von Gisela Diewald-Kerkmann

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12. September 2017

Angesichts der terroristischen Herausforderung stellen Politik und Öffentlichkeit in Deutschland hohe Anforderungen an das Rechtssystem. Aber gerade in solchen Situationen besteht die Gefahr, dass ein demokratisches System in rechtsstaatliche Grauzonen gerät. Nicht zuletzt die Angst vor Terrorismus kann zu einer erheblichen Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden führen. Oder anders formuliert: Ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis vermag eine Erosion der Grundrechte, überhaupt erhebliche Folgen für die Rechtsstaatlichkeit nach sich zu ziehen. So kristallisierte sich in den siebziger Jahren der Bundesrepublik das Muster heraus, dass der Gesetzgeber in Konfliktsituationen jeweils mit Strafrechtsänderungen respektive Strafrechtsverschärfungen, Straf- und Disziplinarverfahren reagierte.

Gemeingefährliche Kriminelle?

Nicht nur politische Repräsentanten der Bundesregierung, der Opposition oder Vertreter staatlicher Instanzen vertraten die Meinung, dass es sich bei den Mitgliedern der RAF um „Staatsfeinde“ und eben keine gewöhnlichen Kriminellen handelte. Dagegen zieht sich das Bemühen der Gerichte, die Beschuldigten wie „gemeingefährliche Täterinnen und Täter“ zu behandeln, wie ein roter Faden durch die Strafverfahren. Während also die Handlungen der RAF auf der politischen und medialen Ebene als Frontalangriff gegen die bestehende Gesellschaftsordnung verstanden wurden, konnte die Justiz nur gewöhnliche Straftaten in ihnen erkennen.

„Einzeltäter“ versus „Organisationsdelikte“

Setzt man sich mit der juristischen Ahndung terroristischer Taten auseinander, stellt sich fast zwangsläufig die Frage, ob das Strafrecht, das wesentlich auf Einzeltäter und Einzeltäterinnen angelegt ist, bei Organisationsdelikten wie den §§ 129 und 129a StGB nicht an Grenzen stößt. In einem rechtsstaatlichen Strafrecht geht es immer um eine tatbestandsmäßige und schuldhafte Tat. Die Straftat des Täters wird bestraft. Die Gesinnung eines Menschen und seine charakterlichen Haltungen sind nicht relevant.[1] Tatsächlich war es in den Prozessen äußerst schwierig, strafbare Handlungen wie Mord oder versuchten Mord, räuberische Erpressung, schweren Raub, unerlaubten Waffenbesitz, Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens oder Urkundenfälschung einzelnen Mitgliedern individuell zuzurechnen. Das erklärt sich aus den konspirativen Bedingungen der illegalen Tätigkeit der Gruppen, den erschwerten Ermittlungen, den fehlenden Tatzeugen und der Tatsache, dass die Beschuldigten jegliche Angaben zur Person, zum Tathergang oder der ihnen vorgeworfenen Tatbeteiligung verweigerten. Weil die Beteiligten fast alle ausnahmslos schwiegen, konnte man in den Prozessen weder Informationen über die möglicherweise strafbaren Handlungen einzelner Akteure erhalten noch ob sie über diese informiert waren oder billigten.

Strafprozesse gegen RAF-Mitglieder

Die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe begann am 21. Mai 1975 vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz von Richter Theodor Prinzing. Die Angeklagten wurden beschuldigt, vier Menschen getötet und in mindestens 54 Fällen Mordversuch begangen zu haben. Die beklemmende Atmosphäre und die Kontroversen im Gerichtssaal – angefangen von Auseinandersetzungen um allgemeine Verfahrensgrundsätze, Zwischenrufe und Wortentziehungen bis zu heftigen Vorwürfen – spiegeln ein Ausnahmeklima wider. Es wurde deutlich, in welchem Maße der Strafprozess von der RAF als „Bühne“ für eigene Agitations- und Propagandazwecke instrumentalisiert wurde. Dass die Anwälte dabei „zwischen den Fronten standen“[2] und ihnen unterstellt wurde, Helfershelfer von Rechtsbrechern zu sein, ist eine Folge des Prozessverlaufes.

Einschränkung demokratischer Errungenschaften durch Strafrechtsänderungen in den 1970er und 1980er Jahren

Zwischen Anklageerhebung im September 1974 und dem Beginn der Hauptverhandlung im Mai 1975 in Stammheim beschloss der Gesetzgeber das erste große „Anti-Terror-Paket“. Dabei ging es um dezidierte Regelungen für den Ausschluss von Verteidigern und um das Verbot von Mehrfachverteidigungen: Demnach verloren die Angeklagten das Recht, sich zu mehreren von ein und demselben Verteidiger vertreten zu lassen. Noch gravierender war die Regelung, dass sämtliche Rechtsanwälte, die einen Mandanten aus den Reihen der RAF verteidigt hatten, in den weiteren Prozessen nicht mehr eingesetzt werden durften. 

Darüber hinaus wurde die Zahl der Wahlverteidiger in „Terrorismusverfahren“ auf drei beschränkt und die Unterbrechung für die Vorbereitung neuer Verteidiger aufgehoben. Hinzu kam, dass ein Prozess auch in Abwesenheit des Angeklagten geführt werden konnte. Zwei Jahre später, im Jahre 1976 folgte das zweite große „Anti-Terror-Paket“. Damit führte man  den Tatbestand der „Bildung terroristischer Vereinigungen“ ein. Damit wurden aber auch die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden für Fahndungsmaßnahmen ausgeweitet.[3]
Den Höhepunkt der Konfrontationen bildete das Jahr 1977. In dieser Situation reagierte die Legislative am 30. September 1977 mit dem Kontaktsperregesetz. Hiermit konnten Inhaftierte auf unbestimmte Zeit von der Außenwelt isoliert und selbst den Verteidigern der Zugang zu ihren Mandanten verweigert werden.
Im Jahre 1987 wurde der § 129a StGB weiter verschärft, der die Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung und Werbung für terroristische Organisationen unter Strafe stellte. Diese Strafrechtsänderungen beziehungsweise die neuen Vorschriften kamen verfassungsrechtlich einem Balanceakt gleich. Sie hatten zur Folge, dass demokratische und zivile Errungenschaften der sechziger Jahre – exemplarisch sei hier die „Kleine Strafrechtsreform“ genannt – wieder eingeschränkt wurden. Das heißt, die „Anti-Terror-Gesetze“ trafen nicht nur Mitglieder terroristischer Gruppen und ihr radikales Milieu, sondern sie erschütterten das gesamte rechtsstaatliche Gefüge der Bundesrepublik Deutschland.

 

[1] Vgl. Wolfgang Schild, Straftaten und Terroristentäter, Vortrag, gehalten auf der Tagung „Terrorismus – Bestrafung – Versöhnung.“, Akademie Bad Boll, 19.-21.02.1999, in: epd. Dokumentation 32/99, S. 40-52, hier S. 42.
[2] Vgl. Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik  APO und RAF. Gespräche, hrsg. von Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey, Berlin 2013.
[3] Dazu gehörten konkret Straßensperren, Razzien, Durchsuchung ganzer Gebäudekomplexe, Festnahmen Unbeteiligter zu „erkennungsdienstlicher Behandlung“, Telefonüberwachung, Kontrolle des Schriftverkehrs des Inhaftierten mit seinem Verteidiger, Anordnung von Untersuchungshaft ohne Haftgrund, Isolierung der Gefangenen bis zu den Hauptverfahren vor speziellen Gerichten, den Staatsschutzkammern bzw. Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte.