 In Vitry-aux-Loges in der Nähe von Orléans werden führende Mitglieder der AD verhaftet – unter ihnen Jean-Marc Rouillan, Nathalie Ménigon, Régis Schleicher, Joëlle Aubron und Georges Cipriani.
 
16.03.1987 Das OLG Düsseldorf verurteilt Rolf Clemens Wagner zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
17.06.1988 Im spanischen Rota misslingt ein Sprengstoffanschlag auf einen von US-amerikanischen Streitkräften genutzten Militärstützpunkt. Als Tatbeteiligte gelten Andrea Klump und Horst Ludwig Meyer.
 
28.06.1988 Das OLG Stuttgart verurteilt Christian Kluth zu zehn Jahren und Eva Haule zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
 
20.09.1988 In Bonn-Bad Godesberg misslingt dem RAF-„Kommando Khaled Akir“ ein Sprengstoffanschlag auf den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Hans Tietmeyer. Der Anschlagsversuch ereignet sich kurz vor der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in West-Berlin.
 
30.11.1988 Klaus Jünschke und Manfred Grashof werden von dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel begnadigt.
 
01. bis 15.02.1989 und 15.03. bis 12.05.1989 RAF-Inhaftierte und deren ideologisches Umfeld treten in den zehnten kollektiven Hungerstreik. Sie fordern die Zusammenlegung der Gesinnungsgenossen, eine Verbesserung der Haftbedingungen und verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten untereinander.
 
29.04. bis 04.06.1989 In Frankfurt am Main stellt Gerhard Richter im Museum für Moderne Kunst seinen Gemäldezyklus „18. Oktober 1977“ aus.
 
30.11.1989 In Bad Homburg verübt das RAF-„Kommando Wolfgang Beer“ einen Sprengstoffanschlag auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank und Aufsichtsratsvorsitzenden von Daimler Benz, Continental und Texaco Alfred Herrhausen (Foto). Herrhausen wird von der Hohlsprengladung getötet, sein Fahrer verletzt.
Bis heute ist nicht geklärt, wer an der Tat beteiligt gewesen war.

Bildmaterial:

  • Der Tatort des Sprengstoffanschlags am 30. November 1989: Das Fahrzeug, mit dem Herrhausen unterwegs war, wurde von der Hohlsprengladung völlig zerstört.
05.03.1990 In Bonn gehen bei zwei Presseagenturen angebliche Schreiben der RAF ein: Ein „Kommando Juliane Plambeck“ habe „heute“, am 2. März 1990, den Bundeslandwirtschaftsminister Ignatz Kiechle „angegriffen“. In einem weiteren Schreiben vom 3. März teilt die RAF mit, sie habe die Aktion abgebrochen, da ein nicht einkalkuliertes Ereignis eingetreten sei, durch das man keine Unbeteiligten gefährden wolle. In einem dritten Schreiben vom 26. April 1990 leugnet die RAF den Anschlagsversuch und bekräftigt, dieser sei eine Geheimdienstaktion gewesen, die der „Desorientierung“ diene.
 
05.06.1990 In Duisburg überfallen RAF-Mitglieder einen Einkaufsmarkt. Die RAF bekennt sich beiläufig zu der Tat in einer Erklärung vom 29. Juli 1990, in der sie unter anderem angebliche Verbindungen mit besetzten Häusern in der Hamburger Hafenstraße abstreitet.
 
Juni 1990 Sämtliche „RAF-Aussteiger“ werden in der DDR verhaftet:

Susanne Albrecht am 6. Juni in Berlin;

Inge Viett am 12 Juni in Magdeburg;

Werner Lotze. Christine Dümlein, Monika Helbing und Ekkehard von Seckendorf-Gudent am 14. Juni in Frankfurt an der Oder;

Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich am 15. Juni in Schwedt;

Silke Maier-Witt und Henning Beer am 18. Juni in Neubrandenburg.

Während Seckendorf-Gudent und Dümlein aufgrund von Verjährungsfristen aus der Haft entlassen werden, ist Viett die einzige, die nicht auf die „Kronzeugenregelung“ eingegangen war.
 

