von Christian Mentel

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1. Juni 2012

 

Am 11. Januar 2012 berief die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Historiker Prof. Dr. Manfred Görtemaker (Universität Potsdam) und den Juristen Prof. Dr. Christoph Safferling (Philipps-Universität Marburg) in eine „Unabhängige Wissenschaftliche Kommission“ und beauftragte sie mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bundesministerium der Justiz (BMJ).

Im Vorfeld eines Ende April 2012 abgehaltenen Symposiums,[1] das die eigentliche Forschungsarbeit eröffnete, sprach Zeitgeschichte-online (ZOL) mit Manfred Görtemaker über die Rahmenbedingungen, die Fragestellungen und die Anlage des Projekts, sowie über seine Erwartungen an das nach drei Jahren vorzulegende Ergebnis. Das Interview fand am 11. April 2012 an der Universität Potsdam statt und wurde von Christian Mentel geführt, die Transkription besorgte Anja Liebisch.

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ZOL: Herr Görtemaker, vor drei Monaten wurden Sie und Ihr Kollege Christoph Safferling als Unabhängige Wissenschaftliche Kommission eingesetzt, um die NS-Vergangenheit des Bundesjustizministeriums aufzuarbeiten. Können Sie uns schon Näheres zum Rahmen und zum Stand des Projekts sagen?

Görtemaker: Wir haben bereits im vergangenen Sommer erste Vorgespräche mit dem Justizministerium geführt. Das Problem der NS-Aufarbeitung war dort im Zuge der Diskussionen über das Auswärtige Amt erkannt worden. Da es auch im Justizbereich erhebliche Defizite gibt, war die Ministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sehr daran interessiert, ein Projekt im Bundesministerium der Justiz (BMJ) zu initiieren – unabhängig davon, ob das noch in ihrer Amtszeit zu Ende behandelt werden kann oder nicht. Ursprünglich wurde Michael Stolleis vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main angesprochen, der jedoch von vornherein klar machte, dass ein solches Projekt ohne historische Begleitung nicht durchführbar sei. Und so wurde ich gebeten, in das Projekt einzutreten. Als sich später herausstellte, dass Herr Stolleis das Projekt selber nicht machen konnte oder wollte, haben wir Christoph Safferling von der Juristischen Fakultät der Universität Marburg um seine Mitarbeit gebeten. Zwar steht Herr Stolleis weiterhin als Berater zur Verfügung. Aber wir brauchen Projektleiter, die selbst bereit sind, einen großen Teil der Arbeit zu leisten. Dies gilt insbesondere auch für die Archivforschung. Wir können das nicht delegieren, sondern müssen selbst einen Einblick in das Material bekommen. Hier wollen wir aus früheren Erfahrungen, wie dem Projekt über das Auswärtige Amt, lernen. Natürlich wird es weitere Mitarbeiter geben, die sich mit Teilaspekten beschäftigen. Aber der Kern der Arbeit wird an den Projektleitern – Herrn Safferling und mir – nicht vorbeigehen. Jetzt wollen wir jedoch erst einmal eine Bestandsaufnahme machen. Dazu findet am 26. April 2012 im Plenarsaal des Kammergerichts zu Berlin ein Symposium statt. Danach beginnt die eigentliche Arbeit. Diese Phase, in der es darum geht, das gesamte Archivmaterial zu sichten, wird vor allem die Jahre 2013 und 2014 in Anspruch nehmen. Wir gehen davon aus, dass wir dann im Herbst 2015 die Projektpublikation vorlegen können. Damit wird das Projekt abgeschlossen sein.

