von Felix Pülm

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14. November 2018

Besucherandrang wie aus einer anderen Zeit

Die antiken Ruinen von Ayutthaya, der früheren Hauptstadt Thailands, sind seit jeher ein Anziehungspunkt für Reisende aus aller Welt. Ayutthaya ist in jedem Reiseführer vermerkt und befindet sich seit dem Jahr 1991 auf der UNESCO-Welterbeliste. Zwischen den Jahren 1351 und 1767 war die 80 Kilometer nördlich von Bangkok gelegene Stadt Hauptstadt des Königreichs Siam und entwickelte sich zu einem wichtigen überregionalen Handelszentrum, das Europa, Arabien und Asien miteinander verband. Weitgereiste waren von der Schönheit der durch drei Flüsse umschlossenen Stadt überwältigt. Im Jahr 1767 wurde Ayutthaya schließlich von der burmesischen Armee eingenommen und niedergebrannt, weshalb heutzutage nur noch Ruinen vom früheren Glanz zeugen.

Doch während für gewöhnlich einige wenige Reisegruppen und vereinzelte Rucksacktourist_innen sich auf Erkundungstouren durch die Ruinen begeben, konnte in den Monaten März und April 2018 ein imposantes Schauspiel beobachtet werden. Scharen von Besucher_innen, fast ausnahmslos Thais, drängten sich über die historischen Palast- und Tempelruinen. Viele waren in ganzer Familienstärke angereist, hatten sich in historische thailändische Kostüme gekleidet und sahen somit aus, als entstammten sie einer anderen Zeit. Ein besonders beliebter Ort war der im Jahr 1630 erbaute Tempel Wat Chaiwatthanaram. Üblicherweise besuchen den Tempel etwa 1000 Menschen pro Tag, in den Monaten März und April waren es hingegen täglich mehr als 10.000 Besucher_innen. Zwischenzeitlich musste der Tempel geschlossen werden, da die immens große Besucheranzahl zu Beschädigungen am Tempel geführt hatte.

Thailändische Familie in traditioneller Kleidung vor Tempelruinen in Ayutthaya 2018, Foto: Surangkhana Papim.

 

Zeitreise in das sagenumwobene Königreich Siam

Ursächlich für den außergewöhnlichen Besucherandrang in Ayutthaya war die Popularität der thailändischen Fernsehserie „Buppesannivas“.[1] Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Chanyawee Sompreeda, die selbst Archäologin ist und bereits verschiedene Romane und Vorlagen für Fernsehsendungen geschrieben hat. Die Serie spielt in der Zeit König Narais (1656-1688), während dessen Regierungszeit das Königreich Siam eine wirtschaftliche und politische Blütezeit erlebte. In der Serie tauchen verschiedene historische Personen auf wie König Narai oder Constantine Phaulkon (1647-1688).[2]

„Buppesannivas“ vereint in sich alles, was eine gute thailändische Seifenoper benötigt: Charismatische Hauptdarsteller_innen, eine Liebesgeschichte und eine gewisse Prise Spiritualität. Die weibliche Hauptdarstellerin Kedsurang ist zu Beginn eine Archäologiestudentin, die mit einem Seminar zu den historischen Tempeln in Ayutthaya reist, wo sie von einem Geist heimgesucht wird und schließlich bei einem Autounfall stirbt. Im zweiten Handlungsstrang der Serie, der im historischen Ayutthaya spielt, wird eine bösartige Frau namens Karaked verbannt, weil sie versucht hatte, eine Rivalin um die Gunst ihres Geliebten umzubringen. Karaked trifft in einer Zwischenwelt auf Kedsurang. Sie bittet diese, in ihren Körper zu gehen und für sie gute Taten zu tun, um ihr schlechtes Karma auszugleichen. Aus diesem Grund fährt die Seele von Kedsurang in den Körper von Karaked und lebt im historischen Ayutthaya fort.

Durch diesen Rollenwechsel entstehen zahlreiche Missverständnisse und ironische Situationen. Da Kedsurang die Sprache und Gewohnheiten der Jetztzeit gewohnt ist, hat sie zunächst Schwierigkeiten damit, sich in Ayutthaya zurecht zu finden. Kedsurang verliebt sich schließlich in einen Offiziellen am Hof von König Narai, die beiden heiraten und bekommen Zwillinge. Aufgrund der vielen guten Taten, die Kedsurang im Körper von Karaked begeht, wird das Karma der ursprünglichen Karaked aufgewertet, und sie findet schlussendlich ihren Seelenfrieden.

Filmstill aus „Buppesannivas“ („Love Destiny“), Kulisse des historischen Ayutthayas.