29.06.1990 Angelika Speitel wird aus der Haft entlassen nachdem sie im Jahre 1989 von Bundespräsident Richard von Weizsäcker begnadigt worden war.
 
27.07.1990 In Bonn an der Autobahnabfahrt Auerberg verübt das RAF-„Kommando José Manuel Sevillano“ einen Sprengstoffanschlag auf den Staatssekretär des Innenministeriums Hans Neusel. Neusel, der unter anderem für „Terrorismusangelegenheiten“ zuständig ist, erleidet bei der Detonation leichte Verletzungen. Bislang gibt es keine Erkenntnisse über die Tatverantwortlichen.

Mit dem Namen des Kommandos „José Manuel Sevillano“ nimmt die RAF Bezug auf einen parallel laufenden Hungerstreik spanischer Inhaftierter, in dessen Verlauf Sevillano gestorben war.
 

15.01.1991 Das OLG Stuttgart verurteilt Luitgart Hornstein zu neun Jahren Freiheitsstrafe.
 
13.02.1991 In Bonn feuert das RAF-„Kommando Vincenzo Spano“ 250 Gewehrschüsse auf die US-Botschaft von der gegenüber liegenden Rheinseite aus. Es entsteht leichter Sachschaden. Welche Personen für die Tat verantwortlich sind, kann bis heute nicht bestimmt werden.

Die RAF korrigiert den Namen des Kommandos in einem Schreiben am 24. Februar 1991 in „Ciro Rizatto“.
 

01.04.1991 In Düsseldorf-Oberkassel erschießt ein Scharfschütze des RAF-„Kommandos Ulrich Wessel“ den Vorsitzenden der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder in dessen Haus. Rohwedders Frau Hergard wird von einem der drei abgefeuerten Schüsse verletzt. (Foto)
Im Jahre 2001 identifizieren BKA-Beamte einen der möglichen Mittäter anhand eines Haares, das am Tatort aufgefunden worden war. Die DNA-Analyse deutet auf das RAF-Mitglied Wolfgang Grams hin. Dieser war am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen bei einem Schusswechsel mit GSG9-Beamten zu Tode gekommen.

Bildmaterial:

  • Der Leichnam Detlev Karsten Rohwedders wird nach dem tödlichen Anschlag aus seinem Haus abtransportiert.
03.06.1991 Das OLG Stuttgart verurteilt Susanne Albrecht zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe.
 
03.07.1991 Das OLG Koblenz verurteilt Henning Beer zu sechs Jahren Jugendstrafe.
 
08.10.1991 Das OLG Stuttgart verurteilt Silke Maier-Witt zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
 
30.11.1991 Verena Becker wird von Bundespräsident Richard von Weizsäcker begnadigt. Becker hatte bereits am 30. November 1989 ihre Zelle in der JVA Willich ohne größeres Aufsehen verlassen.
 
06.01.1992 In Stuttgart erläutert der Justizminister Klaus Kinkel auf dem Dreikönigstreffen der Freien Demokratischen Partei (FDP) die so genannte „Kinkel-Initiative“. Kinkel fordert, der Staat müsse „dort wo es angebracht ist, zur Versöhnung bereit sein“ und über eine vorzeitige Entlassung von inhaftierten RAF-Mitgliedern nachdenken. Die Entwicklung der RAF „zu einem Gefangenenbefreiungsverein“ lässt Experten folgern, dass RAF-Inhaftierte „nach der Lage des Gesetzes und einem bisschen guten Willen raus gelassen werden könnten“.

Aufgrund der Kinkel-Initiative werden im Zeitraum zwischen Januar 1992 und September 1993 acht Inhaftierte des RAF-Umfeldes aus der Haft entlassen: Günter Sonnenberg, Bernhard Rössner, Karl-Friedrich Grosser, Claudia Wannersdorfer, Thomas Thoene, Angelika Goder, Bärbel Hofmeier und Christian Kluth. Die Anträge bekannterer RAF-Mitglieder wie Lutz Taufer, Hanna Krabbe und Karl-Heinz Dellwo werden abgelehnt; sie lehnen es ab, sich der erforderlichen psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Stattdessen erklären sie sich bereit, sich einer Begutachtung durch einen Sozialwissenschaftler zu stellen.