ZOL: Es wird also eine Publikation geben? Das BMJ hat verwunderlicherweise bislang nichts dazu gesagt, ob es eine Veröffentlichung geben wird – und das, obwohl Sie intensiv mit Personalakten arbeiten werden und im Landwirtschaftsministerium eine solche Studie mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken unter Verschluss gehalten wird …

Görtemaker: Es wird zwei Publikationen geben. Die erste Publikation wird ein Sammelband sein, in dem die Vorträge abgedruckt werden, die auf dem Symposium gehalten werden. Dieser Band soll im Frühjahr 2013 vorliegen. Aber die eigentliche Veröffentlichung mit den Ergebnissen unserer Forschungsarbeit wird dann 2015 als Publikation der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission erscheinen, nicht als Publikation des Ministeriums. Da Sie das Archivmaterial angesprochen haben: Wir haben uns über die Materialbasis bereits Klarheit verschafft und werden umfangreiches Archivmaterial zum gesamten Justizbereich im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik einsehen müssen. Dies gilt besonders auch für die Personalakten des BMJ, die überaus interessant sind und komplett im Keller des BMJ in der Berliner Mohrenstraße liegen. Wir haben die Zusicherung der Ministerin, dass wir dieses Material ohne Einschränkungen einsehen können. Wenn wir es eingesehen haben, wird es übrigens an das Bundesarchiv übergeben und dort dann allgemein zugänglich sein.

ZOL: Diese Abgabe an das Bundesarchiv schließt also auch die Personalakten ein? Und bezieht sich dies dann auf den kompletten Bestand in Ihrem Untersuchungszeitraum oder nur auf die von Ihnen tatsächlich benutzten, das heißt zitierten Akten?

Görtemaker: So weit haben wir das im Einzelnen noch nicht verhandelt. Was wir bis jetzt besprochen haben,  bezieht sich aber nur auf den Untersuchungszeitraum von 1945/49 bis etwa Ende der sechziger Jahre, als das BMJ seinen Sitz in der Rosenburg, einem Schloss bei Bonn, hatte. Es geht also im Wesentlichen um die fünfziger und sechziger Jahre, die aber nach allgemeiner Auffassung als ausgesprochen problematisch gelten, weil zu dieser Zeit die Kontinuitäten zur NS-Zeit am stärksten waren. Wir haben uns zunächst auf diesen Zeitraum konzentriert, weil hierfür die Archivzugänge relativ unproblematisch sind – einschließlich der Akten des Ministeriums, auch wenn es dort bei der Freigabe des Materials sicherlich Bauchschmerzen gab. Aber wir haben die Zusicherung, dass wir alles einsehen können.

ZOL: Bei Ihrer Einsetzung wurde in der Pressemitteilung des BMJ schon detailliert dargelegt, was die Schwerpunkte des Projektes sein werden. Inwiefern haben Sie bei diesen Vorgaben noch einen eigenen konzeptionellen Spielraum? Oder wurden Sie schon im Vorfeld bei der Entwicklung des Projekts einbezogen?

Görtemaker: Von Seiten des Ministeriums gab es überhaupt keine Vorgaben. Das, was sich in der Pressemitteilung niederschlug, sind im Grunde die Ergebnisse einer ganzen Reihe von Sitzungen, die ich zusammen mit Herrn Stolleis, Herrn Safferling und Vertretern des Ministeriums hatte. Wir haben einfach gemeinsam diskutiert und überlegt, was die Schwerpunkte sein könnten. Zugleich war aber auch klar, dass wir das Symposium abwarten sollten, um auf dieser Grundlage ein konkretes Arbeitsprogramm zu entwickeln. Bestimmte Dinge werden natürlich auf jeden Fall gemacht werden müssen – etwa die Untersuchung der personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Daraus ergibt sich die Frage, wie die allgemeine Einstellungspraxis war. Und wenn es, wovon auszugehen ist, personelle Kontinuitäten gab, ist auch zu fragen, welche Auswirkungen sich daraus mit Blick auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik ergaben: Haben diese Personen Einfluss genommen oder haben sie das nicht getan? Welche Personen saßen an welchen Stellen im Ministerium? Haben sich ihre Einstellungen gegenüber der NS-Zeit verändert? Oder gibt es nicht nur personelle, sondern auch ideologisch-politische Bindungen? Auch wenn wir bereits wissen, dass es beispielsweise in den Bereichen Familienrecht und Strafrecht sehr starke Kontinuitäten gab, müssen wir doch noch im Einzelnen herausfinden, welche Einflüsse sich daraus möglicherweise ergaben. Der dritte große Bereich wird dann die Frage sein, wie man mit Amnestie und Verjährung umgegangen ist. Auch hier wissen wir, dass es einige Gesetzesvorschläge gab, die dazu geführt haben, dass die Fristen für die Verjährung von Beihilfe bei Straftatbeständen verkürzt wurden und dass dadurch ganze Tätergruppen von der Strafverfolgung ausgenommen wurden. Der vierte große Bereich ist der Umgang mit den Nürnberger Prozessen und dem Recht, das dort gesetzt wurde: Hat man das akzeptiert, übernommen oder revidiert? Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Themen, die wir im Detail prüfen werden, etwa die später ins Auswärtige Amt überführte Rechtsschutzstelle, die de facto dazu diente, Tätern im Ausland Hinweise zu geben, wenn sie von Strafverfolgung bedroht waren. Wir werden auch eine Differenzierung innerhalb der verschiedenen Rechtsbereiche vornehmen und uns vor allem die Bereiche Familienrecht, Staatsrecht und Verfassungsrecht genauer anschauen.