 

Zuschauerrekorde, Ayutthaya-Begeisterung und Kommerzialisierung

Zu sehen war „Buppesannivas“ zweimal wöchentlich zwischen Februar und April auf dem staatlichen Sender Channel 3. Die Serie steigerte kontinuierlich ihre Reichweite und konnte bald regelmäßig Rekordquoten erzielen. Die beliebteste Folge hatte eine Einschaltquote von 18,6 Prozent, was in Thailand eine noch immer unerreichte Höchstmarke ist.[3] Allein in Bangkok lag die Quote mit 23,4 Prozent sogar noch höher. Die Serie wurde auch außerhalb Thailands in Ländern wie Kambodscha, Laos, Vietnam, Südkorea, China und Russland verfolgt.

Schon kurz nach dem Start fuhren die ersten Fans der Serie nach Ayutthaya, um einen persönlichen Eindruck der authentischen Drehorte zu bekommen. Bald darauf reagierten Reisebüros auf diese Nachfrage und boten organisierte Geschichtstouren zu den Ruinen an, die in der Serie zu sehen waren. Gleichzeitig zeigte sich die neu entfachte Ayutthaya-Begeisterung auf vielen anderen Ebenen. Bücher mit geschichtlichem Hintergrund wurden plötzlich in ungewöhnlich hoher Stückzahl verkauft. Neben Überblickswerken zur Geschichte Ayutthayas war besonders das Buch „Jindamanee“ (Gems of the Mind) gefragt, das als erstes Thai-Grammatikbuch gilt und häufig in der Serie erwähnt wurde. Auch Gerichte und Rezepte aus der Serie erreichten eine hohe Popularität, ebenso wie die historische Kleidung der Protagonisten_innen. An den Universitäten gab es ein bisher nicht dagewesenes Interesse für die Studienfächer Archäologie und Geschichte, die Zahl der Bewerber_innen in diesen Bereichen brach alle bisherigen Rekorde. Die Werbeindustrie reagierte ebenso auf das Interesse an der Serie. Die Hauptdarsteller_innen bewarben verschiedene Produkte und Unternehmen, unter anderem die Express-Supermarktkette 7-Eleven.

Werbekampagne mit den Hauptdarsteller_innen von „Buppesannivas“ („Love Destiny“) für 7-Eleven. (Foto: Felix Pülm).

 

Versuchte politische Instrumentalisierung

Als der überragende Erfolg der Serie sich immer klarer herauskristallisierte, zeigte auch die amtierende Militärregierung großes Interesse an „Buppesannivas“. Premierminister Prayut Chan-o-cha veranstaltete ein medienwirksam inszeniertes Treffen mit den Hauptdarsteller_innen der Serie. Im Rahmen des Treffens wurden Fotos des Premiers gemacht, die ihn inmitten der Schauspieler_innen locker lächelnd zeigen. Die durch „Buppesannivas“ in Gang gesetzte Begeisterung für Ayutthaya kam für die Regierung wie gerufen, da sie mit ihren im Februar 2018, gestarteten kulturpolitischen Maßnahmen Than Niyom Yangyuen (Sustainable Thainess) beabsichtige, das Interesse der Thais für die eigene Kultur und Vergangenheit zu steigern. Die Regierung wertete den überraschenden Ayutthaya-Enthusiasmus als Ausdruck eines neuen, wiedererstarkten Nationalbewusstseins und somit als Bestätigung der eigenen Politik.  

Der Premierminister erteilte dem Kulturministerium den Auftrag, Filme und Serien mit historischem Inhalt ähnlich wie „Buppesannivas“ zu produzieren. Es wurde ein Seminar veranstaltet, um die Auswirkungen der Serie zu analysieren. Neben weiteren Fernsehproduktionen wurde beschlossen, ein „Geschichtslernzentrum“ zu eröffnen, dessen Aufgabe es unter anderem sei, solcherlei Produktion wissenschaftlich zu begleiten.[4]

Um diese Instrumentalisierung der Serie entwickelte sich eine kontroverse Diskussion. Kritische Stimmen warfen der Regierung vor, ein Medienphänomen für die eigene kulturpolitische Agenda auszunutzen. Außerdem warnten sie davor, die Geschichte Ayutthayas zu verklären und verwiesen auf das hierarchische klassenorientierte Gesellschaftssystem, in dem Sklaven das Eigentum ihrer Besitzer und Frauen nahezu ohne eigene Rechte waren.[5]

 

Modeerscheinung oder nostalgische Sehnsucht nach historischer Geborgenheit?