Kinkel wird für seine Initiative in der medialen und politischen Öffentlichkeit stark kritisiert; Rückhalt bekommt er von Bundeskanzler Helmut Kohl, der Bundesanwaltschaft, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der Koordinierungsgruppe für Terrorismusbekämpfung des BKA.
 

24.02.1992 Das OLG Stuttgart verurteilt Monika Helbing zu sieben Jahren Freiheitsstrafe.
 
11.03.1992 Das Bayerische OLG verurteilt Werner Lotze zu elf Jahren Freiheitsstrafe.
 
10.04.1992 Bei der AFP trifft die so genannte „Zäsurerklärung“ ein (auch als „April-Papier“ bezeichnet). Die RAF erklärt in dem Papier als Antwort auf die Kinkel-Initiative, dass sie die „Eskalation zurücknimmt“, „Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat“ vorerst nicht mehr erfolgen würden, „dass es so nicht weitergeht, dass wir als guerilla alle entscheidungen allein treffen und die anderen sich an uns orientieren“. Ziel der RAF sei es vor allem, eine politische Diskussion zu führen.
 
Kommentar:
 

Mit dem „April-Papier“ wagte es die RAF erstmals in ihrer Geschichte, konstruktive Selbstkritik zu üben. Der im „Mai-Papier“ 1982 postulierte Avantgardeanspruch der Gruppe, so gestanden sich die Mitglieder der „Dritten Generation“ ein, konnte der Konzeption, in einer breiten „antiimperialistischen Front“ zu kämpfen, nicht entsprechen. Mit dem Schreiben leitete die „illegale RAF“ einen Deeskalations- und schließlich Auflösungsprozess ein, der auf unterschiedlichen Deutungsebenen begründet werden kann. Neben dem politischen Auslöser der Deeskalationsbemühungen – der Kinkel-Initiative – wurde in den Erklärungen der RAF deutlich, dass auch biographische Diskontinuitäten zwischen „Zweiter“ und „Dritter Generation“ die eigene „Politik“ erschwerten.

15.04.1992 Das inhaftierte RAF-Mitglied Irmgard Möller befürwortet die Entscheidung der RAF vom 10. April 1992 in einer Erklärung. Es müsse nach Auffassung der RAF-Inhaftierten „zu einer Neubestimmung von Inhalten und Formen der eigenen Politik“ kommen. Durch den politischen Prozess der Kinkel-Initiative und der RAF erhoffen sich die RAF-Inhaftierten nach den Aussagen Möllers eine Perspektive auf Haftentlassung. Möller fordert des Weiteren die vorläufige Entlassung der schwerkranken RAF-Mitglieder Günter Sonnenberg und Bernhard Rössner.
 
22.04.1992 und 22.05.1992 Eine Gruppe „Widerstand in der BRD“ kritisiert in zwei Erklärungen, die an verschiedene Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen unter anderem in Bonn, Köln und Düsseldorf adressiert sind, den im „April-Papier“ formulierten vorläufigen Verzicht auf Mordaktionen. Militante Aktionen seien „nicht nur moralisch notwendig, sondern auch politisch sinnvoll. Widerstand heißt Angriff!“

In Düsseldorf beteiligen sich rund 80 Personen des RAF-Umfeldes, unter anderem aus den Städten Bonn, Köln und Wuppertal, an einer Demonstration vor dem Justizministerium. Gefordert wird die Haftentlassung RAF-Inhaftierter.
 

20.06.1992 In Bonn beteiligen sich rund 2.000 Personen, unter anderem aus Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Köln, Münster und Wuppertal, an einer bundesweiten Demonstration „für das Leben und die Freiheit der politischen Gefangenen“. Auf der Kundgebung halten Angehörige von RAF-Inhaftierten Redebeiträge und verlesen Grußbotschaften von ihnen. Es werden die bekannten Forderungen nach sofortiger Haftentlassung der RAF-Inhaftierten und Zusammenlegung der „politischen Gefangenen“ genannt.
 
22.06.1992 Das OLG Stuttgart verurteilt Sigrid Sternebeck zu acht Jahren und sechs Monaten und Ralf Baptist Friedrich zu sechs Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe.
 