ZOL: Konzentrieren Sie sich damit hauptsächlich auf die prospektive Gesetzgebung, oder auch auf die retrospektive Rechtsprechung, also beispielsweise die großen NS-Prozesse der sechziger Jahre und die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, die ja für die Ermittlung gegen NS-Verbrecher zuständig ist?

Görtemaker: Wir werden uns nicht nur auf das BMJ und den Gesetzgebungsgang konzentrieren, sondern den gesamten Geschäftsbereich des BMJ in den Blick nehmen. Das heißt, es geht auch um die obersten Gerichte und damit auch um die Rechtsprechung. Da gibt es enge Verknüpfungen, beispielsweise bei der Ernennung von Richtern oder der Verbindung zwischen dem Ministerium und den Gerichten, was dann die Rechtsprechung konkret betraf. Das werden wir uns aber noch genauer ansehen müssen. Hier stehen wir noch ganz am Anfang. Wie weit das gehen kann, wissen wir noch nicht. Das hängt auch davon ab, welche Möglichkeiten wir überhaupt haben, uns in die verschiedenen Verästelungen hineinzubegeben – zwei Jahre sind eine kurze Zeit für diese Forschungsarbeit.

ZOL: Sie haben schon angedeutet, dass es eine Konsequenz aus der Kritik an der Studie Das Amt und die Vergangenheit war, dass Sie sich persönlich alle Akten anschauen werden. Gibt es noch weitere Konsequenzen, die Sie aus dieser Debatte gezogen haben oder die auf den Erfahrungen, die die Historikerkommission des Auswärtigen Amtes gemacht hat, beruhen?

Görtemaker: Wir möchten gerne noch in diesem, spätestens zu Beginn des nächsten Jahres die verschiedenen Kommissionen, die zum Thema NS-Aufarbeitung forschen, zusammenbringen, um eine Methodendiskussion zu führen, wie man am besten mit dem Material umgeht und zu vernünftigen Ergebnissen kommt. Dies würde auch die Möglichkeit eröffnen, die Ergebnisse der verschiedenen Kommissionen zu einem Gesamtergebnis zusammenzuführen. Es ist ja immer sinnvoll, frühzeitig einen Erfahrungsaustausch vorzunehmen und zu fragen: Wie geht man im Einzelnen vor? Welche Unterschiede gibt es?