Auch die Ursachen für den Erfolg der Serie wurden unterschiedlich gedeutet. Während die durch die Serie ausgelösten Phänomene einerseits als reine Modeerscheinung interpretiert wurden, gab es andererseits die Vermutung, dass die Ayutthaya-Begeisterung Ausdruck einer Sehnsucht nach einer vermeintlich glorreichen und harmonischen Vergangenheit sein könnte. Schon während der Tom-Yum-Kung-Krise[6] des Jahres 1997, als die thailändische Wirtschaft aufgrund einer Währungskrise massiv unter Druck geriet, hatten Serien mit historischem Bezug große Konjunktur. Somit könnte angesichts der aktuell angespannten weltpolitischen Lage sowie der ungewissen politischen Zukunft in Thailand auch die derzeitige Rückbesinnung auf das vermeintlich harmonische Ayutthaya einen nostalgischen Ursprung haben.

Um diesbezüglich zu Erkenntnissen zu gelangen, unternahm ich eine Umfrage zur Rezeption der Serie.[7] Diese Umfrage enthielt 31 Zustimmungsfragen zu den Themen: Seh-Gewohnheiten, Motivationen, die Serie zu sehen, Auswirkungen der Serie und Einstellungen und Ansichten zur Ayutthaya-Epoche.

Bezüglich der Sehgewohnheiten konnte festgestellt werden, dass die Mehrheit der Teilnehmenden „Buppesannivas“ regelmäßig verfolgte und als interessant wahrgenommen hat. Jedoch gaben die meisten Befragten an, dass sie für gewöhnlich weder thailändische Serien noch Serien mit historischem Inhalt verfolgten. Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass „Buppesannivas“ Menschen begeistert hat, die solche Serien nicht regelmäßig schauen.

Die Motivationen, die Serie zu schauen, waren laut den Ergebnissen der Umfrage weit gefächert. Die höchsten Zustimmungswerte erhielten hier die Fragen nach der Handlung der Serie oder den Hauptdarsteller_innen. 57 Prozent der Befragten stimmte allerdings ganz oder teilweise der Aussage zu, dass ein generelles Interesse an Geschichte sie dazu gebracht habe, die Serie zu verfolgen.

Im dritten Themenbereich der Umfrage, der sich mit ihren Auswirkungen beschäftigte, ergab sich ein gemischtes Bild. 67 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass ihr Wissen über Geschichte durch die Serie gesteigert worden sei. Demgegenüber war nur eine Minderheit selbst nach Ayutthaya gefahren oder hatte sich historische Kleidung gekauft.

Bezüglich der Einstellungen zur historischen Epoche Ayutthaya waren die Ergebnisse wieder eindeutiger. Hier überwogen vor allem die Zustimmungen. 65 Prozent der Teilnehmer_innen waren der Ansicht, dass Thailand zu dieser Zeit wirtschaftlich und politisch sehr stark gewesen sei, 59 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die Solidarität innerhalb der Gesellschaft größer gewesen sei als in der heutigen Zeit, und 55 Prozent teilten die Ansicht, dass in der Vergangenheit der Zusammenhalt in der Familie stabiler gewesen sei. Somit kann gemutmaßt werden, dass unter den Zuschauer_innen der Serie ein eher positives Ayutthaya-Bild vorherrscht und dass für viele der historische Kontext ein wesentlicher Grund war, die Serie anzusehen.

Graphik zu den Ergebnissen der Online-Befragung.

Insgesamt bleibt jedoch abzuwarten, wie nachhaltig der durch „Buppesannivas“ ausgelöste Geschichtsboom wirklich sein wird. Die Serie, die im Anschluss auf dem Sendeplatz von „Buppesannivas“ lief und ebenso einen historischen Kontext hat, erwies sich als deutlich weniger erfolgreich, sodass der Fernsehsender sich dazu entschloss, in der Folge wieder Wiederholungen von „Buppesannivas“ zu zeigen.

 



[1] In der englischen Ausgabe wird „Buppesannivas“ mit „Love Destiny“ übersetzt.
[2] Constantin Phaulkon stammte aus Griechenland und etablierte sich zu einem der wichtigsten Berater König Narais in Ayutthaya. Dirk van der Cruysse: Siam and the West, 1500–1700, Chiang Mai 2002, S. 522 – 536.
[3] Die Berechnung der Einschaltquoten bezieht sich auf den Zeitraum seit der Einführung des digitalen Fernsehens in Thailand im Jahr 2013.
[4] National News Bureau of Thailand: Min of Culture holds seminar to discuss efects of Buppesannivas, abgerufen am 14.11.2018.
[5] The Nation Thailand: ‘Love Destiny’ is more fantasy than nostalgia, abgerufen am 14.11.2018.
[6] Die Asienkrise des Jahres 1997 wurde in Thailand nach dem Nationalgericht Tom-Yum-Kung benannt.
[7] Diese Online-Umfrage wurde im Mai 2018 kurz nach dem Ende der Serie durchgeführt. Sie enthielt 31 Fragen und wurde von 136 Teilnehmer_innen beantwortet. Die Sprache der Umfrage war Thai.