29.06.1992 Das so genannte „Juni-Papier“ erscheint. Die RAF bekräftigt hier den Verzicht auf „bewaffnete Aktionen“.

„Wir haben mit dem Brief vom 10.4. eine ganze lange Phase unserer Geschichte abgeschlossen. Das ist unsere Entscheidung, daß wir jetzt diesen Prozeß von Reflexion und Neubestimmung für die Entwicklung auf unserer Seite wollen – das hat nichts mit dem Staat zu tun.“
 

August 1992 Das so genannte „August-Papier“ erscheint. Die RAF räumt ein, dass es ihr nicht gelungen sei, die Grundidee des „Front-Papieres“ vom Mai 1982 zu verwirklichen.

„Zu unserer Geschichte in den 80er Jahren: Niemand von uns, die heute in der RAF sind, war vor ’84 schon dabei. Das heißt, daß wir gerade über den Anfang der 80er, also z.B. die Diskussionen in der Gruppe, die zum ‚Frontpapier’ geführt haben, nichts sagen können. Zum vollen Verständnis und zur Reflexion unserer Geschichte aus dieser Zeit – und für die gesamten 70er Jahre trifft das in noch größerem Maße zu – brauchen auch wir die Diskussion mit unseren gefangenen GenossInnen.“
 

26.08.1992 Das OLG Koblenz verurteilt Inge Viett zu 13 Jahren Freiheitsstrafe.
 
Ende Oktober 1992 Das in der JVA Celle inhaftierte RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo kritisiert in einer Erklärung die Bundesministerin für Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Entscheidung Leutheusser-Schnarrenbergers, Bernhard Rössner einen Strafausstand von 18 Monaten zu gewähren, unterlaufe „die Notwendigkeit einer politischen Antwort des Staates auf die Gefangenenfrage, aber auch auf die RAF“. Weiter kritisiert Dellwo, eine angebliche Zusage des Bundespräsidialamtes zur Haftentlassung Rössners sei nicht eingehalten worden. Grundsätzlich sei auf den „qualitativen Schritt der RAF“, „die Frage des bewaffneten Kampfes“ offengelegt zu haben, keine entsprechende Antwort erfolgt. Dennoch werde „keiner von uns […] nach seiner freilassung zum bewaffneten kampf zurückkehren!“
 
03.11.1992 Das OLG Stuttgart reduziert das Strafmaß Christian Klars und Peter-Jürgen Boocks auf eine jeweils lebenslange Freiheitsstrafe.
 
09.03.1993 Das OLG Düsseldorf entscheidet, dass für Stefan Wisniewski aufgrund „nachträglich erwiesener Schuldschwere“ erst nach 20 Jahren eine vorläufige Haftentlassung möglich sei.
 
27.03.1993 Bei Darmstadt verübt das RAF-„Kommando Katharina Hammerschmidt“ einen Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt (Foto). Die neu errichtete Vollzugsanstalt wird durch die Detonation der in den vier Sprengsätzen verwendeten 200 Kilogramm erheblich beschädigt; es entsteht ein Sachschaden von 123 Millionen DM. Bei dem Anschlag wird niemand verletzt; die zehn wachhabenden Justizvollzugsbeamten sind vor der Detonation von RAF-Mitgliedern überwältigt, gefesselt und anschließend in ein von der Gruppe gestohlenes Fahrzeug außerhalb des Geländes gebracht worden.

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  • Die „Knastsprengung“ der RAF vom 27. März 1993 verursacht an dem Neubau der JVA Weiterstadt einen erheblichen Sachschaden. Verletzt wird dabei niemand.
27.06.1993 In Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) kommt es zu einem Schusswechsel zwischen GSG9-Beamten und den RAF-Mitgliedern Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams. Während des Einsatzes werden der GSG9-Beamte Michael Newrzella und Grams lebensgefährlich verletzt. Außerdem werden ein weiterer GSG9-Beamter und eine Bahnangestellte durch Schüsse verletzt; Hogefeld wird verhaftet. Grams stirbt später in einem Krankenhaus in Lübeck, Newrzella in Schwerin. Die Polizei war durch die Hinweise des V-Mannes Klaus Steinmetz – er hatte Hogefeld Ende Februar 1992 in Paris kennen gelernt – auf die Fährte der RAF-Mitglieder gebracht worden. Infolge des Einsatzes, an dem 37 GSG9-Beamte und 22 weitere Polizeibeamte beteiligt gewesen waren, tritt Bundesinnenminister Rudolf Seiters zurück. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wird entlassen. (Foto + Foto)