Eine zweite Lehre, die wir aus der Arbeit der Historikerkommission des Auswärtigen Amtes ziehen wollen, ist die, dass wir sagen, jeder, der sich hinterher über die Thematik äußert, muss auch in der Lage sein, dies auf der Grundlage eigener Aktenkenntnis zu tun. Das ist aus Gründen der Glaubwürdigkeit sehr wichtig. Dass wir trotzdem auch Fehler machen können oder dass wir einen Diskussionsprozess einleiten, der vielleicht kontrovers sein wird, ist vollkommen normal. Das soll auch so sein. Wir wollen dies sogar noch zusätzlich dadurch befördern, dass wir darauf bestehen, dass die von uns eingesehenen Akten hinterher auch für die allgemeine Nutzung zugänglich sein sollen. Es darf kein Monopol auf die Akten geben. Hilfreich ist dabei für uns, dass das BMJ, im Unterschied zum Auswärtigen Amt, nicht über ein eigenes Archiv verfügt. Die Sach- und Vorgangsakten, die an das Bundesarchiv abgegeben worden sind, können dort bereits eingesehen werden. Und die Personalakten, die sich jetzt noch im Keller des BMJ befinden, gehen – jedenfalls für die Zeit bis Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre − nach Beendigung unserer Arbeit ebenfalls an das Bundesarchiv. Eine Monopolisierung durch ein hauseigenes Archiv kann also praktisch nicht stattfinden.

ZOL: Die Personalakten im BMJ sind ja noch nicht aufgearbeitet …

Görtemaker: … nein …

ZOL: … oder auf sonstige Weise erfasst. Sie machen also eine Tür zu einem Raum auf, in dem lange niemand mehr war, und zunächst kommt Ihnen nur Staub entgegen?

Görtemaker: Ja. Das ist, archivalisch gesprochen, ein ziemliches Durcheinander. Seit 1949 sind diese Akten ja nicht an das Bundesarchiv abgegeben worden, auch mit der Begründung, sie würden noch gebraucht – was immer man von dieser Begründung halten mag. Aber Fakt ist, dass es sich um ein Archiv des Hauses handelt, das man nur dann betritt, wenn man die Akten tatsächlich herausholen will und benötigt. Sie sind nicht aufgearbeitet, nicht archivalisch erschlossen. Es gibt keine Findbücher. Das heißt, wir beginnen da tatsächlich bei Null. Das ist eine große Herausforderung.

ZOL: Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bereich des Justizministeriums genauso problematisch wäre wie beim Auswärtigen Amt. Gibt es – wie ja auch von der Historikerkommission des Auswärtigen Amtes berichtet – im BMJ eine gewisse Skepsis oder Zurückhaltung Ihnen gegenüber? Schließlich kommen da nun externe Historiker und Juristen und wollen mit dem Archiv sozusagen das Heiligste des Ministeriums sehen …

Görtemaker: Mein Eindruck ist, dass das Archiv gar nicht als Heiligtum begriffen wird, sondern dass es im Hause dort fast schon ein ahistorisches Bewusstsein gibt. Man beschäftigt sich mit den aktuellen Vorgängen, aber man interessiert sich nicht sehr für die eigene Geschichte. Umso erstaunlicher ist es, dass uns bisher nur Wohlwollen entgegengebracht worden ist. In der Öffentlichkeit und bei den Journalisten war der Tenor eigentlich immer: „Das muss dringend gemacht werden“. Aber das gilt auch für das Haus selbst. Dort gibt es maßgebende Mitarbeiter, die das Forschungsprojekt sogar als ihr persönliches Anliegen begreifen. Die Ministerin ist der Motor des Ganzen – was vielleicht auch dazu beiträgt, dass die Kritik im Hause sich in Grenzen hält. Das Projekt wird also von oben gefördert und von der Ministerin als etwas Positives für das Ministerium kommuniziert. Das stellt eine Transparenz her, die es so bisher nicht gab, und beendet vielleicht auch manche Diskussionen. Denn natürlich weiß man hausintern so einiges über die eigene Vergangenheit, man ahnt noch viel mehr, aber genau weiß man es eben doch nicht. Aber auch hier gilt: Wenn man präzise weiß, wie es gewesen ist – und wenn es in Einzelfällen noch so schlimm war –, dann ist dies allemal besser, als wenn man sich nur mit einer dumpfen Stimmung des Halb- und Nichtwissens begnügen muss. Und darum geht es eigentlich, diese dumpfe Stimmung aufzulösen und durch genaue Informationen zu ersetzen. Im Auswärtigen Amt ging es um Politik und Diplomatie. Hier geht es um Recht und Moral. Das ist im Grunde viel schlimmer: Wenn man sich im Bereich von Recht und Moral nicht sachkundig macht und sich weigert, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, dann ist das doppelt problematisch. Aber soweit ich das bisher sagen kann, gibt es nicht einen einzigen Versuch, in irgendeiner Weise Druck auf uns auszuüben, uns zu beeinflussen oder einzuschränken. Es gibt vielmehr eine – das mag auch an der Ministerin liegen – vorbehaltlose Bereitschaft, uns zu unterstützen und alles zu tun, damit das Projekt zum Erfolg geführt werden kann.

