Straßenszene am Taksim-Platz in Instanbul
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David Yerga, Taksim 2008, Estambul, via flickr, CC BY-NC 2.0

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Türkisch-kurdische Lektionen: Was lässt sich aus der Geschichte lernen?

von
Ismail Küpeli

Ende Februar 2025 kam es zu einer recht überraschenden Entwicklung. Der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan meldete sich mit einem Friedensaufruf, um den Krieg zwischen der Türkei und der kurdischen PKK, der 1984 begonnen hatte und seit 2015 in einer neuen intensiven Phase eingetreten war, zu beenden. In der Berichterstattung waren neben optimistischen und hoffnungsvollen Kommentaren auch eher skeptische Stimmen zu hören, die auf das Scheitern eines ähnlichen Aufrufs von Öcalan im März 2015 hinwiesen. Bereits nach wenigen Wochen war absehbar, dass die Pessimist*innen wohl recht behalten würden.

Das Scheitern eines wirklichen Friedensprozesses ist indes nicht allein der derzeitigen rechtsautoritären Regierung der Türkei oder der kurdischen PKK anzulasten. Ein genauer Blick auf die Kontinuitäten der staatlichen Homogenisierungspolitik (und damit auf die türkische Regierungspolitik gegenüber den Kurd*innen) und staatlich forcierter Geschichtsschreibung in der Türkei machen deutlich, dass einer gerechten und friedlichen Überwindung des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und den in der Türkei lebenden Kurd*innen mehrere Dinge entgegenstehen. Die zentralen Faktoren sind die bis heute fehlende kritische Aufarbeitung der Geschichte, sowie die ebenfalls bis heute fehlende Überwindung der nationalistischen und damit antidemokratischen und antipluralistischen Staatsideologie der Türkei. Ohne eine kritische Aufarbeitung der Geschichte und ohne die Schaffung einer neuen normativen Grundlage für einen Staat, die alle in der Türkei lebenden Bevölkerungsgruppen berücksichtigt, ist ein nachhaltiger Frieden ebenso unerreichbar wie eine tatsächlich demokratische und pluralistische Nation.

Angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse in der Türkei und der skizzierten Geschichte des Landes erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit allein aufgrund von Impulsen aus der Türkei selbst zu einer kritischen Geschichtsaufarbeitung sowie zu einer Überwindung der nationalistischen Staatsideologie kommt. Es gilt daher nach Räumen zu suchen, in denen entsprechende kritische Debatten und Erkenntnisprozesse stattfinden können, ohne von staatlicher Repression bzw. von nationalistischen Anfeindungen gestört oder blockiert zu werden. Deutschland könnte ein solcher Raum sein: Hier lebt mit über drei Millionen Menschen die größte Gruppe türkeistämmiger Menschen außerhalb der Türkei. Dazu gehören kurdischstämmige Personen ebenso wie türkischstämmige. In Deutschland entwickelte Ansätze einer kritischen Geschichtsaufarbeitung oder einer Infragestellung der türkisch-nationalistischen Staatsideologie könnten später auch in der Türkei einen positiven Beitrag zu einem gerechten Frieden sowie zu einer Demokratisierung leisten.

Eine kritische Auseinandersetzung müsste sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in der politischen Bildung stattfinden. Sie hätte positive Folgen nicht nur für die Türkei, sondern auch für Deutschland. Insbesondere in den letzten Jahren ist in Deutschland eine Re-Ethnisierung sozialer Konflikte zu beobachten. Dabei treffen negative Fremdzuschreibungen und Praktiken der Exklusion seitens der Mehrheitsgesellschaft auf eine Selbstethnisierung marginalisierter Bevölkerungsgruppen. Bei der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland führt dies häufig zur Stärkung einer türkisch-nationalistischen Identität. Diese lässt sich einerseits als Reaktion auf Erfahrungen von Exklusion und Marginalisierung durch die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft verstehen, richtet sich aber zugleich gegen Bevölkerungsgruppen, die im Visier des türkischen Nationalismus stehen, wie Armenier*innen oder Kurd*innen.

Aus der kritischen Nationalismusforschung und der Analyse des Konfliktes um die kurdische Bevölkerung in der Türkei lassen sich einige Bedingungen ableiten, die für eine historisch-politische Bildungsarbeit mit Türkeibezug relevant sind. Erstens kann Abstand von der Idee genommen werden, dass die Bevölkerung der Türkei eine homogene türkische Nation ist. Stattdessen sollte der Ausgangspunkt die Erkenntnis sein, dass in der Türkei eine multiethnische und multireligiöse Bevölkerung lebt – sowohl historisch als auch in der Gegenwart. Dies bedeutet folgerichtig auch, dass die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland ebenfalls multiethnisch und multireligiös ist. Gleichsetzungen von türkeistämmig mit türkisch oder muslimisch sollten unterbleiben. Insgesamt sollten die jeweiligen Selbstdefinitionen von Türkeistämmigen ein stärkeres Gewicht erhalten, insbesondere gegenüber den bisher vorherrschenden Fremdzuschreibungen. Zweitens sollten vorhandene Narrative über die Türkei, die türkische Nation und nicht-türkische türkeistämmige Bevölkerungsgruppen kritisch hinterfragt werden. Dies betrifft nicht nur Erzählungen, die in der breiteren Öffentlichkeit kursieren, sondern auch Darstellungen in der Türkeiforschung in Deutschland, die zum Teil von der staatlichen Geschichtsschreibung in der Türkei beeinflusst wurden. So wurde beispielsweise die staatliche Politik gegenüber nicht-türkischen Bevölkerungsgruppen vielfach in auffälliger Nähe zur staatlich-türkischen Perspektive relativiert oder legitimiert. Drittens – und dieser Punkt ist deutlich konflikthafter und daher schwieriger umzusetzen – kann türkeibezogene historisch-politische Bildung nicht einfach mit einem „goldenen Mittelweg“ aus unterschiedlichen, sich widersprechenden Perspektiven, Positionierungen und Geschichtsbildern agieren. Um den Genozid an den Armenier*innen 1915 als Beispiel zu nehmen: Es wäre unzulässig, bei der Bewertung dieses Ereignisses eine vermittelnde Position zwischen der staatlichen Leugnungspolitik der Türkei und der wissenschaftlich weitestgehend eindeutigen Anerkennung des Genozids einzunehmen – denn dies liefe auf eine Relativierung des Genozids hinaus. Diese Anforderung an die historisch-politische Bildung ist daher schwer umzusetzen. Vorherrschend ist vielfach die Tendenz, derartige Konflikte um Identitäten und Geschichtsbilder als Konflikte zwischen zwei Parteien anzusehen, zwischen denen Akteur*innen der historisch-politischen Bildung moderieren oder vermitteln sollten. Stattdessen bedarf es klar formulierter, demokratisch und pluralistisch orientierter Werte und Normen, von denen eine grundsätzliche Positionierung abgeleitet werden kann. Mit einer solchen Positionierung wiederum lassen sich dann unterschiedliche Identitäten und Geschichtsbilder bewerten und einordnen.

Zitation

Ismail Küpeli, Türkisch-kurdische Lektionen: Was lässt sich aus der Geschichte lernen? , in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://www.zeitgeschichte-online.de/themen/tuerkisch-kurdische-lektionen

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