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  • Polizeibeamte untersuchen nach dem GSG9-Einsatz vom 27. Juni 1993 das Gelände des Bahnhofs in Bad Kleinen nach Indizien. Unter bisher nicht eindeutigen Umständen waren hier das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und der GSG9-Beamte Michael Newrzella tödlich verwundet worden.
Frühjahr 1993 Der Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele versucht zwischen den in der JVA Celle RAF-Inhaftierten Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts und dem Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG Edzard Reuter sowie dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Ignatz Bubis zu vermitteln. Dellwo, dem es um die Verhinderung einer erneuten Eskalation der Gewalt durch die RAF geht, versucht Reuter davon zu überzeugen, der Bundesregierung „Druck zu machen“.
 
18.10.1993 Das OLG Stuttgart verurteilt Ingrid Jakobsmeier zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
 
28.10.1993 In der so genannten „Spaltungserklärung“ gegen die „illegale“ RAF und die Celler RAF-Inhaftierten verkündet Brigitte Mohnhaupt den „Bruch […] im Zusammenhang der Gefangenen und in der politischen Beziehung zur RAF“ und „das Ende der Politik, für die die RAF über 20 Jahre gestanden hat, revolutionäre Interventionen in der Metropole“. Aufgrund des „Deals der Celler mit dem Staat“ sei die Trennung innerhalb der RAF vollzogen.
Neben Mohnhaupt erklären sich die RAF-Mitglieder Irmgard Möller, Hanna Krabbe, Christine Kuby, Sieglinde Kuby, Rolf Heißler, Rolf Clemens Wagner, Eva Haule, Adelheid Schulz, Christian Klar und Helmut Pohl für das Schreiben verantwortlich.
 
29.10.1993 Karl-Heinz Dellwo erklärt für die Celler RAF-Inhaftierten in einem Antwortschreiben auf die „Spaltungserklärung“ vom Vortag, dass „in diesem Abspaltungsprozess […] alles Negative auf uns und die RAF abgeladen, alles Positive für sich reklamiert“ werde. Dellwo bestätigt den „Bruch“ der Gruppe mit den Worten: „Der Bruch in der Gefangenengruppe hat seine Vorgeschichte, die lange in die Vergangenheit zurückreicht […].“

„Wir haben weder Reuter noch Kohl noch sonst jemand einen Deal angetragen, wir haben auch keine ‚Abwicklung’ betrieben, schon gar nicht ist eine ‚Gesamtlösung’ an irgend jemand herangetragen worden […].“
 

02.11.1993 Die so genannten „Illegalen“ der RAF veröffentlichen ein Schreiben, das die „Spaltungserklärung“ Mohnhaupts als „versuchten todesstoß […] gegen die raf“ darstellt.

„an die gefangenen aus der raf, die sich dahinter gestellt haben […] es hat nie irgendwelche geheimverhandlungen zwischen uns und dem staat gegeben. Es ging in unseren überlegungen nie darum, den bewaffneten kampf für die freiheit der politischen gefangenen zu ‚verdealen’.“

An die Inhaftiertengruppe um Brigitte Mohnhaupt gerichtet, appellieren die „Illegalen“:
„wir fordern euch auf – und das ist unser ernst – jetzt einen moment innezuhalten. Kommt zur besinnung! auch wenn ihr dabei über euren schatten springen müsst. […] vielleicht ist dies – wenn überhaupt – die letzte möglichkeit für was anderes. es liegt an euch.“
 

06.03.1994 Die „Illegalen“ der RAF unterstreichen in einer öffentlichen Erlärung, dass die Gruppe weiterhin auf Anschläge gegen „Repräsentanten von Staat und Wirtschaft“ verzichte, um stattdessen eine „Gegenmacht von unten auf[zu]bauen“.