ZOL: Können Sie, auch wenn Sie jetzt noch am Anfang stehen, schon Probleme – etwa mit den Quellen oder der Methodik – absehen? Und erwarten Sie bahnbrechende neue Erkenntnisse, also einen noch unbekannten Eisberg unter dem Wasser?

Görtemaker: Unser Hauptproblem wird sein, das ungesichtete Material so aufzubereiten, dass es überhaupt handhabbar wird. Wir wissen bisher fast nichts. Dieser Keller in der Mohrenstraße ist ziemlich groß, die Akten sind unüberschaubar, und wir haben noch nicht die geringste Vorstellung, wie wir das in den Griff kriegen sollen. Natürlich haben wir uns punktuell schon das eine oder andere angesehen, und ich habe an anderer Stelle gesagt, das sei pures Dynamit. Auch wenn das vielleicht etwas übertrieben ist – es steht außer Zweifel, dass dort sehr interessante Erkenntnisse über Einzelpersonen zu finden sind. Was uns dabei vor allem beschäftigt, ist die Frage, ob die Erkenntnisse, die bisher über einzelne Mitarbeiter vorliegen, verallgemeinert werden können, ob sie also das gesamte Ministerium betreffen oder nur einen Teil davon. Hier geht es darum, zu Quantifizierungen kommen. Da wird es wichtig sein, sich die Einstellungspraxis anzuschauen, die wahrscheinlich ziemlich chaotisch war, vor allem in der Zeit kurz nach 1949. Eine andere Frage ist, warum die Demokratie in der Bundesrepublik trotz des von uns angenommenen hohen Belastungsgrades trotzdem nicht gefährdet wurde. Wie haben Juristen also in einem völlig neuen System völlig anders funktioniert? Auch das wird man untersuchen müssen.

Insofern ist dies kein Projekt, das nur in eine Richtung zielt, also auf Verurteilung und Verdammung, sondern das vor allem Fragen stellt, auf die wir vorläufige Antworten geben, über die man danach weiter diskutieren muss. Und da wird es methodisch interessant, wie sich in unterschiedlichen Systemen Mentalitäten verändern können. Ich hoffe, dass wir dabei in den nächsten zwei Jahren zu interessanten Erkenntnissen kommen werden, und ich denke auch, dass uns die Ergebnisse in einigen Fällen überraschen werden. Es wird aber nicht so sein, dass wir sagen: „Das ist eine Institution, die gänzlich zu verurteilen ist“. Es wird wohl ein differenziertes Urteil dabei herauskommen, sonst wäre es auch nicht glaubwürdig. Denn wie bei allen historischen Themen ist es auch hier so, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern sehr viele Grautöne. Das gilt gerade bei den Biografien. Personen haben sich durch unterschiedliche Systeme instrumentalisieren lassen und in diesen unterschiedlichen Systemen funktioniert, auf ganz unterschiedliche Weise. Warum das so ist, das ist die eigentlich spannende Frage.

ZOL: Vielen Dank für dieses Gespräch.

 


[1] Vgl. die Videoaufzeichnung der Podiumsdiskussion des Symposiums vom 26. April 2012 und die im Sommer 2012 erschienene Broschüre Die Rosenburg - Das Bundesministerium der Justiz und sein Umgang mit der NS-Vergangenheit. Vgl. auch die Berichterstattung u.a. von Isabel Fannrich-Lautenschläger (Deutschlandfunk, 03.05.2012) und Sven Felix Kellerhoff (Die Welt, 27.04.2012).