von Jürgen Danyel, Lars Karl, Jan-Holger Kirsch

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1. Mai 2005

Als Angelpunkt der Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges stehen die beiden Kapitulationen am 7. und 8. Mai in Reims und in Berlin-Karlshorst, sichtbare Akte des Kriegsendes und des Beginns der langen Nachkriegszeit. Über diese Kapitulationsakte halten sich hartnäckig etliche Fehlinformationen und Legenden, nicht zuletzt durch die Jahre des Kalten Krieges geformt, in denen beide Seiten ihre jeweils eigene Geschichte pflegten. Das Museum Berlin-Karlshorst am Ort des zweiten Kapitulationsaktes, in seiner Arbeit der Kritik an historischen Legenden und der historischen Genauigkeit verpflichtet, informiert Sie über einige dieser Legenden - in der Hoffnung, der historischen Realität in der Medien-Erinnerung einen Platz verschaffen zu können.

Die Oberkommandierenden der deutschen Wehrmacht (sitzend v.l.: Generaloberst Stumpf, Generalfeldmarschall Keitel, Generaladmiral v. Friedeburg) vor der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde im Speisesaal des Offizierskasinos, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945. Foto: Timofej Melnik, Museum Berlin-Karlshorst.

Legende 1: Die deutsche Wehrmacht kapitulierte in Reims, dem Hauptquartier der „Allierten Expeditionsstreitkräfte“, also der britischen und US-Streitkräfte, am 7. Mai vor den Westallierten und am 8. Mai in Karlshorst vor den sowjetischen Streitkräften.

Realität: Beide Kapitulationen erfolgten vor den Vertretern aller Alliierten, also der britischen, sowjetischen und der US-Streitkräfte (Vertreter der französischen Streitkräfte waren jeweils als Zeugen anwesend). So unterzeichneten am 7. Mai in Reims der amerikanische General B. Smith, Stabschef bei Eisenhower, für die Westfront und der sowjetische Generalmajor Susloparow, Verbindungsoffizier im westlichen Hauptquartier, für die Ostfront die Entgegennahme der Kapitulation. Der französische General Sève unterschrieb als Zeuge (siehe die Kapitulationsurkunde von Reims). Am 8./9. Mai nahmen als Stellvertreter Eisenhowers der britische Air Marshal Tedder für die Westfront und der sowjetische Marschall Shukow für die Ostfront die Kapitulation entgegen. Als Zeugen unterschrieben hier der US General Spaatz und der französische General de Lattre de Tassigny (s. Anlage 3).

Luftmarschall Tedder und Marschall Shukow nehmen die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht entgegen, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945. Foto: Timofej Melnik, Museum Berlin-Karlshorst.

Legende 2 (Ost): In Reims wurde keine Kapitulation, sondern nur ein vorbereitendes Protokoll unterzeichnet. Der wirkliche Kapitulationsakt erfolgte erst am 8./9. Mai in Karlshorst.

Realität: Am 7. Mai wurde in Reims eine rechtswirksame Kapitulation unterzeichnet. Der Text des Dokuments ist eindeutig (siehe die Kapitulationsurkunde von Reims). Auch die Sowjetunion hat das so gesehen und am 7. und 8. Mai die deutschen Truppen durch Flugblätter darüber informiert. Erst im Kalten Krieg wurde die erste Kapitulation von Reims totgeschwiegen oder zum vorbereitenden Protokoll herabgestuft.

Ort der bedingungslosen Kapitulation: Offizierskasino der Wehrmachts-Pionierschule I in Berlin-Karlshorst, 8. Mai 1945. Foto: Iwan Schagin, Museum Berlin-Karlshorst.

 

Legende 3 (West): Die Kapitulation war am 7. Mai in Reims vollzogen. Nur auf Grund des wütenden Protestes Stalins, der diese Unterzeichnung nicht anerkennen wollte, konzedierte ihm der Westen anschließend eine zweite Zeremonie für die Öffentlichkeit, daher also der Karlshorster Akt. Generalmajor Susloparow, der in Reims unterschrieben hatte, wurde deswegen in ein sibirisches Lager eingeliefert.