„wir haben es als politischer zusammenhang gefangene/raf nicht geschafft, die erfahrungen aus 23 jahren kampf in diesen prozess gemeinsam einzubringen. das ist eine niederlage.“
 

24.11.1993 Das OLG Düsseldorf verurteilt Rolf Clemens Wagner zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
27.07. bis 03.08.1994 Die RAF-Mitglieder Manuela Happe, Eva Haule, Rolf Heißler, Sieglinde Hofmann, Christian Klar, Hanna Krabbe, Christine Kuby, Irmgard Möller, Brigitte Mohnhaupt, Helmut Pohl, Adelheid Schulz, Rolf Clemens Wagner und Birgit Hogefeld treten in den elften kollektiven Hungerstreik. Die Gruppe fordert die sofortige Haftentlassung der seit 22 Jahren inhaftierten Möller.
 
28.04.1994 Das OLG Frankfurt am Main verurteilt Eva Haule zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
29.04.1994 bis 10.05.1995 Fünf inhaftierte Mitglieder der RAF werden aus der Haft entlassen: Bernd Rössner am 29. April 1994, Irmgard Möller am 1. Dezember 1994, Christine Kuby am 21. Februar 1995, Lutz Taufer am 26. April 1995 sowie Karl-Heinz Dellwo am 10. Mai 1995.
 
05.09.1994 Das OLG Düsseldorf verurteilt Adelheid Schulz aufgrund von Kronzeugenaussagen wegen des Anschlags auf den US-General Frederick Kroesen erneut zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
26.09.1995 Das OLG Stuttgart verurteilt Sieglinde Hofmann aufgrund von Aussagen der „Aussteiger-Kronzeugen“ unter anderem wegen der Ermordung Hanns Martin Schleyers zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
13.11.1995 Knut Folkerts wird aus der Haft entlassen.
 
10.05.1996 Hanna Krabbe wird aus der Haft entlassen.
 
Ende Mai 1996 Helmut Pohl äußert sich in einem Interview zur RAF und spricht sich gegen den Fortbestand der Gruppe aus: „Ich finde es auch nötig, dass die Illegalen ihre Auflösung als RAF erklären.“
 
19.11.1996 Das OLG Frankfurt am Main verurteilt das an der „Mogadischu-Entführung“ beteiligte PFLP-Mitglied Souhaila Andrawes zu zwölf Jahren Freiheitstrafe.
 
22.11.1996 Christoph Seidler stellt sich den Ermittlungsbehörden im Rahmen eines Aussteigerprogrammes und wird kurz darauf wieder freigelassen. Die Hauptanklage gegen ihn, er habe mit Andrea Klump am Anschlag gegen Alfred Herrhausen mitgewirkt, war Jahre zuvor zusammengebrochen, da der „Kronzeuge“ Siegfried Nonne seine belastenden Aussagen widerrufen hatte.
 
13.03.1998 Peter-Jürgen Boock wird aus der Haft entlassen.
 
20.04.1998 In Köln geht bei der Nachrichtenagentur Reuters eine schriftliche Auflösungserklärung der RAF ein, die auf den „März 1998“ datiert ist.

„Vor fast 28 Jahren am 14. Mai 1970 entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“

01.06.1998 Helmut Pohl wird aus der Haft entlassen. Im Mai hatte Pohl einen Schlaganfall erlitten und war von Bundespräsident Roman Herzog begnadigt worden.
 
29.06.1998 Das OLG Frankfurt am Main verurteilt Birgit Hogefeld zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
 
August 1998 In Frankreich wird das ehemalige Mitglied der RZ Hans-Joachim Klein in seinem Stammlokal verhaftet. Klein hatte sich nach dem Anschlag auf die OPEC-Konferenz am 21. Mai 1975 von der RZ und dem „bewaffneten Kampf“ losgesagt.
 
27.09.1998 Gerhard Schröder übernimmt nach den Bundestagswahlen als Nachfolger Helmut Kohls das Amt den Bundeskanzler. Unter Schröder konstituiert sich die Rot-Grüne Koalition.
 
19.10.1998 Adelheid Schulz wird aus der Haft entlassen und mit Rücksicht auf ihren schlechten Gesundheitszustand von Bundespräsident Johannes Rau am 26. Februar 2002 begnadigt.
 
01.03.1999 Stefan Wisniewski wird unter Auflagen auf Bewährung aus der Haft entlassen.
 
05.05.1999 Sieglinde Hofmann wird auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen.
 
11.05.1999 In Beirut stellt sich Barbara Meyer den deutschen Ermittlungsbehörden. Meyer wird in Beirut bis Oktober inhaftiert. Das Verfahren gegen sie wird im November 2000 eingestellt, da der Tatbestand der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ mittlerweile verjährt ist.
 
20.07.1999 In Duisburg-Rheinhausen überfallen Schwerbewaffnete mit einer Panzerfaust einen Geldtransporter. Die Täter erbeuten über eine Million DM. Polizeibeamte finden am Tatort „DNA-Material“ von den mutmaßlichen RAF-Mitgliedern Ernst-Volker Staub und Daniela Klette. Die Behörden nehmen an, dass die Tat keinen politischen Hintergrund habe. Diese Annahme erschließe sich zum Beispiel daraus, dass keine für die RAF übliche Erklärung am Tatort verblieben sei.
Im Zusammenhang mit dem Überfall fahndet das BKA zudem nach dem mutmaßlichen RAF-Mitglied Burkhard Garweg.
 
15.09.1999 In Wien kommt es bei einer versuchten Festnahme zu einem Schusswechsel zwischen österreichischen Polizeibeamten und den mutmaßlichen RAF-Mitgliedern Horst Ludwig Meyer und Andrea Klump. Dabei wird Meyer tödlich verletzt und Klump verhaftet.
 
15.02.2001 Das LG Frankfurt am Main verurteilt Hans-Joachim Klein zu neun Jahren Freiheitsstrafe. Als Entlastungszeugen treten unter anderem Kleins langjährige Weggefährten Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer und Matthias Beltz auf. Aufgrund der Kronzeugenregelung wird Klein nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
 
15.05.2001 Das OLG Stuttgart verurteilt Andrea Klump zu neun Jahren Freiheitsstrafe.
 
24.10.2001 Rolf Heißler wird auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen.
 
22.11.2001 Christian Klar wird in der JVA Bruchsal von dem Journalisten Günter Gaus interviewt. Auf die Frage zum Thema „Schuldbewusstsein und Reuegefühle“ antwortet Klar:

„In dem politischen Raum, vor dem Hintergrund von unserem Kampf sind das keine Begriffe. […] Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere die Gefühle, aber ich mache sie mir nicht zu Eigen.“

Gaus ermutigt Klar nach dem Interview, ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten Horst Köhler zu stellen. Auch Klars ehrenamtlicher Betreuer Rolf Becker setzt sich dafür ein. Unter anderem fragt er bei dem Intendanten des Berliner Ensembles Claus Peymann an, ob dieser Klar nicht einen Praktikumsplatz als Bühnentechniker anbieten könne.
 

07.03.2003 Am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen stellt sich das mutmaßliche RAF-Mitglied Sabine Callsen den deutschen Ermittlungsbehörden. Der gegen sie bestehende Haftbefehl wird gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Callsen wird unter anderem verdächtigt, einen Sprengstoffanschlag am 8. April 1985 in Hamburg verübt zu haben.
 
28.09.2004 Das OLG Stuttgart verurteilt Andrea Klump zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe. Unter anderem wird sie verdächtigt, einen Sprengstoffanschlag am 17. Juni 1988 im spanischen Rota verübt sowie Kenntnisse von einem Anschlag auf einen Bus mit jüdischen Insassen in Budapest vom 23. Dezember 1991 gehabt zu haben.
 
30.01. bis 27.03.2005 In den Kunst-Werken Berlin wird die Ausstellung „Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung“ präsentiert.
 
19.03.2005 bis 02.01.2006 In den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wird erneut Gerhard Richters Gemäldezyklus „18. Oktober 1977“ präsentiert.
 