Realität: Stalin fürchtete zwar immer, dass die Westmächte ihn verraten würden, und sah mit extremem Misstrauen auf alle Verhandlungen zwischen der Wehrmacht und den westlichen Verbündeten bei Kriegsende (vor dem 7. Mai hatten die deutschen Truppen in Oberitalien und in Nordwestdeutschland, den Niederlanden und Dänemark bereits kapituliert). Die deutsche Delegation legte in Reims zuerst auch tatsächlich den Vorschlag vor, ausschließlich gegenüber den westlichen Alliierten zu kapitulieren und die Ostfront auszuklammern – nicht nur in der Absicht, viele Soldaten und Flüchtlinge auf westliches Gebiet zu bringen, sondern auch noch immer mit der Hoffnung, die Alliierten auseinander zu dividieren und den Kampf im Osten fortsetzen zu können. General Eisenhower hat das sofort zurückgewiesen und, wie unter den Alliierten vereinbart, die Gesamtkapitulation verlangt. Generalmajor Susloparow erhielt auch aus Moskau die Vollmacht zur Unterschrift in Reims (und kam nach dem Krieg in kein Straflager). Zudem unterschrieb unmittelbar nach der Unterzeichnung der Reimser Kapitulation der Vertreter der Wehrmacht, Generaloberst Jodl, ein zweites Dokument, in dem sich die deutsche Seite verpflichtete, diese Kapitulation mit den Unterschriften des Oberkommandierenden der Wehrmacht wie auch der Oberbefehlshaber von Heer, Luftwaffe und Marine zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt zu ratifizieren (siehe das Protokoll von Reims). Im Moment der Unterzeichnung in Reims stand also die folgende Ratifizierung bereits fest.

 

Legende 4: Der zweite Kapitulationsakt diente allein der Beschwichtigung Stalins.

Realität: Die Entscheidung für eine öffentlichkeitswirksame Ratifizierung der Kapitulation war mit Sicherheit auch eine Geste für den extrem misstrauischen sowjetischen Verbündeten. Ein zweiter Grund kommt allerdings dazu: In Reims hatte ausschließlich der Chef des deutschen Generalstabs Jodl, ein Offizier ohne Kommandogewalt, die Kapitulation unterschrieben. Den Briten war diese Unterschrift nicht ausreichend, hatten sie doch böse Erinnerungen an die Unterzeichnung des Waffenstillstands am Ende des Ersten Weltkriegs, als im November 1918 auf ultimativen Druck der Obersten Heeresleitung unter Generalfeldmarschall von Hindenburg ein ziviler Politiker und ein unbekannter General den Waffenstillstand unterschrieben hatten und Hindenburg bald darauf erklärte, dass das deutsche Heer, im Felde unbesiegt, nur durch den Dolchstoß der Revolution zu Fall gebracht worden sei. Um eine neue Dolchstoßlegende zu verhindern, war den Briten deshalb die persönliche Unterschrift der Inhaber der Kommandogewalt wichtig (Hitlers Nachfolgeregierung unter Dönitz war für die Alliierten ohnehin kein Verhandlungspartner). Auch dafür diente die vorgesehene Ratifizierung als zweiter Kapitulationsakt.

 

Legende 5: Am 8. Mai ist erst nach Mitternacht unterschrieben worden, weil die Alliierten sich nicht über den genauen Text einigen konnten. Und die unterschiedlichen Daten – in Westeuropa und Deutschland der 8. Mai, in Russland der 9. Mai – kamen zustande, weil in Berlin die Moskauer Zeit eingeführt worden war.

Realität: Die Verschiebung der Unterzeichnung vom Nachmittag auf Mitternacht hatte keine politischen, sondern technische Gründe. Der Text der russischen Übersetzung (in Reims war nur ein englisches Dokument unterzeichnet worden) war nur unvollständig nach Berlin übermittelt worden (einige Zeilen fehlten), und man brauchte etliche Stunden, um den vollständigen Text zu erhalten. Erst dann konnten die westlichen Delegierten die Übersetzung mit dem englischen Text vergleichen.
Die Ratifikationsurkunde wurde ca. 00.15 h mitteleuropäischer Sommerzeit unterzeichnet, als ihre Bestimmungen also schon mehr als eine Stunde lang Gültigkeit hatten. Moskauer Zeit wurde in Berlin durch Befehl des Stadtkommandanten Bersarin erst am 20. Mai für einige Wochen eingeführt. Nach westeuropäischer Zeit war es natürlich noch der 8. Mai (23.15 h), nach Moskauer Zeit schon 02.15 h. Dass für die Sowjetunion und Russland nicht der im Dokument genannte 8. Mai, sondern der 9. Mai das offizielle Datum der Kapitulation ist, hat mit Stalins Weigerung zu tun, schon am 8. Mai die Kapitulation in der SU bekannt zu geben. Erst am 9. Mai erfuhr die sowjetische Bevölkerung von der Kapitulation, dort gilt seitdem das Datum der Verkündung als Datum des Kriegsendes.