22.11.2005 Angela Merkel wird von der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestags zur Bundeskanzlerin gewählt. Unter Merkel konstituiert sich die zweite Große Koalition unter Beteiligung der Parteien CDU/CSU und SPD.
 
13.01.2007 Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin verliest der Theologe Heinrich Fink eine Grußbotschaft Christian Klars.

„Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen Rettern entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen. Es muss immer wieder betont werden: Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftig Neugeborenen in ein Leben treten können, das die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potentiale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.“

Zunächst wird die Botschaft von der Öffentlichkeit nicht sonderlich beachtet. Erst als sie am 26. Februar 2007 in dem ARD-Fernsehmagazin „Report Mainz“ thematisiert wird, beginnt eine politische und mediale Debatte über eine vorzeitige Begnadigung Klars und dessen Recht auf freie Meinungsäußerung.
 

25.03.2007 Brigitte Mohnhaupt wird auf Bewährung aus der Haft entlassen. Das OLG Stuttgart hatte am 12. Februar 2007 ihrem Antrag auf Haftentlassung zur Bewährung stattgegeben.
 
25.04.2007 Die Generalbundesanwältin Monika Harms leitet ein erneutes Ermittlungsverfahren gegen Stefan Wisniewski ein. Wisniewski wird nach Aussagen Peter-Jürgen Boocks und Verena Beckers verdächtigt, der „Todesschütze“ bei der Ermordung von Siegfried Buback gewesen zu sein.
 
07.05.2007 Bundespräsident Horst Köhler lehnt nach einem persönlichen Gespräch mit Christian Klar dessen Begnadigung ebenso ab wie diejenige Birgit Hogefelds. Klar wird voraussichtlich Anfang 2009 und Hogefeld frühestens 2011 aus der Haft entlassen werden.
 
30.07.2007 Die „Spiegel“-Redakteure Stefan Aust und Helmar Büchel finden in einem Nebenraum des OLG Stuttgart unveröffentlichte Tonbandprotokolle, die während des „Stammheim-Prozesses“ zwischen Oktober 1975 und Mai 1976 aufgenommen worden waren. Unter anderem sind Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof zu hören. Meinhofs letzte bekannte Aussage stammt vom März 1976, in der sie den Prozess als „Polizeigerichtsverfahren“ kritisiert.

Wenige Wochen später am 9. Mai 1976 begeht Meinhof in ihrer Zelle Selbstmord.

Die Brisanz des Materials liegt in der Stimme Baaders, die durch die Tonbanddokumente zum ersten Mal öffentlich vernommen werden kann.
 

21.08.2007 Eva Haule wird aus der Haft entlassen. Das OLG Frankfurt hat am 16. August 2007 ihrem Antrag auf Entlassung zur Bewährung stattgegeben.
 
09./10.09.2007 Auf der ARD wird anlässlich des 30. Jahrestages des „Deutschen Herbstes“ der von den „Spiegel“-Redakteuren Stefan Aust und Helmar Büchel produzierte Zweiteiler „Die RAF“ gesendet. Unter anderem wird das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock interviewt, der behauptet, die RAF-Mitglieder Stefan Wisniewski und Rolf Heißler hätten Hanns-Martin Schleyer in einem Waldstück im Elsaß erschossen. Des Weiteren, so Boock, sei die Entführung von Bundeskanzler Helmut Schmidt geplant gewesen.
Darüber hinaus entwickelt Aust seine Abhörthese weiter, die er in seinem erstmals 1985 veröffentlichten Buch „Der Baader Meinhof Komplex“ ausgeführt hatte. In diesem hatte er die Behauptung aufgestellt, in Besucherzellen der JVA Stuttgart habe das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an mehreren Tagen Gespräche zwischen RAF-Inhaftierten und ihren Besuchern „abgehört“. Möglicherweise könnten auch die Ereignisse in der „Todesnacht von Stammheim“ am 18. Oktober 1977 Beamten des BfV bekannt gewesen sein. Der innenpolitische Vorstandssprecher der SPD Dieter Wiefelspütz fordert daraufhin am 14. September 2007 von „Polizei und Justiz“ eine Aufklärung der Ereignisse.
 

Letzte Überprüfung der Internet-Adressen: 24.09.2007

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